Wir alle genießen immer wieder mal traurige Musik. Entweder versinkt man in den melancholischen Klängen von Bands wie The xx, heult und rotzt zu Bon Iver in seinen Kopfpolster, nachdem man sich zum 15. Mal in einer Woche forever alone fühlt, oder drückt bei diesem Song immer wieder Repeat, weil man weiß, dass die Tränen dann noch hemmungsloser fließen werden. Traurige Musik ist das Gegenstück den Popsongs übers Booty shaken, und ist für den Hörer die tröstende Schulter, die immer da ist, wenn alle anderen gerade was Besseres zu tun haben.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie versucht zu erklären, warum Menschen so gerne traurige Musik hören. Die erste Antwort, die mir persönlich auf diese Frage einfallen würde: Es scheint, als würden wir traurige Songs hören, weil wir halt auch nur Menschen sind, und uns manchmal gerne in unserem eigenen Leid wälzen. Die Studie, die von den Studenten Lilla Taruffi und Stefan Kölsch an der Uni Berlin durchgeführt wurde, kommt zu einem etwas anderen Ergebnis: Die Hauptemotion, die man beim Hören von traurigen Liedern bei sich selbst auslöst, ist Nostalgie. Letztendlich hören wir diese langsamen, melancholischen Songs also, um in Gedanken an vergangene, bessere Zeiten zu schwelgen. Außerdem ist traurige Musik laut der Studie besser für’s Gehirn als euphorische und schnelle Musik, besonders, wenn wir uns mit intensiven, komplexen Emotionen auseinandersetzen müssen. All diese Informationen klangen derart interessant, dass ich Lilla kontaktierte, um mich mit ihr über die Studie zu unterhalten.
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Noisey: Was mich brennend interessiert: Warum hast du dich überhaupt dazu entschlossen, eine Studie über traurige Musik zu machen?
Lilla: Ich habe während eines Philosophie-Kurses auf der Uni begonnen, mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, warum Menschen eigentlich traurige Musik genießen. Von da weg hat sich ein stetiges Interesse dafür entwickelt, dass auch auf meinen persönlichen Erfahrungen mit Musik basiert. Ich habe dann begonnen, mir tagtäglich meinen eigenen Musikkonsum anzuschauen.
Aber warum hast du deinen Fokus ausgerechnet auf Musik gerichtet?
Musik ist ein starkes Medium, wenn es darum geht, Emotionen zu transportieren und erleben. Wissenschaftler versuchen die psychischen und neurologischen Mechanismen zu verstehen, die sich beim Musik hören in uns abspielen, aber letztendlich ist das Ganze nach wie vor ein Mysterium. Zumindest, wenn darum geht, die Tiefe und Komplexität zu verstehen, die man dabei erlebt.
Wie seid ihr das mit der Untersuchung angegangen? Habt ihr einfach ein paar Leute in einen Raum eingesperrt und ihnen Neutral Milk Hotel vorgespielt?
Wir haben eine groß angelegte Online-Untersuchung zum Thema traurige Musik gemacht. Da Traurigkeit eine Emotion ist, die wir normalerweise in unserem Alltag zu vermeiden versuchen, wollten wir herausfinden, warum Menschen sich trotzdem so gerne trauriger Musik aussetzen. Die Untersuchung beinhaltete Fragen, die sich mit dem Hörverhalten, den von der Musik ausgelösten Emotionen, dem Wohlbefinden, das durch traurige Musik entsteht, und der Persönlichkeit der Probanden beschäftigt. Wir haben die Antworten von insgesamt 772 Leuten auf der ganzen Welt gesammelt. Die Altersspanne reichte von 16 bis 78 Jahren, 64 Prozent der Befragten waren Frauen, und der Großteil der Teilnehmer waren Nicht-Musiker.
Habt ihr die Teilnehmer auch nach ihrem Musikgeschmack befragt?
Ja, sie sollten uns ihre liebsten traurigen Lieder nennen.
Welche Künstler wurden da am öftesten genannt?
Der Song, der am öftesten ausgewählt wurde war „Hurt“ von Johnny Cash. Auch Radiohead wurden oft genannt, besonders die Songs „Exit Music (For a Film)“ und „Street Spirit (Fade Out). Bei klassischer Musik nannten die Teilnehmer häufigsten die Mondscheinsonate von Beethoven. Außerdem wurde „Adagio for Strings“ von Samuel Barber und „Adagio in G Moll“ von Tomaso Albinoni häufig angeben. Weitere Songs, die sehr populär waren, sind „Someone Like You“ von Adele und „The Hear Asks Pleasure First“ von Michael Nyman.
Welche Emotionen haben die Teilnehmer beim Hören dieser Musik erlebt?
Nostalgie war die Emotion, die am häufigsten beschrieben wurde. Für mich deutet diese Tatsache darauf hin, dass viele Menschen mit trauriger Musik alte Erinnerungen wachrufen. Neben Traurigkeit löst diese Musik allerhand positiver Emotionen aus: Friedlichkeit, Zärtlichkeit, ein Gefühl des Erhabenseins, und Staunen. Ich schätze, dass traurige, langsame Musik deswegen so anziehend und angenehm zufriedenstellend auf Menschen wirkt.
Was schließt du daraus, dass Nostalgie so oft genannt wurde? Sagt das etwas darüber aus, wie wir mit Musik umgehen?
Nostalgie ist immer mit Erinnerungen verbunden. Deshalb schließe ich aus dieser Tatsache, das viele Leute traurige Lieder hören, um diese alten Erinnerungen zu wecken. Diese Tatsache hat sich insofern bestätigt, dass viele Teilnehmer angaben, traurige Musik zu hören, um an die Vergangenheit zu denken. Es gibt also einen starken Zusammenhang zwischen Nostalgie, Erinnerungen und trauriger Musik.
Wie sieht es mit fröhlicher Musik aus? Wenn Nostalgie mit trauriger Musik verknüpft ist, denke die Leute dann an die Zukunft, wenn sie schnellere, fröhlichere Songs hören?
Wir haben uns auch den Gebrauch von fröhlicher Musik angesehen und haben die Leute gefragt, wann und warum sie fröhliche Musik hören. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass die Teilnehmer am ehesten dann Fröhliches hören, wenn sie unter Freunden oder bei sozialen Ereignissen sind, um Freude und Zufriedenheit zu bewirken, und in gute, aber auch emotionale Stimmung zu kommen. Trotzdem glaube ich aufgrund der Ergebnisse, dass traurige Musik eher genutzt wird, um persönliche, seelische Funktionen anzusprechen—unabhängig davon, ob diese mit Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft zu tun haben. Aber das ist nur meine persönliche Sicht der Dinge.
Was ist nun der Unterschied zwischen fröhlicher und trauriger Musik, und wie wirken sie sich auf unsere Gedanken aus?
Ich würde sagen, dass traurige Musik eine Bandbreite an „inneren“ Prozessen, die mit dem eigenen Bewusstsein und den Gefühlen zusammenhängen, anspricht, und quasi mit „einsamen“ Denkprozessen verbunden ist. Fröhliche Musik hingegen spricht die „äußeren“, soziokulturellen Aspekte an.
Welcher ist dein liebster trauriger Song?
Ich habe einige. Aber der erste Song, der mir einfällt, ist „Sail to the Moon“ von Radiohead.
Welche Emotion löst er in dir aus?
Ich würde sagen: sehr tiefgehende Gefühle. Fast so Etwas wie Erhabenheit.
Was ist die letztendliche Schlussfolgerung aus eurem Projekt?
Das Projekt unterstreicht das Fähigkeit von trauriger Musik, negative Stimmung und Emotionen zu regulieren und Trost zu spenden. Es erklärt außerdem das Verlangen von Menschen nach trauriger Musik. Und es beleuchtet die Tatsache, dass Traurigkeit und Zufriedenheit womöglich tatsächlich zusammenhängen. Wenn man melancholische Musik hört, kann man Traurigkeit in einem sichern Umfeld erleben, weil sie ja nicht mit negativen Erlebnissen im realen Leben zusammenhängt.
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