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Captain Ashi—Unterwegs im räudigen Band-Kosmos

7 Arten von Fans, vor denen du Angst haben musst

Ich wünschte, ich hätte mir das ausgedacht.

Es gibt einen Grundsatz in der Geschichte jeden Musikers, der sich nie ändern wird: Bevor du als Band auch nur annähernd in die Sphären von Fame und Bling Bling kommst, braucht es eine handvoll enthusiastischer Anhänger, die dein illustres Elektro-Projekt von Anfang an pushen und unterstützen. Ein paar Verrückte, die deine Band schon in ihrer kläglichen Startphase feiern, wegliken und absharen. Echte Fans halt. Es ist ein Privileg, sie an Bord zu haben, und ein noch größeres, sie zu halten. Sie zaubern dir in Facebook-Kommentaren und am Merchandise-Stand ein Lächeln ins Gesicht und tragen in kleinen Teilen zu deiner Heizkostenabrechnung bei. Wenn du nett zu ihnen bist, backen sie dir vielleicht sogar mal einen Kuchen oder bringen dir selbst gebastelte Pikachus vorbei. Echte Fans sind einfach das Beste, was dir passieren kann.

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Dennoch musste ich sowohl auf Tour mit meiner eigenen Band als auch als Begleiter und Beobachter anderer Künstler auf Fans stoßen, die es an der ein oder anderen Stelle einen Tick zu gut meinen. Deswegen hier das Horrorkabinett: Fans, vor denen ihr als Musiker Angst haben müsst. Falls ihr euch beim Lesen der nächsten Absätze angesprochen fühlt—nehmt‘s nicht so tragisch und redet euch einfach ein, ich übertreibe maßlos.

Der Besserwisser

Er stürzt dir begeistert entgegen und gratuliert dir zu einer fantastischen Show, nur um dir danach die wirklich wichtigen Dinge mit auf den Weg zu geben: was du alles besser machen kannst. „Wisst ihr, was bei euch noch fehlt? So ein paar richtig geile Chiptune-Sounds. Das kommt jetzt mega, da geht ihr voll steil durch die Decke!“ Ist notiert, wird erledigt. „War mal wieder supergeil die Show, aber ohne diesen Vocal-Effekt wär das echt noch viel fetter!“ Stimmt, super Idee! Wieso wir da nicht selbst drauf gekommen sind? „Wisst ihr, was bei euch noch fehlt? Ein riiichtig geiler Schlagzeuger. Ich hab ja selbst mal ein paar Jahre auf den Drums…“ Stimmt, du bist engagiert!

Der Besserwisser nimmt seit zwei Jahren Gitarrenunterricht, hat vorgestern Traktor DJ entdeckt oder „Kennt sich schon ewig in der Szene aus.“ Er sucht dich nach der Show nur auf, um dir seine kostbaren Weisheiten zu vermitteln, in der Hoffnung, dass… Ja, wieso eigentlich? Vielleicht, damit eines Tages im Kleingedruckten auf Seite 12 deines Album-Booklets steht: „Danke an Max Borkelbier aus Cottbus für den Tipp mit den Chiptunes. Ohne dich wäre dieses Album nie zustande gekommen.“ Ich weiß es auch nicht. Fest steht nur, dass die meisten Besserwisser es eigentlich nicht böse meinen. Getrieben vom Feuer der Kontaktaufnahme wollen sie im Grunde nur eines: Ein kleines bisschen fachsimpeln. Also zustimmend nicken und lächeln, vielleicht ist ja irgendwann mal ein echt nützlicher Ratschlag dabei. Schlagzeuger-Visitenkarten trotzdem bitte in den Blech-Eimer da drüben.

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Der Kritiker

Nahe verwandt mit dem Besserwesser ist der Kritiker. Der Kritiker lässt sich zwar sein Poster signieren und kauft dir deine neue Platte ab, schämt sich aber wohl insgeheim dafür, dass er gerade 10€ für eine Elektropop-CD ausgibt und dafür auch noch zwei Minuten Schlange stehen muss. Was er dich auch gerne wissen lässt, während du mit Edding eine Widmung zu Papier bringst. „Also ich bin ja euer größter Fan, aber das hab ich schon mal besser gesehen, so 'n Konzert.“ Du zwingst dir ein kurzes „Sorry“ raus und schreibst weiter. „Is' auch viel Playback, ja?“ Du erklärst ihm in kurzen Atemzügen, wie elektronische Live-Shows funktionieren und drückst ihm sein Plakat in die Hand. Doch der Kritiker lässt nicht locker: „Ich bin echt Fan Nummer 1 hier in Wien, aber mal ehrlich, die Gitarre, die kam doch vom Band.“ Du versicherst ihm, dass die Gitarre nicht vom Band kam und schüttelst ihm verabschiedend die Hand. Der Kritiker legt allerdings gerade erst los. Irgendwann wirst du nicht mehr drumherum kommen, die Aufgabe an deinen schweigsamen Merch-Verkäufer zu geben, der den konstruktiven Beschwerdehagel mit Stille im Keim erstickt. Merk dir dennoch das Gesicht deines selbsternannten größten Fans, denn du wirst es morgen in der Kommentarspalte bei Facebook wieder sehen.

Die Band zum Anfassen

Der Stalker

Der Stalker kennt dich besser, als es dir lieb ist. Er merkt sich deinen Geburtstag, kennt den Vornamen deiner Mutter und hat irgendwo noch das peinliche Foto auf dem Rechner, das du mit 16 in deiner Emo-Phase im Alexisonfire-Forum gepostet hast. Dieser Fan wird bei vier von fünf Shows schon vor den Clubtüren in der Kälte auf dich warten, bevor du überhaupt die Stadt erreicht hast. Er wird als erster sein Ticket lösen und als letzter gehen. Wenn du denkst, du kannst dich endlich volltrunken und anonym deinen miesen Dancemoves hingeben und die Aftershow unsicher machen, wird er dich immernoch auf Schritt und Tritt verfolgen. Egal, ob auf dem großen Festivalgelände oder in kleinen, verschrobenen Bars: Der Stalker wird immer irgendwo in sichtbarer Nähe lauern und ein Auge auf dich werfen. Du wirst dich fragen, wie dieser Mensch es so irre schnell vom Bühnenrand zur Backstagetür und wieder zurück schafft. Einige munkeln, diese Fans können zaubern und besäßen Teleportationskräfte. Andere behaupten, sie hätten die Kontrolle über ein hochentwickeltes Abhör- und Trackingnetz aus GPS-Peilsendern und Wanzen. Erschreck dich nicht, wenn du nachts noch mal zum Pinkelngehen durch den Club steuerst und sich plötzlich eine mysteriöse Gestalt aus dem Dunkel schält—der Stalker will nur spielen. Auch im Internet! Hier freundet er sich virtuell mit all deinen Familienmitgliedern und Vertrauten an, um das Netz der Überwachung auszuweiten und dir so noch ein Stückchen näher zu sein. Verärger den Stalker bloß bitte nicht, wir alle haben Stephen Kings Misery gesehen und du willst deine Füße noch eine Weile behalten.

Der Knausrige

Der Knausrige hat sich vor dem Ausgehen exakt 20€ ins Portemonnaie gesteckt. 8€ sind für den Eintritt drauf gegangen, für 7€ hat er sich zwei Bier geholt. Jetzt ist der Knausrige blank. Er möchte trotzdem ein kleines Andenken an die Show mit nach Hause nehmen, weshalb er vorerst minutenlang um den Merchandise-Tisch schleicht, um zu beobachten. In seinem Kopf rattert es mühsam vor sich hin, während er die Preise von T-Shirts, Schallplatten, Buttons und dem dritten Bier vergleicht. Irgendwann tritt er dann mutig mit einem „Aaaalso!“ an dich heran. Der Knausrige erzählt dir von seiner beschwerlichen finanziellen Lage, betont aber, dass er den Laden auf keinen Fall mit leeren Händen verlassen kann. Du bietest ihm einen Button an, ein Poster, ein reduziertes Shirt mit Loch in der Naht, doch du stößt auf Granit. „Ich wollt eigentlich schon ganz gern das neue Album mitnehmen, kann man an dem Preis noch was machen?“ Kann man nicht. Wenn ich eins von Audiolith-Labelchef Lars Lewerenz gelernt habe, ist es, dass der Merchandise-Bereich deiner Band kein verdammter Basar ist. Die Gewinnspanne deiner ökologisch fair produzierten Kapuzenpullies und Liebhaber-Vinyls ist so schon knapp genug. Wenn du jetzt anfängst, Rabatte zu erlassen, gibt es morgen auf der Autobahn keine Currywurst für dich und deine Crew. Wenn du mit den Pleitegeiern noch sympathisierst und dich tatsächlich im Angesicht ihrer leeren Geldbörse zu einem Deal hinreißen lässt, warte ab, bis der Endboss der Knausrigen vor dir steht. Auch er wird versuchen, um eine CD zu feilschen, als würde er sich gerade einen neuen Kleinwagen zulegen. Mit dem Unterschied, dass aus seinem Portemonnaie gleich mehrere Fuffies flattern, während er nach einem zerlotterten 5€ Schein wühlt. Nichts ist schlimmer, als Typen, die Geld haben und trotzdem mit dir um jede Mark feilschen. Wenn dann auch noch gefragt wird, ob es noch einen Button gratis oben drauf gibt, darf man gerne auch mal wie Lars Lewerenz reagieren: Mit der flachen Hand auf den Tisch wummern und dabei schreien „WIR SIND HIER NICHT AUF DEM KACK JAHRMARKT MANN, VERPISS DICH JETZT!“

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Die Fehlinformierte

Irren ist menschlich und keineswegs verwerflich. Ich selbst irre mich so zwei- bis dreimal im Jahr. Trotzdem ist es unbestritten immer ein bisschen peinlich, wenn man mit Nischenwissen und Know-How glänzen will und dabei in ein Fettnäpfchen nach dem anderen tritt. Die Fehlinformierte kann dir zuerst gar nicht oft genug sagen, wie großartig sie deine letzte Platte fand und wie sehr es ihr leid tut, dass sie es heute nicht rechtzeitig zur Show geschafft hat. Bis dahin alles gut. Jetzt bloß keine Patzer machen. „Am geilsten finde ich aber echt immernoch den Song mit der Lederjacke!“ Du hast ein unverkennbares Fragezeichen über dem Kopf, das auch ihr nicht entgeht. „Na den mit der Lederjacke! DU ZIEHST DIE LEEEDERJACKE NIE WIEDER AUS!“ Dir blüht, was jetzt kommt. Ist der Zug erst mal aus den Gleisen gesprungen, gibt es kein Halten mehr für die absolute Katastrophe. Vorsichtig versuchst du, das Debakel zu verhindern. „Ah, meinst du vielleicht Nachtjacke?“ „Ja, JA! Genau das!“ „Der Song ist aber gar nicht von uns.“ Die Erschütterung steht ihr ins Gesicht geschrieben, als hättest du ihr gerade vor die Füße gekotzt. „Aber, aber… nee, das ist doch von euch. Captain Capa, richtig?“ Du probierst ein letztes mal, zu retten, was noch zu retten ist. „Das sind wir schon, ja, aber der Song ist nicht von uns, sorry. Aber macht ja nix!“ Ab hier geht leider gar nix mehr. „Aber ihr seid schon die mit dem Lied über‘s Ausschlafen? Rote Flora und so?“ „Das ist Captain Gips.“ „Aaah, stimmt. Aber neulich bei Circus Halligalli wart ihr voll super!“ „Da sind wir ehrlich gesagt noch nie…“ „Na ich finde trotzdem, als ihr früher noch mit den Clowns-Masken und dem Kunstblut gespielt habt, wart ihr am geilsten.“ „Was zur…?“

Der volltrunkene Druffie

Jeder liebt einen gesunden, angenehmen Vollrausch. Nichts bietet sich mehr an, als das Blitzlichtgewitter zur Aftershow deiner Lieblingsband, um dich so richtig schön abzuschießen. Es bietet sich allerdings auch nichts weniger an, als sich bereits zum Soundcheck deiner Lieblingsband so richtig schön abzuschießen. Für Bands und Merch-Verkäufer kann es besonders vor und kurz nach der Show kaum etwas Schrecklicheres geben, als Vollstraffe, Zugezogene und Verschallerte. Ganz egal, ob du der Band aus der ersten Reihe in die Synthie-Tasten kotzt oder am Merch-Stand die Platten vom Tisch reißt – beliebt machst du dich damit nicht. Auch wenn du danach mit klebrigen Fingern nach mir greifst und mir versicherst, dass wir „Die geiiiilste Band auf Audiolith!!“ sind. Keine Angst, meine Toleranzgrenze gegenüber Druffies und Besoffenen ist bemerkenswert hoch, was wohl meiner eigenen Vorliebe zum Delirium zuzuschreiben ist. Wahrscheinlich werde ich dir also auch beim fünften Mal noch mit einem freundlichen „Nein“ auf die Frage antworten, ob wir auf deinem Geburtstag spielen können. Kritisch wird es z.B., wenn du mir mit einer Hand mit der Schnapsflasche im Gesicht rumfuchtelst, während du mit der anderen gerade deinen schwitzigen Sack auf unsere Schallplatten legst. Ich wünschte, ich hätte mir das ausgedacht.

Foto: Toni Propeller

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Der Bühnenheld

Der Bühnenheld ist meistens nicht älter als 17 Jahre und hat irgendwo auf YouTube mal gesehen, wie bei Deichkind 2007 die Bühne gestürmt wurde. Seitdem jagt er jenem magischen Moment hinterher, der Band und Publikum verbindet, wie kein zweiter. Die Tradition des „Operation Bühnensturms“ wurde von Bands aus unserem Freundeskreis über viele Jahre geduldet, mitunter sogar gepflegt und auch wir sind uns der Schuld einiger Bühnenstürme sehr wohl bewusst. Wenn das Konzert auf dem Höhepunkt ist und die Stimmung ihren Siedepunkt erreicht, kann die Nacht manchmal eben nur noch getoppt werden, wenn die Grenze zwischen Musiker und Publikum völlig verschwimmt und plötzlich einfach ALLE auf der Bühne stehen und zu einem transpirierenden Menschenknäuel werden. Der Bühnensturm ist nichts, was man erzwingen oder fordern sollte—es ist vielmehr ein unkontrollierbares Ereignis, eine sagenumwobene Macht, die passiert, wenn sie passiert. Aber erklärt das mal dem 16-Jährigen in der ersten Reihe, der gerade das erste Bier seit seiner Konfirmation gezischt hat. Es ist leider keine allzu rare Seltenheit, dass zu irgendeinem Punkt deines Gigs überraschend zwei pubertierende Betrunkene über den Bühnenrand krakeln und plötzlich neben dir stehen. Nicht, um wieder in die Menge zu springen, sondern einfach nur, um „abzugehen.“ Da stehen sie dann, die beiden, mit Sonnenbrille im Club und Becks in der Hand. Unrhythmisch wackeln ihre Knie zum Beat, unbeholfen heben sie die Hände in die Luft. Wahrscheinlich bereuen sie gerade nichts so sehr, wie die beschissene Idee, ihre Lieblingsband auf der Bühne zu besuchen. Wieso feiern die Leute gerade nicht richtig hart ab? Und wie kommt man hier eigentlich galant wieder runter? Bei Deichkind sah das irgendwie cooler aus. Einfach noch mal an der Flasche nuckeln und mit den Knien wackeln.

Schlimmer wird es nur noch, wenn sich gleich eine ganze Schulklasse aufs Konzert verirrt und die Bühne in Angriff nimmt. Dann hilft nur noch, sich zwischen den hopsenden Gymnasiasten zu verstecken, sich kurz an den Rand zu verpissen und der Klasse 10b ihren Moment im Rampenlicht voll und ganz alleine zu gönnen. Nach dreißig Sekunden ist dann auch der letzte von ihnen vor Scham im Bühnenboden versunken.

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Ihr seht, auch unter euren größten Unterstützern können sich ein paar Irrlichter befinden, die euch den Abend zur Hölle machen. Aber keine Panik: 9 von 10 Fan-Begegnungen verlaufen herzerwärmend, unkompliziert und ausgesprochen friedlich. Wenn ihr nicht gerade in einer Rechtsrockband spielt. Selbst bei den wenigen Totalausfällen lässt sich fast immer feststellen, dass in dem Moment eures Zusammentreffens vielleicht nur gerade eine Synapse durchgebrannt ist, ein Bier zu viel im Spiel war oder eben einfach ganz überraschend ein Fettnapf auf dem Boden erschienen ist. Erinnert euch an eure eigenen idiotischen Fan-Momente von früher („Hallo, äh, ich mach privat so Grafikkram, kann ich ihnen meine selbst ausgedruckte poplige Visitenkarte geben, Herr Sänger?“) und bleibt freundlich. Aber denkt an Misery. Denkt immer an Misery!

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