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Ex-Gold Kids: Es wird Blut in Italiens Straßen regnen

Unsere beiden Lieblingsitaliener sagen nicht, dass jeder in Italien dumm ist, aber es geht stark in die Richtung, wie man an Berlusconi, Mafia und Co. sieht.

Fotos: Nico Massa

La Dolce Vita? Nix da. Korruption, mafia-artige Politikstrukturen und ein Volk, das sich mehr für Fußball als für die eigene Zukunft interessiert, das ist Italien heute. Dazu ein egomanischer Prinz machiavellistischer Couleur, der bereit ist, sein persönliches Schicksal vor das seines Landes und ganz Europas zu stellen. Gemeint ist natürlich Berlusconi. Während wir im Rest Europas den Kopf schütteln, wissen die Italiener schon gar nicht mehr, wo ihnen derselbe überhaupt steht. Wie beschissen es wirklich gerade in Italien ist, wieso die NATO das sardinische Paradies zerstört und warum Pizza und Fußball immer noch wichtiger sind als Politik, erzählen uns Andrè und Davide aus Cagliari. Die beiden haben die letzten Jahre mit ihrer Band Gold Kids die europäische Hardcore-Szene mitgeprägt. Mittlerweile schlagen sie mit STONE XXV ruhigere Töne an. Wir haben sie auf Ben Phillips schwimmendem Studio in London besucht, wo sie gerade ihr erstes Album aufnehmen. Noisey: Bevor wir uns über eure neue Band STONE XXV unterhalten, will ich meine beiden Lieblingsitaliener mal fragen: WAS ZUR HÖLLE LÄUFT EIGENTLICH IN ITALIEN FALSCH?
Andrè: Naja, die Römer hatten Brot und Spiele und wir haben eben Fußball und Pizza.

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Haha.
Du lachst, aber es ist tatsächlich so, dass sich die Leute auf den Straßen die Köpfe einschlagen wegen Fußball, aber nicht, um für ihre eigenen Rechte zu kämpfen. Ich sage nicht, dass jeder in Italien dumm ist, aber der Durchschnittsitaliener ist einfach der schlimmste Kerl aller Zeiten.

Warum?
Wir haben die falsche Mentalität. Wir glauben, dass wir jemanden scheiße behandeln müssen, um selbst nicht scheiße behandelt zu werden. Das Gleiche gilt für unsere Politiker. Und weil die wiederum auch so sind, fragt sich der einfache Mann auf der Straße, „Warum sollte ich Steuern zahlen? Warum sollte ich mich einen Scheiß um irgendwas scheren?" Es ist ein Teufelskreislauf. Das ganze System ist seit Beginn am Arsch. Eigentlich hat jeder italienische Politiker, den es jemals gab, sich bereichert und einen beschissenen Job gemacht. Die Leute haben das nur nicht gemerkt. Schau dir nur mal unsere Staatsverschuldung an.

Und jetzt ist eure und fast jedermanns schlimmste Befürchtung wahr geworden: Berlusconi ist zurückgekehrt.
Ja … Ihm gehören eben die meisten Fernsehsender. Der Typ hat so viel Macht. Denk allein mal an die Menge an Menschen, die für ihn arbeiten. Was denkst du, für wen die gestimmt haben? Die ewigen Ignoranten haben ihn wieder gewählt. Der Typ ist ein absolutes Arschloch. Und ein Vollidiot. Noch vor wenigen Wochen hat er 4 Millionen neue Arbeitsplätze gefordert. Italien hat aber nur 3,5 Millionen Arbeitslose.
Hat er nicht auch etwas mit der Mafia zu tun?

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Es wird ihm auf jeden Fall vorgeworfen. Bei manchen Geldern ist sich keiner sicher, wo sie herkommen.
Davide: Das größte Problem ist wirklich das Fernsehen. Italienisches Fernsehen ist komplett behindert. Alte Leute informieren sich nur durch die Glotze. 'E una merda! Die politischen Programme sind größtenteils Rotz. Die Leute schreien sich einfach nur an und machen sich gegenseitig nieder. Es gibt keinen konstruktiven Dialog. Schrecklich. Aber das ist eigentlich auch nur ein Spiegel italienischer Mentalität.
André: Wir brauchen wirklich ein Wunder in Italien!

Ist es gerade wirklich so schlimm?
Davide: Ja! Wir sind gerade in einer brandgefährlichen Situation. Unsere ganze Kultur verarmt immer mehr. Wenn es die nächsten Monate hart auf hart kommt, werden die Italiener keine Revolution starten, denke ich. Sie werden sich eher gegenseitig die Köpfe einschlagen. Es muss sich etwas tun, sonst wird es Blut in unseren Straßen regnen. Und danach: Nichts mehr. Chaos … Wirklich?
Davide: Ich bin davon überzeugt. Berlusconi ist zurückgekehrt … Die Hölle steht uns bevor. Aber andere Politiker sind ähnlich wie er. Sie machen Gesetze, nur um sich selbst zu schützen. Wie ist denn generell gerade in Italien zu leben? Andrè du bist dein eigener Chef mit deinem Label Anchors Aweigh. Richtig beschissen im Moment?
Andrè: Ja es ist schon hart. Etwa die Hälfte meines Einkommens gehen für die Steuern drauf. Wenn dein Business also nicht perfekt läuft, bist du am Arsch. Für mich bedeutet das, dass ich mir den Arsch abarbeite, nur um Steuern zu zahlen. Geil. Aber was ich an der italienischen Kultur mag, ist, dass die Familie so wichtig ist.
Davide: Ja, das stimmt. Wahrscheinlich ist sie uns zu wichtig. Haha.
Andrè: Im Moment sollten wir uns eher um unseren Staat kümmern. Wir haben einfach kein Gemeinschaftsgefühl. Das ist bei euch Deutschen anders. Italiener fühlen sich im Fußball mehr verbunden als irgendwo, wo es wirklich wichtig ist.

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Was ist aus la Dolce Vita geworden?
Andrè: Das gab es vielleicht in den 60ern. Jetzt ist alles ein reiner Albtraum. Hahaha. Stichwort Albtraum: Habt ihr eigentlich auf Sardinien auch so etwas wie die Mafia?
So etwas ähnliches: „Anonima Sequestri" heißt das bei uns. Das war in den 80ern richtig groß. Sie kidnappen irgendwelche berühmte oder wichtige Leute und erpressen Geld von deren Familien. Wenn die nicht zahlen, schneiden sie ihren Opfern den Finger oder das Ohr ab und schicken es der Familie. Warum fragt uns eigentlich jeder immer nach der Mafia? Auf jeder Tour wurden wir das gefragt. Wir sind nicht aus Sizilien, zum Teufel noch mal!

Hahaha. Sorry! Dann erzählt uns doch noch etwas zur NATO Militärbasis nahe Cagliari, eurer Heimatstadt.
Davide: Wegen dieser Scheiße gibt es eine Haufen Krankheiten bei uns. Die Krebsrate ist bei uns viel höher als im italienischen Durchschnitt. Die NATO spielt ihre kleinen gefährlichen Kriegsspiele an unseren schönsten Stränden und zerstört sie damit. Die Strände stehen eigentlich unter Naturschutz. Warum lassen die Sardinier das zu?
Es gibt viel Arbeitslosigkeit in Sardinien. Also denken die Leute, dass sie die Industrie brauchen, die mit so einem Militärkomplex kommt. Wir sollten uns aber eher darauf besinnen, wie wir einst gelebt haben. Ruhiger, verbundener mit der Natur. Die chemische Industrie, die die NATO angezogen hat, zerstört unsere Küsten und Strände. Und die Menschen.
Andrè: Sardinien ist wirklich ein Paradies. Aber es wird gerade zerstört.
Davide: Wir könnten eigentlich alleine vom Tourismus leben. Vier Stunden am Tag arbeiten und dann am Strand liegen. Haha.
Andrè: Unser Problem ist, dass wir Sklaven Roms sind.

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Drückt ihr diese Verzweiflung über die Zustände in eurer Heimat in eurer Musik aus? Einer eurer alten Songs bei Gold Kids hieß We're all desperate Soils".
Andrè: Mit Gold Kids habe ich das in gewisser Weise getan. Ich hasste mein Land so sehr, dass ich nichts anderes wollte als zu touren und permanent unterwegs zu sein. Nachdem wir wirklich viel unterwegs waren, ganz Europa mehrmals und in Australien, habe ich aber angefangen, Sardinien für das zu lieben, was es ist. Ich habe früher alles fürs Touren aufgegeben. Job, Wohnung. Ich wollte flüchten. Mit unserer neuen Band STONE XXV ist das anders. Ich hasse jetzt nicht mehr alles. Ich bin wie ein verlorener Sohn, der nach Hause kommt.

Mama, I'm coming home! Haha. Wie waren denn die Aufnahmen? Ihr seid wieder auf Ben Philips' Schiff. Du singst jetzt auch richtig, oder?
Andrè: Ja schon.
Davide: Wie ein Chorjunge. Hahaha.
Andrè: Nach Jahren des Schreiens ist es wirklich schwierig, irgendwo anders hinzugehen mit deiner Stimme. Und ich bin wirklich kritisch mit mir selbst. Vielleicht werde ich auch einfach alt. Haha. Was ist sonst noch anders mit der neuen Band?
Andrè: Wir versuchen nicht mehr wie irgendwer anders zu klingen. Wir machen einfach, was wir wollen. Bei Gold Kids ging es ja viel um eine sogenannten Szene. Ich liebe aggressive Musik immer noch, aber künstlerisch sind wir jetzt viel offener. Die neue Platte handelt davon, die Vergangenheit hinter sich zu lassen. Wir fühlen uns keiner Szene mehr zugehörig. Wir machen nur noch, was wir lieben. Wie beeinflusst denn das Schiff eure Aufnahmen?
Andrè: Es gibt dir eine Menge Freiheit. Wir haben viel experimentiert. Und mit Ben Philips arbeiten ist einfach großartig. Was denkst du, war der größte Einfluss, den ihr mit Gold Kids hattet?
Andrè: Ich denke nicht, dass du sagen kannst, wir hätten die Szene großartig beeinflusst. Aber was wir definitiv bewiesen haben, ist, dass, wenn du etwas wirklich willst, dann kannst du es Wirklichkeit werden lassen. Wir sind nicht reich. Wir kommen von einer kleinen Insel. Wir müssen für jede Reise das Meer überqueren. Aber wir haben trotzdem zigmal in ganz Europa getourt und waren in Australien. Wir haben unsere Isolation überwunden.

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Johannes hasst Berlusconi ebenfalls, dafür liebt der den Peerclown. Wieso erklärt er bei Twitter: @JohnVouloir

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