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Gzuz braucht keine Promo, um sich der Liebe seiner Fans sicher zu sein

‚Ebbe & Flut‘ von 187 Straßenbande-Rapper Gzuz ist das ‚Russisch Roulette‘ dieses Jahres.

Vor der Trattoria da Mario flaniert das übliche St. Pauli-Publikum Richtung Reeperbahn oder Schanze. Es ist ein guter Tag, das junge Großstadtvolk trägt Sonnenbrille und sieht aus wie immer: also genauso wie auf Instagram. Nur ab und zu, wie zur Bestätigung aller eben genannter Klischees, huscht eine von jenen skurrilen Kiez-Gestalten durch die Szenerie, die es so nur hier gibt. Als ein Lederjacken-Typ mit langer Glamrock-Matte mitten auf der Kreuzung parkt, um einen scheinbar unschuldigen Passanten zur Sau zu machen, sagt Gzuz, auf dessen Hände die Worte Ebbe und Flut tätowiert sind, zu mir: „Der war mal ‘ne große Nummer auf’m Kiez. Krasser Typ.“

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Er muss es wissen. Er ist nur ein paar Hundert Meter entfernt von hier aufgewachsen. Sein Vater war in den Achtzigern aus Österreich nach St. Pauli gekommen, um am Hamburger Hafen Arbeit zu finden. Wenig später traf er die Frau, die später Gzuz’s Mutter werden sollte. Den Plan, als Seemann die Welt zu bereisen, legte er daraufhin ad acta. Trotzdem zerbrach die junge Familie wenig später. Die erste Wohnung, an die Gzuz sich heute noch erinnert, bewohnte er gemeinsam mit seiner Schwester und seiner Mutter, aber ohne seinen Vater. Damals gab es weder Instagram, noch die dazugehörigen Boys und Girls auf den Straßen St.Paulis, aber umso mehr sogenanntes „Gesindel“. Als ein paar Jutebeutel-Mädchen um die Ecke kommen, findet Gzuz, dass die so aussehen, als kämen sie aus Berlin. „Jetzt klinge ich wie so'n frustrierter, alter Mann. Ich denke schon echt oft schwarz-weiß. Ich bin halt ein extremer Mensch, weißte?“

Vielleicht wird man zwangsläufig so einer, wenn man in dem St. Pauli der Neunziger aufgewachsen ist. Wenn man in seiner Kindheit die Straße und die Leute, die ihr Geld in diesem öffentlichen Raum verdienen, immer attraktiver fand als die Schulbank. „Diese Typen waren eben faszinierend. Ich dachte immer nur: Geiles Auto, geile Jacke, weißte?“ Er wollte selbst einer von jenen Typen werden, die an einem Abend in einer Reeperbahn-Kneipe einen Batzen Hunnis verkloppen, auch wenn die in der Regel auch wiederum genau die sind, die nur einen Tag später von Spaghetti mit Ketchup leben, weil Geld in dieser Parellelgesellschaft eben etwas Schnelllebiges ist. Mal haste was und biste was, dann haste wieder nix und bist nicht mehr als nix.

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Ein König bist du auf der Straße, egal ob auf der Reeperbahn oder auf der Sonnenallee, selten eine lange Zeit. Entweder kommt einer (ob Konkurrenz oder Staatsmacht) und nimmt dir was weg, oder das Cash ist einfach alle, zurück im ewigen Moneten-Karrussell namens Wirtschaft. Dann biste wieder einer von vielen, einer von jenen, die sich mit diesem und jenem durchschlagen, um der Ebbe in der Potte entgegen zu wirken.

Gzuz lebte dieses Leben, bis er Mitte zwanzig war und für knappe drei Jahre ins Gefängnis wanderte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er, wie er selbst sagt, schon eine ganze Menge Straftaten auf dem Kerbholz. Die Aktion, für die er letzten Endes einwanderte, war eine spontane Wahnsinnstat, oder in Beamtendeutsch: ein Raubüberfall. Als Gzuz 2010 ins Gefängnis musste, war die 187 Straßenbande noch ein eher lokal begrenztes Phänomen, trotzdem reichte sein Fame von damals aus, damit Leute ihn bei seinem Überfall erkannten. Heute rappt er über damals: „Leute fragen, Gzuz, wie war es so im Knast? Dicker, supergeil, ich hab drei Jahre so verpasst. Was für 'ne Frage, du Spast?« Und das war‘s. Fragt man ihn nach dem Gefängnis, merkt man, dass er nicht gerne über das Thema spricht. Allgemein ist Gzuz kein Mann vieler Worte, Fragen beantwortet er außer im Ausnahmefall kurz, prägnant und unmissverständlich.

Im Nachhinein, kann man mutmaßen, hatte seine Gefängnisstrafe für Gzuz tatsächlich etwas Positives. Er musste nicht nur erkennen, dass Rap und Kriminalität sich eigentlich nur auf dem handbeschriebenen Papier miteinander verstehen, sondern wurde in der Folge für die anwachsende 187-Fanbase zu einer Ikone. Der alte Gangstarap-Mythos eben, der im Social Media-Zeitalter gleichbedeutend mit unzähligen Likes und Hashtags à la #freegzuz ist.

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Als Gzuz dann Ende 2013 aus dem Gefängnis entlasssen wurde, hatten zwar die Journalisten und Opinion Leader ihr 187-Faible noch nicht kultiviert, dafür wuchs die Fan-Basis konstant und immer schneller. Überhaupt ist die 187 Straßenbande eines der wenigen Beispiele für ein kommerziell erfolgreiches HipHop-Phänomen, das komplett ohne den Push der Medien-Bubble sein Publikum erreicht hat. Als Gzuz 2014 High & Hungrig, sein gemeinsames Album mit Bonez MC, veröffentlichte, chartete es in den Top 10 der Albumcharts—der Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung der 187 Straßenbande. Innerhalb der folgenden 12 Monate wuchs die Gefolgschaft zu einer immens großen und leidenschaftlich verschworenen Einheit zusammen. Die (glaubt man Facebook) größtenteils jugendlichen und männlichen Fans der Straßenbande sind keine Trend-Hörer, sie sind Fans. Und das soll was heißen, in jener schnelllebigen Welt, in der man seine Lieblingskünstler in der Regel im Wochentakt wechselt. Weil diese Kids unter Garantie alles kaufen, auf dem das verschnörkelte 187-Logo prangt, war auch Obststand von LX & Maxwell, die letzte Veröffentlichung aus dem Hause Straßenbande, ein locker aus der Hüfte geschossener Top 10-Erfolg, obwohl beide Rapper zuvor niemandem außerhalb der Gangstarap-Blase ein Begriff gewesen waren.

Gzuz wiederum ist im 187-Kontext beinahe ein Veteran und durch seine Knast-Vita und seine einschüchternde Statur die schillernde Figur in der Straßenbande. Man könnte schon fast die allseits beliebte Weltverschwörung verantwortlich machen, wenn sein, lose für „früher, als ihr denkt“ angekündigtes Album, kein durchschlagender Erfolg werden sollte. Wenn man dieser Tage in einer Rap-affinen Musikredaktion arbeitet, klingeln gerade ständig Promoter und Manager an, um geheimnistuerisch davon zu erzählen, dass dieses oder jenes mehr oder weniger heiß erwartete Album „ganz überraschend“ erscheinen wird. Genau so etwas planen die 187ers und ihr Label AUF!KEINEN!FALL! offenbar auch mit Gzuz. Drei Videos sind veröffentlicht und dieser Tage weilen Gzuz und Bonez auf Jamaika, mutmaßlich, um ein weiteres Video zu drehen, wieder mal neues Futter für uns, 187-Video-Blog-Fans zu produzieren und um ein paar schöne Fotos für die Facebook-Promo auf Lager zu haben. Trotzdem existiert bisher weder ein Releasedate, noch ein Vorverkaufslink.

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Bei Gzuz’s Album Ebbe & Flut dürfte diese Release-Strategie, mit der in den kommenden Monat sicherlich der eine oder andere mutige Rapper baden gehen wird, tatsächlich Früchte tragen. Denn: Auf Gzuz können sich gerade alle, die etwas mit Gangstarap anfangen können, einigen. Die Kleinstadt-Jugendlichen, die Trend-orientierten Großstadt-Jungerwachsenen mit ihren Caps von Polo by Ralph Lauren und auch die Kids von der Straße.

Woran liegt das? Zunächst hat die Musik von Gzuz etwas Unmittelbares, dem man sich nur schwer entziehen kann. Kein zweiter Rapper prescht momentan so energisch durch seine Strophen wie er. Auf den einen wirkt das einschüchternd, auf den anderen die Stimmung hochpushend. Wenn man mit Gzuz auf dem Ohr durch die Stadt läuft, fühlt man sich auch als lauchige Mittelstands-Type, als wäre man einer von der Straße, einer, mit dem man sich nicht anlegt.

Darüber hinaus zeichnet sich die Musik von Gzuz—wie auch der gesamten 187 Straßenbande—durch eine Nahbarkeit aus, die man im Straßenrap selten findet. Ob Farid Bang und Kollegah nun Punchline-gespickte, im Grunde unglaubwürdige Gangsta-Tales erzählen, Bushido und Fler von Kilos rappen, die sie selbstverständlich längst nicht mehr ticken oder Xatar aus seiner Gangsta-Persona eine überzeichnete Comic-Figur bastelt, die auch deiner Mutter keine Angst macht—sie alle inszenieren sich nicht gerade lebensnah. Anders Gzus: „Ich hab mir ja auch 'nen CL gekauft und dicke Chrom-Felgen raufgepackt, damit die Leute sagen: 'Guck dir mal das Arschloch an'! (lacht) Aber ich will nicht nur für sowas stehen, mir sind andere Dinge wichtiger, mein Kind zum Beispiel.“

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Während Haftbefehl sich in einem sündhaft teuren Jaguar durch Offenbach und Frankfurt fahren ließ, sparte Gzuz für einen rot lackierten Mercedes CL 500, den man bei Autoscout 24 für fünf bis acht Scheine bekommt („Das ist der geilste Wagen. Wie kannste nicht auf den stehen?“). Während seine Kollegen in ihren Videos Champagner sippen, steht er am Pfandautomaten. Obwohl sie gerne herumprollen, sind die 187ers die bescheidensten Straßenrapper Deutschlands.

Als ich im August nach Hamburg eingeladen werde, ist Ebbe & Flut bereits beinahe fertig. Mit dem Auto fahren wir direkt irgendwo in die Nord-Hamburger Peripherie, wo der Straßenbande-Hausproduzent Jambeatz in einem Industrie-Gebiet über einem Holzlager sein Studio hat. Die Stimmung ist bereits bei unserer Ankunft gelöst, Gzuz und Bonez haben Brötchen, Billig-Wurst und Schoko- und Bananen-Drinks gekauft. Während ich mir noch ein Brötchen schmiere, haut Jambeatz bereits den ersten Joint an. Bonez sitzt mit ihm an den Reglern, während er dem Publikum das fast fertige Album vorspielt. Gzuz steht derweil neben der Box und schaut Richtung Wand. Die Beats drücken, der Bass dröhnt. 187-Musik eben. Ein paar Songs später fängt Gzuz an, seine Musik so richtig zu fühlen: Erst grinst er, dann tanzt er beinahe ein wenig (so wie Jungs von der Straße eben tanzen). Zu recht: Ebbe & Flut ist ein sehr gutes Album geworden. Es hat die richtige Länge, die richtigen Beats, die richtige Fokussiertheit und beinhaltet zugleich genau genug Kapriolen, um nicht zu langweilen. Wahrscheinlich ist es für 2015 das, was Russisch Roulette von Haftbefehl für 2014 war: das definierende Album des Gangstarap-Jahrgangs.

Zurück in Berlin, Kreuzberg. Nicht weit von meinem Zuhause entfernt prangt ein großes Gzuz-Piece in Chrom-Schwarz an einer Hauswand. „Unbekannte“, die mit Graffiti für Gzuz werben—gute Promo. Jetzt kann es nicht mehr lang dauern, es riecht nach Flut.

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