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Staiger vs das Elend der modernen Welt

„Wenn es um die Verkaufszahlen geht, ist künstlerische Authentizität vollkommen irrelevant“

Ein Kommentar von Staiger zum „epischen Interview“ mit Fler.

Ein Interview erscheint und HipHop-Deutschland flippt aus. Es geht um Authenz im Rap-Geschäft und es ist der gute alte Fler, der sich da in Rage redet. Dabei hört er sich an, wie der noch gutere und ältere Herr Torch, der sich vor rund 15 Jahren ein paar graue Haare wachsen ließ, als ein paar Berliner Rapper das Game übernommen und damals „seine“ Kultur zerstört hatten. Jetzt haben sich die Zeiten also geändert und da sitzt nun Fler, der sich darüber ärgert, dass ein paar andere Menschen auf seiner Spielwiese namens HipHop herumrennen und Schindluder mit seiner Kultur treiben, wobei es sich hierbei abwechselnd um einen Lifestyle, eine gewisse Herkunft, oder auch nur um die Eigenschaft der Coolness an sich dreht—ganz verstanden habe ich das nicht.

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Im Trailer, der schon vorab zu sehen war, beschreibt Fler das Interview, das er für Backspin TV gegeben hat, als episch—und er hat recht damit. Dieses Interview ist tatsächlich episch, denn weitschweifiger und ausladender geht es nun wirklich nicht. Auf anderthalb Stunden Länge wird die Frage erörtert, ob eine Rapperin oder ein Rapper gelebt haben muss, was sie oder er da rappt. Ob eine Rapperin oder ein Rapper also authentisch sein muss. Ob er oder sie real sein muss, um cool zu sein. Das ist eine interessante Frage, vor allem, weil sie im Jahr 2016 gestellt wird, wo man doch dachte, dass dieses Thema schon längst durch ist und eigentlich alles erlaubt ist, solange es unterhaltsam ist. Mit viel Gebrüll und jeder Menge abstrusen Beispielen machen Fler und seine beiden Sidekicks Sentino und Jalil dem etwas überfordert wirkenden Moderator Niko Hüls klar, dass eigentlich nur der rappen darf, der einer gewissen „Rap-Leitkultur“ folgt, die nun mal Straße ist. Irgendwelche Dörfer hätten dieser Rap-Leitkultur nun mal nichts hinzuzufügen und deshalb dürfen Rapper von dort das auch nicht machen und schon gar nicht, wenn sie aus Mainz kommen. Wobei wir dann beim eigentlichen Thema der Sendung angekommen wären: Kollegah.

Kollegah kommt nämlich aus Mainz und bedient sich unverschämterweise einschlägiger Gangster- und Straßenrapklischees, ohne vorher beim Deutschen HipHop e.V. um Erlaubnis gebeten zu haben. Der macht das einfach, und laut Fler macht er das nur, um sein eigenes, armseliges Leben interessanter zu gestalten und zweitens um sich über Typen wie Fler und Sentino lustig zu machen, die diesen Scheiß nun mal leben. Darüber ist Fler so sauer, dass er über fast nichts anderes sprechen kann, seinen Interviewpartner nicht mehr zu Wort kommen lässt und diesem permanent unterstellt, dass dieser diese „fake Scheiße“ auch noch promotet. Überhaupt hätten die Medien und speziell die Rap-Medien dazu beigetragen, dass dieser un-reale Dreck heutzutage so erfolgreich sei und dass die einschlägigen Zeitschriften und Internetseiten in dieser Frage ihrem Erziehungsauftrag nicht nachgekommen seien. Schließlich sei dieser aber doch eindeutig im deutschen HipHop-Bildungsrahmenvertrag aus dem Jahr 1978 festgelegt und von der Deutschen Realness-Kommission im Jahr 2001 verabschiedet worden und in dem stehe nun mal: Über die Straße rappen darf nur, wer Straße ist.

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Außerdem, so bemerkt Fler, würden sich die ganzen Leute, die Straßenrap hören und sich dann auf der Straße mit „Chabos wissen wer der Babo ist“ begrüßen, nur über die asozialen Typen belustigen, von denen man sich zwar die krassen Videos anguckt, die man aber lieber nicht in die Villa der Eltern einlädt, weil die ja die neue Ledercouch dreckig machen könnten. So wie Affen, die man sich halt im Zoo anguckt, die aber bitteschön auch im Zoo bleiben sollen.

Nun, ganz Unrecht hat Fler mit diesem und allen anderen Punkten natürlich nicht, auch wenn es schwer fällt, die klaren Gedanken in all dem Durcheinander und Geschrei ausfindig zu machen. Natürlich wäre eine aufrichtigere Kunst in einer aufrichtigeren Welt schöner und natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Erfolg eines Rappers wie Haftbefehl nur deshalb zustande kommt, weil seine Tracks auf jeder Matura-Party gespielt werden und jeder Neunzehnjährige sich als krasser Banger fühlen kann, mit dem richtigen Soundtrack im Ohr – so funktioniert halt Pop-Musik. Aber genau das lässt Fler an dieser Stelle nicht gelten. Er will einen Unterschied sehen, zwischen Pop und Rap und fordert deshalb für Rap auch ganz andere Standards ein. Er will, und in dieser Beziehung ist er wirklich old-school, dass man nur über das rappen darf, was man auch erlebt hat. Wobei er gleich zu Beginn des Backspin-Gesprächs allerdings schon wieder einschränkt, dass man durchaus auch über das rappen könne, was das eigene Umfeld so treibt. Schließlich habe er selbst nie mit Kokain gedealt, wie er beteuert, obwohl er darüber gerappt hat, dafür kenne er aber eben Leute, die das tun, was Legitimation genug sei.

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Nun könnte man einwenden, dass auch in Mainz Kokain konsumiert und gedealt wird und es keine große Kunst ist, die entsprechenden Leute kennen zu lernen, aber das ist nicht der entscheidende Punkt. Der entscheidende Punkt ist, dass Fler die Konsequenzen eines Systems beklagt, dass er selbst jahrelang begrüßt und unterschrieben hat: Musik ist eine Ware und am Ende steht der Gewinn. Interessant ist, was sich schlussendlich auch verkauft.

Nun gehört Fler ohnehin nicht zu den Gegnern der freien Marktwirtschaft. Es ist ja auch nicht unbedingt so, dass es sich bei der öffentlichen Person Fler um einen Gegenentwurf zur Künstlerpersönlichkeit von Kollegah handeln würde. Auch Fler versuchte sich, durch seine Videos und sein Auftreten, mit einer Aura das Erfolgs zu umgeben, auch er war und ist ständig darum bemüht, Statussymbole vorzuzeigen, auch er versuchte, mit der horizontalen Diversifikation seiner Geschäftsfelder den Eindruck eines umtriebigen Businessmannes und Selfmademillionärs zu erwecken, auch er betätigt sich im Bereich der Vermarktung von Fitnessprodukten—offensichtlich mit etwas weniger Erfolg als sein Kollege. Fler selbst ließ mich vor Jahren schon in einem sehr langen Telefonat wissen, dass ihn die Einhaltung gewisser Rap-Standards nicht interessieren würde. Auf den Vorwurf meinerseits, dass er nicht rappen könne, entgegnete er nur: „Ist mir scheißegal. Ich verkaufe trotzdem mehr als jeder Rapper bei Royalbunker“, womit er wahrscheinlich sogar Recht hatte. Auch für ihn waren lange Jahre die reinen Verkaufszahlen das Maß aller Dinge.

Doch nun also ist alles anders. Nun geht es also um Realness. Nun also entdeckt er plötzlich die schädlichen Auswirkungen dieser Rechenweise und hält sie für das eigentliche Ziel einer Musik- und Medienlandschaft, die das alles nur macht, um die Fakeness salonfähig zu machen. Nein! Das ist nicht so, denn wenn es um die Verkaufszahlen geht, dann ist künstlerische Authentizität vollkommen irrelevant. Wenn am Ende zählt, was hinten rauskommt, dann ist es vollkommen gleichgültig, ob jemand real ist oder nicht. Wenn es darum geht, dass auch Musik nur eine Ware ist, die verwertet werden möchte, dann laufen die Dinge so, wie sie jetzt laufen—genau richtig.

Authentizität hin oder her.

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