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Rudis Brille: Was war nochmal vor 70 Jahren?

Die Gegenwart existierte nicht ohne die Vergangenheit. Das darf auch die Clubkultur nicht vergessen.

Foto: Flickr | gmoutis | CC By 2.0

Heute vor genau 70 Jahren war er also vorbei-der Schlimmste aller Kriege. In aller Welt werden aus diesem Anlass Gedenkfeiern abgehalten, eigentlich ein Tag der besinnlichen Freude. In Österreich/Wien, wo man heuer (vor allem im Mai) von einer Feier in die nächste stürzt, wurde dieser Anlass auch würdig begangen. Doch wie viele Menschen der jüngeren Generation wissen noch etwas mit diesem Datum anzufangen? Wie viele wissen überhaupt mit historischen Daten etwas anzufangen?

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Das beste Beispiel ist der 1. Mai. Seit einigen Jahren gehört der Vorabend des Maibeginns und der Tag selbst zu den erfolgreichsten Veranstaltungsterminen im Jahr. Sämtliche Clubbetreiber reiben sich die Hände, weil es mittlerweile zum härtesten aller Gruppenzwänge gehört, sich am 30.4. wegzuschießen und am besten den ersten Maitag auch noch mitzunehmen. Auch in Wien hat sich unter den Clubgängern der „Tag der Arbeit“ zum „Tag des Zuaseins“ gewandelt. Es gehört schon fast zur gesellschaftlichen Pflicht, wenn man denn da ist, den 1.5. auf der Terrasse der Pratersauna zu verbringen. Tanz durch den Tag hatte in den vergangenen Jahren diesen historischen Tag meist dazu genutzt, das Freiluftjahr zu eröffnen, und dabei auch politische und gesellschaftliche Themen mitzuverpacken. Leider wurde das Ding einfach zu groß, aber ich meine—ohne Beweise zu haben—es waren NICHT die ernsten Themen, die die Massen anlockten. Unlängst traf ich eine Bekannte aus Studientagen, die mir erklärte, sie gehe am 30.4. nicht aus, weil sie am 1. Mai zum Aufmarsch der SPÖ wolle. Ich starrte sie ungläubig an. Ja, gibt es denn das noch? Gibt es sie noch, die tatsächlich in der Tradition der Arbeiterbewegung über den Ring traben. Für die Partyhipster, die zu diesem Zeitpunkt schon längst die enthaarte Hühnerbrust am Pool gelüftet und die Sonnenbrillen aufgesetzt haben, wäre dies wohl ein absolutes „No Go“. Und ich behaupte auch, dass das Image des 1. Mai aus alten Tagen auch schon gewisse Staubschichten angehäuft hat. Vielleicht wird in den Think Tanks der neuen Arbeiterbewegung der heute schon beinah verfassungsmäßige Eventzwang zu jedem historischen Gedenktag dazu genutzt, den jungen Menschen Sinn und Zweck desselben näher zu bringen, indem man das „Paket 1.Mai“ etwas aufhipstert, erste Versuche waren ja heuer dabei—siehe Maispace, doch dann wollte auch das Wetter nicht recht mitspielen.

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Am 8.Mai—also heute—finden hingegen keine Veranstaltungen dieser Art statt, die den Gedenktag auch der jüngeren Generation näher bringen könnten, so sie sich nicht selbst damit beschäftigt. Man hätte—behutsam natürlich—dieses Thema durchaus andenken können. Der Begriff „Opfer“ hat ja gerade in jüngster Zeit mehrere Zusatzbedeutungen erhalten, ohne Mithilfe des Dudens. Wenn wir also der „Opfer“ gedenken, die durch den Krieg und NS-Terror umgekommen sind, dann mag es fast wie ein Hohn wirken, wenn als „Opfer“ im Jahr 2015 auch völlig geistlose Dumpfbacken bezeichnet werden. Jene, die mit historisch verfänglichen Zitaten und Begriffen so wenig anfangen können wie mit kritischen Themen. Jene, die niemals gewusst haben wollen, was der Ustascha Gruß bedeuten soll. Jene, die nicht gewusst haben wollen, dass „Meine Ehre heisst Treue“ kein altes Volkslied ist, sondern ein SS-Treueschwur. Jene, die Verfehlungen der Roten Armee beim Einmarsch mit den NS-Verbrechen gleichsetzen. Jene, die den 8.Mai nicht als Tag der Befreiung sehen, weil es natürlich—und gerade am Ende des Krieges—noch sehr viele Opfer zu beklagen gab. Aber ausschliesslich deswegen, weil Hitler nicht kapitulieren wollte.

Viele Argumente GEGEN das Gedenken gehen dahin, dass man sich „der Gegenwart“ zuwenden solle. Nun gut, das wird passieren, sehr bald nämlich, denn die letzten Zeugen und Überlebenden des Holocaust werden bald nicht mehr unter uns sein, die meisten sind ja weit über 80. Aber heuer soll man, muss man dessen gedenken, was vor 70 Jahren passiert ist. Die Gegenwart existierte nicht ohne die Vergangenheit, ohne das Glück, das Österreich damals hatte, nämlich als erstes „Opfer“ des Nationsozialismus angesehen zu werden, obwohl der Mob 1938 den Anschluss begrüßte und Wien seiner jüdischen Bevölkerung innerhalb weniger Tagen vorzeigte, was kollektive Enteignung ist. Und natürlich ist es löblich, wenn man FÜR bewusste Ernährung eintritt und die Wale retten will, aber man soll und darf im Mai diesen Jahres auch den Befreiern dankbar sein, denn würden wir jetzt in einem nationalsozialistischen Europa leben, gäbe es weder Wale noch Hipster.

Was ich damit meine ist: Jeder sollte gegen die Banalisierung der Gesellschaft eintreten. Der Clubbetreiber muss nicht zwingend apolitisch sein. Das ist eine Ansage, die mich maßlos stört. Ohne hier Namen zu nennen, diese Diskussionen hatte ich schon zu oft. „Wir halten uns aus allem raus“, so hört man leider zu häufig. Aber warum? Warum kann kann man nicht GEGEN die sein, die GEGEN alles sind. Da fand ich das The Gap-Interview von den „Auslage"-Machern äusserst spannend, worin gesagt wird, dass man HC Strache einfach nicht im Club haben will. Man muss nicht jeden stigmatisieren, der FPÖ wählt, aber man darf sich seine Gäste selbst aussuchen, ohne zum „Opfer“ zu werden. Und eigentlich war die frühe Techno-Bewegung eine, die Aufbruch signalisieren sollte, Freiheit, Abschütteln starrer Konventionen und sicher nicht Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit. Das wäre genau der Grund gewesen, warum vor 70 Jahren Europa und auch Wien in Trümmern lag. Mittlerweile ist aber auch die Clubkultur in Banalisierung versunken. Man darf heute auch rechts sein, wenn man Techno hört. Schade eigentlich. Am Ende sind mir aber noch die am liebsten, die eine Meinung haben und dazu stehen, auch wenn sie von Halbwissen geprägt ist, denn dann sieht man seine ideologischen Gegner wenigstens. Die meinungslosen Mitläufer aber sind die gefährlichste Gruppe, denn sie werden am Ende instrumentalisiert.

Zumindest daran sollte man heute am 8.Mai denken und jenen danken, die unser Land wieder aufgebaut haben. Auch damit wir feiern können.

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