Sätze über Politik, die du nicht mehr sagen solltest

Es ist ein rauer Herbst für die heimischen Volksvertreter. Die Politikverdrossenheit in Österreich ist bekanntlich relativ hoch. Das ist, anders als viele solcher Stehsätze, gar nicht mal nur eine gefühlte Wahrheit. Das Vertrauen der Bürger in die politischen Institutionen ist tatsächlich niedrig und sogar noch eher auf dem absteigenden Ast. Das herrscht auch nicht nur an den ominösen “Stammtische” vor, sondern zieht sich auch in akademische Kreise.

Nun darf man nicht jede Form von Politikverdrossenheit über einen Kamm scheren. Die Erwartungen sind ja oft andere. Vielen sozial Schwächeren gehen die Veränderungen zu schnell, vielen Eliten zu langsam. Die Politik versucht in einem zunehmend polarisierten Land möglichst viele zufriedenzustellen und schafft das immer weniger. Dafür bekommt sie Kritik. Mit Recht. Politiker sollten von der Bevölkerung in die Verantwortung genommen werden.

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Viele Leute haben von ihrer Warte aus berechtige Beschwerden. Dieser Staat ist je nach Sichtweise nicht liberal genug, nicht sozial genug, zu freundlich oder zu nachgiebig zu Flüchtlingen, zu modern und nicht modern genug. Aber nicht jede Pauschalkritik ist berechtigt, geschweige denn zielführend.

In Zeiten, wo sich sogar der “Jugendforscher” Bernhard Heinzlmaier mit Stehsätzen wie “Die Politik ist zu einer Ansammlung von handlungsunfähigen hohlen Gefäßen verkommen” im Standard zitieren lässt, verdienen die österreichischen Politiker vielleicht einmal etwas, das man als Journalist normalerweise nicht macht: eine Kritik der Kritik. Hier sind sechs Sätze, die man bei allem auch berechtigten Ärger über Politik nicht mehr sagen sollte.

“Politiker sind doch alle gleich.”

Tritt auch in der Form von „DIE POLITIK ist XY” auf. Meistens ist das XY dabei eher wenig schmeichelhaft.

Ja, es stimmt: Es gibt schlechte Politiker. Eine ganze Menge sogar. Es gibt faule Politiker. Es gibt Politiker, die mehr auf einen Versorgungsposten schielen. Es gibt Politiker, die Macht als persönlichen Selbstzweck sehen statt als Instrument, um wichtige Ziele für die Allgemeinheit zu erreichen. Es gibt Politiker, die statt Sachfragen lieber persönliche Fehden austragen. Das gibt es alles. In verschiedenen Abstufungen und in allen Parteien.

Aber es ist nicht die Regel. Ein Großteil der österreichischen Politiker und Politikerinnen hat die Verachtung, die ihnen teilweise entgegen gebracht wird, einfach nicht verdient. Und schon gar nicht in dieser Form. Politik ist ein Knochenjob, vor allem je höher man kommt. Man sitzt in Ausschüssen, tingelt zu Terminen, die man nicht besuchen will, und wird ständig für Dinge verantwortlich gemacht, für die man nichts kann.

Politiker sind oft erstaunlich zynisch, was politische Abläufe angeht. Aber sie sind auf der anderen Seite fast erstaunlich unzynisch, wenn es um Inhalte geht. Sie alle müssen aus Parteiräson Dinge öffentlich verteidigen, die sie privat nicht verteidigen würden. Aber eine überwältigende Anzahl der Politiker glaubt an das, was sie vertritt. Zumindest im Groben und bei ihren Spezialthemen.

Man kann und muss die Politik und einzelne Politiker kritisch betrachten. Sagen, wo man denkt, dass sie falsch liegen. Lösungen und Antworten auch auf schwierige Fragen einfordern. Aber wer Politik über einen Kamm schert, tut nicht nur den guten Politikern Unrecht, sondern macht es den schlechten Politikern zu einfach. Denn die profitieren verhältnismäßig am meisten von der Politikverdrossenheit, weil ihre mangelnde Qualität dann nicht aufzufallen droht. Mit Pauschalkritik verhindert man eigentlich exakt das, was man ja will: eine Verbesserung des politischen Personals.

“Politiker bereichern sich doch.”

Eine Abgeordneter des Nationalrats erhält aktuell 8.686,27 Euro im Monat. Für Klubobleute ist es natürlich mehr. Davon führen sie für gewöhnlich einen guten Teil als Parteisteuer an ihre Partei ab.

Keine Zweifel: Man verdient gut als Spitzenpolitiker. Nationalratsabgeordnete liegen in den oberen 10 Prozent der Einkommen. Das hat ein paar angenehme und ein paar unangenehme Nebenwirkungen. Es ist gut, dass sich die Politiker, die über das Wohl der Bevölkerung entscheiden, keine materiellen Sorgen machen müssen. Wo ein politisches System mit schlechter staatlicher Finanzierung hinführt, sieht man an den USA, wo Abgeordnete am Telefon Spenden erbetteln müssen, was natürlich wiederum die Abhängigkeit von potentiellen Spendern erhöht.

Ein großer Nachteile ist neben der schleichenden Entfremdung von den Sorgen der Normalverdiener (ja, auch Politiker brauchen Kinderbetreuung, aber es ist etwas grundlegend anderes, ob ich diese von 2.000 brutto oder 8.686,27 bezahlen muss) ein verhältnismäßig großer Anreiz, im System zu bleiben. Es lebt sich materiell nicht schlecht als Berufspolitiker.

Aber trotzdem: Verglichen mit guten Positionen in der Wirtschaft und gemessen an den Wochen(end)stunden bewegt sich das alles mehr als im Rahmen. Und von den Gehältern/Aufwandsentschädigungen, wenn man die Leiter hinunterschaut, braucht man gar nicht erst anfangen. Wiener Bezirksräte zum Beispiel sind de facto ehrenamtliche Positionen, unabhängig davon, für wie sinnvoll man sie hält. Da wird sich nicht auf breiter Front bereichert.

Es gibt etliche Punkte, die man kritisieren kann: Nicht-amtsführende Stadträte in Wien. Nebengehälter und mögliche Interessenskonflikte. Die Verbindungen zwischen Politik und Privatunternehmen, auf die Journalisten immer ein Auge haben müssen. Gerade wenn eine Partei so lange an der Macht ist wie in Wien oder Niederösterreich. Aber nein: “Die Politiker” bereichern sich nicht. Das politische System darf in einer Demokratie durchaus etwas kosten.

“Politiker schauen nicht auf das Allgemeinwohl.”

Was ist denn das Allgemeinwohl, und wer entscheidet das?

Das Problem am Begriff “Allgemeinwohl” ist, dass sich dahinter im schlimmsten Fall beinharte Partikularinteressen, aber auch im besseren Fall meist Ideologien verbergen. Und Ideologie mag im allgemeinen Sprachgebrauch etwas Furchtbares sein, aber eigentlich ist es das nicht. Ideologie bedeutet nur, dass das politische Handeln im Einklang mit grundlegenden Überzeugungen stattfindet. Ist es nicht eigentlich besser, wenn ein Politiker der NEOS wirklich der Ansicht ist, dass von einem Abbau von Regulierungen letztlich alle profitieren, als wenn er bewusst und zynisch Politik für die oberen 15 Prozent macht?

In letzter Zeit wird häufig der Eindruck erweckt, dass sich Politik entpolitisieren lasse. Parteien wollen keine Parteien mehr sein, sondern “BürgerInnenbewegungen”. Experten und Expertinnen sollen Entscheidungen von Parteipolitik treffen, weil die ja wüssten, wie man es besser macht. Das Problem ist: Das funktioniert nicht. Politik braucht den Rat von Experten. Aber irgendwann kommt man an den Punkt, wo die Entscheidungen zutiefst politisch werden.

Der Satz “Nach den Erfahrungen in anderen Ländern verringert eine Ganztagsschule wahrscheinlich den Zusammengang zwischen der Bildungsgrad der Eltern und den Bildungschancen des Kindes” ist ein wissenschaftlicher, kein politischer Satz. Die Politik setzt erst danach ein, wenn es um die Frage geht, was höher zu bewerten ist: Das Recht der Eltern, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie wollen oder die Pflicht des Staates, für Chancengerechtigkeit zu sorgen. Güterabwägung ist eine politische Frage, die auch nur politisch beantwortet werden kann.

Natürlich gibt es Entscheidungen, die klar Partikularinteressen durchsetzen. Und in vielen Fällen ist das wohl eher schlecht. Gewisse Gruppen behalten über historisch gewachsene Parteistrukturen eine Machtbasis, die ihrer realen Bedeutung nicht mehr entsprechen. Man kann argumentieren, dass das zum Beispiel bei den Bauern und der ÖVP so ist. Aber solche klaren Fälle gibt es viel seltener, als die inflationäre Verwendung des Begriffs “Allgemeinwohl” suggeriert. Politik ist Streit. In der Politik gibt es Gewinner und Verlierer. Politik braucht Politik.

“Politiker verstehen doch nichts von dem, was sie tun.”

An dem Satz ist einiges wahr und noch einiges mehr falsch. Ein politisches Amt ist nur bedingt eine inhaltliche Aufgabe. Die Gesundheitsministerin muss nicht die Details jeder Arzneinovelle kennen, dafür hat sie hochspezialisierte Mitarbeiter. Die vorrangige Aufgabe von Ministerien ist es, die Politik nach außen zu erklären und ihrem Ministerium nach innen die finanziellen Ressourcen zu verschaffen und inhaltlich den Rücken frei zu halten. Dass man sich in den Jahren im Ressort inhaltlich einarbeitet und es Posten gibt, wo ein theoretischer Background hilft (Finanzministerium, Justizministerium), ist klar. Aber man sollte nicht so tun, als sei Politik LinkedIn.

Darüber hinaus herrschen etliche Fehleinschätzungen, was die parlamentarische Arbeit angeht. Sitzungen und Abstimmungen sind eh schön, aber die wirkliche Arbeit findet halt woanders statt. In den unglamourösen Ausschüssen zum Beispiel. Und dort sitzen Fachpolitiker, die sich für gewöhnlich seit Jahren mit ihrer Materie auseinandersetzen. Auch die machen Fehler, verrennen sich oder fordern und beschließen Dinge, die sich im Nachhinein als Blödsinn herausstellen. Das ist klar. Die allgemeine Verachtung gegenüber ihnen kann aber eigentlich nur mit dem Dunning-Kruger-Effekt erklärt werden.

Natürlich gibt es auch in der Politik oft das Peter-Prinzip, nachdem Menschen so weit aufsteigen, bis sie nicht mehr kompetent für ihren Job sind. Da muss man sich nur mal manchen EU-Kommissar anschauen. Und das hier soll natürlich kein Aufruf dazu sein, himmelschreiend sinnlose Pläne wie das Leistungsschutzrecht nicht als das zu bezeichnen, was sie sind. Es ist nur ein Aufruf zur punktuellen Kritik. Weil man ja auch durch seinen eigenen Bias getäuscht wird: Für jeden bescheuerten Beschluss gibt es mindestens einen sinnvollen, der keine Aufmerksamkeit bekommt.

“Die machen doch eh alle, was sie wollen.”

Spitzenpolitiker bewegen sich zwangsläufig recht intensiv und abgehoben in Parteizirkeln. Und trotzdem sitzen sie nicht in deinem Elfenbeinturm, sondern sind auf vielfältige Weise beeinflussbar.

Erstens sind Politiker abhängig von Umfragen. Auch wenn schlechte Umfragedaten vor den ORF-Kameras gerne mit Sätzen wie “Über sowas denke ich gar nicht nach” abgekanzelt werden, sind sie intern ein großes Thema. Vor allem die Abgeordneten auf den hinteren Listenplätzen scharren schnell nervös mit den Füßen, weil sie die ersten sind, die ihre Platz bei der nächsten Wahl verlieren werden. Und anders als Spitzenfunktionäre fallen unbekannte Abgeordnete nach ihrem Austritt auch nicht so weich.

Zweitens sind Politiker abhängig von ihrer Basis. Nicht nur, weil diese sie gelegentlich wiederwählen muss. Sondern auch, weil ein erfolgreicher Wahlkampf zu einem beträchtlichen Teil davon abhängt, dass die kleinen Funktionäre unentgeltich für die Partei rennen. In Wien, Graz oder Linz kann man das teilweise noch mit bezahlten Kräften abfangen. Aber auf dem Land bist du ohne ein halbwegs enthusiastisches Netzwerk an Unterstützern aufgeschmissen.

Drittens sind im Verlauf des Begutachtungsverfahrens von Gesetzen eine breite Front an gesellschaftlichen Akteuren eingebunden. Mit der Einschränkung, dass es dabei halt vor allem um institutionalisierte Akteure wie NGOs geht.

Viertens sind Politiker abhängig von der öffentlichen Meinung. Und dafür muss man nicht mal in einer Partei sein. Aktionen wie der CETA-Protest beim Bundeskanzler-Bim-Fahren ist ein perfektes Beispiel dafür, wie sich PR-Aktionen in Zeiten von Social Media kapern lassen. Und Medien lieben so was für gewöhnlich, weil sie es lieben, wenn Politiker unter Druck geraten.

Gerade der Fall CETA/TTIP zeigt eigentlich relativ klar, dass Politiker nicht das machen können, was sie wollen. Politik ist im Grunde recht anfällig für Kritik. Es gibt allerdings ein Problem: Die medialen und öffentlichen Aufmerksamkeitszyklen entsprechen normalerweise nicht denen der Politik, speziell auf EU-Ebene. Immer wieder erzählen Abgeordnete in Brüssel, dass die Beschwerden immer kurz vor den Abstimmungen kommen—was eigentlich ungefähr ein Jahr nach der Phase ist, in der man am sinnvollsten Einfluss nehmen kann.

“Die Politik ist heute viel schlechter als früher.”

Die Sicherheit ist weg. Die Wirtschaft wächst nicht mehr automatisch. Es geht der nächsten Generation nicht mehr zwingend besser als der letzten.

Ja, an diesen Dingen trägt die Politik Mitschuld. Aber eben nicht alleine. Politik ist nicht schlechter geworden, aber machtloser. Die Handlungsspielräume sind viel kleiner. Nationale Politik ist in europäische Entscheidungsprozesse eingebunden, welche die Möglichkeit von Alleingängen stark einschränkt. Die wirtschaftliche Wichtigkeit Europas—und damit seine Machtposition—ist global gesehen geringer geworden, auch weil es Menschen in anderen Teilen der Welt jetzt besser geht.

Diese Kritik an der Politik ist eigentlich ein verständliches Sehnen nach einer Vergangenheit, die nicht mehr wieder kommen wird. Man darf bei all dieser berechtigten Kritik nicht vergessen: Es geht den Menschen in Europa auch in vielen, vielen Dingen besser als vor 40 Jahren. Auch daran trägt die Politik Mitschuld.

Klar ist: Politiker, Parteien und Akteure machen Fehler. Dafür muss man sie verantwortlich machen.

Es ist wichtig, Fragen an die Politik zu stellen. Aber bitte die richtigen. Zum Beispiel in Richtung SPÖ und ÖVP: Warum arbeitet man gemeinsam in einer Koalition, wenn man offenbar nur noch extreme Angst davor hat, dass Erfolge dem Partner mehr nutzen könnten als einem selbst? Warum beschließt man eine Obergrenze, von der man weder weiß, wann sie in Kraft tritt, noch wie lange sie dann gilt? Ähnliche Fragen könnte man natürlich auch an die Oppositionsparteien stellen. Und sollte man auch.

Klar ist: Politiker, Parteien und Akteure machen Fehler. Dafür muss man sie verantwortlich machen. Aber die Kritik sollte sich zumindest irgendwo zwischen sachlich und sehr hart einpendeln. Es braucht kein pauschales Hindreschen auf “die politische Klasse”. Das hat auch in der Vergangenheit eigentlich nie zu wünschenswerten Ergebnissen geführt. So, und jetzt ist es auch schon wieder vorbei mit dem Arschkriechen.

Jonas auf Twitter: @L4ndvogt