FYI.

This story is over 5 years old.

Noisey Blog

Die Wiener Nacht aus den Augen eines Ausländers

Wien kennen wir ja schon, aber wie wirkt Wien eigentlich auf unsere Gäste?

Wien ist zu ordentlich, Wien ist zu sauber, Wien ist zu schön, um die Nacht mit Partys zu zerstören – viele glauben, dass man die Hauptstadt ohne geheime, lokale Kenntnisse nicht erleben kann. Unnötig zu erwähnen, dass sie natürlich falsch liegen.

Eine Stadt zu erkennen, ist der gleiche Prozess, wie bei einer Person. Alles hängt von der Chemie ab: Ohne geht es einfach nicht, aber wenn sie dabei ist, dann gibt es die Chance für wahre Liebe. Wenn Wien eine Person wäre, wäre sie eine echte Pedantin mit guten Manieren und einem ausgezeichneten, zugleich dezenten Modegeschmack. Das ist gar keine Frage. Deswegen ist es wohl schwierig, mit Wien einfach ins Gespräch zu kommen und noch schwieriger, wenn man als Ausländer in Österreich erst eine ganz neue Etikette erlernen soll. Aber es lohnt sich. Die Wiener Nacht hat ihre eigene Sprache, aber die ist nicht unmöglich zu erlernen.

Anzeige

Foto via Flickr | netzwalkerz_net | CC BY 2.0

Es ist unleugbar, dass die Wiener Nacht ihr eigenes Netz hat, in das man schwierig hinein findet. Unmöglich ist es aber nicht. Dass die Empfehlung eines Fremdenführers neu definiert, welche Eigenheiten der Stadt typisch und touristenfreundlich sind, führt zu einem Unterschied zwischen wahren und falschen Sehenswürdigkeiten. Ja, wir können einen Capuccino vor dem Stephansdom trinken, vor einem kurzen Besuch im Museumsquartier, danach verbringen wir die Nacht in der Wildnis der neuen Pratersauna. Dann sind wir endlich wienerisch, oder?

Um eine wahre Übersicht von Wien zu bekommen, müssen wir mit dem ehrlichsten Spiegel jeder Gesellschaft anfangen: einem echten Beisl. Das Einhorn an der Joanelligasse, in der Nähe vom Haus des Meeres mit ihrer Seidentapete und der dunklen Bar ist das, was man einfach "traditionell" nennt. Es gibt keine Getränkekarte und keine unnötigen Dekorationen im dunklen Lokal. So eine Atmosphäre ist in dieser Zeit wohl Mangelware. Insgesamt zwei Bierhähne dienen den Stammgästen, die sich herkömmlich in Zigarettenrauch hüllen. Sie benehmen sich alle so, als ob sie alte bekannte des Barmanns wären und es scheint, als wäre das gültig für jeden, der durch die Bartür kommt.

Foto via Flickr | Christian Kadluba | CC BY 2.0

Wien ist volll mit Kultur, aber man bekommt eine schwierige Aufgabe, wenn man nach Underground-Programmen sucht. Das Mo.ë an der Thelemangasse ist ein gutes Beispiel dafür, dass der Geist, der manchmal anarchistischen freien Kunst nicht nur existiert, sondern sich auch wunderbar entfalten kann. Noise, experimentelle Musik und Non-Musik, manchmal bizarre Ausstellungen, Theater und Performances. Das Mo.ë hat ein besonderes Angebot für alle, die den derzeitigen Underground schon zu mainstream finden. Egal um welche Uhrzeit, man findet immer jemanden in der industriell gehaltenen Halle vom Mo.ë, der viel freundlicher als ein gewöhnlicher österreichischer Fußgänger ist.

Foto via Flickr | styko | CC BY 2.0

Das Publikum auf Konzerten verrät viel über den Charakter der Nation. In Wien gibt es verschiedene großartige Konzertlocations, aber jeder, der echte Klubstimmung erleben will, braucht einen mittelgroßen, etwas heruntergekommenen Veranstaltungsort. Sowas wie das Chelsea. Der Klassiker des Wiener Nacht-und Konzertlebens, der seine Türen schon im Jahre 1986 – an einem anderen Ort – eröffnet hat, befindet sich an der Grenze zwischen dem 8. und dem 16. Bezirk, ist zwei Minuten Gehweg von der U6 Station, Josefstädter Straße entfernt. Als Club ist das Chelsea klein genug, um bei einem Konzert mit den Musikern auf der Bühne gemeinsam zu schwitzen, aber groß genug, um auch ohne diesen Körperkontakt auskommen zu können. Obwohl nur etwa 250 Besucher im Konzertraum Platz finden, haben dort Bands wie zum Beispiel Soundgarden, Die Toten Hosen, Die Ärzte, Gossip und The Wombats unter der U-Bahn Konzerte gespielt.

Letztendlich ist es schwer, jemandem zu vertrauern, der uns für eine lange Zeit nur ein unaufdringliches Bild von ihm zeigt. Obwohl Wien für einen Ausländer auf den ersten Blick wie eine ungemütliche Stadt wirkt, kann – wenn man hinter die Kulissen der Stadt schaut – die Erkenntnis, dass Wien und die Menschen in Wahrheit gar nicht so diskret sind, ganz beruhigend sein.

** Folgt Noisey Austria bei Facebook, Instagram und Twitter. Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify.