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Satire in Zeiten von NetzDG: Vier Tweets, die seit dem 1. Januar verboten sind

Das erste Opfer des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) war, natürlich, die AfD. Zumindest aus Sicht der Rechtspopulisten. Die Eskalationsbeauftragte der Partei, Beatrix von Storch, hatte am 1. Januar, also wenige Stunden nach Einführung des Gesetzes, einen Tweet abgesondert, der vermutlich wohl kalkuliert an der Grenze zur Volksverhetzung war. Die Politikerin fabulierte von “barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden”, weil die Polizei Köln Neujahrsgrüße in verschiedenen Sprachen – unter anderem Arabisch – postete.

Twitter fackelte nicht lange, löschte nach einer Beschwerde von Storchs Tweet und sperrte das Profil der Politikerin für zwölf Stunden. Von Storchs Empörung und die ihrer Anhänger war groß, man witterte Unterdrückung unliebsamer Meinungen und sah sich bestätigt in der Kritik am NetzDG als “Zensur” und Anti-AfD-Gesetz.

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Doch was wie ein gefundenes Fressen für die Pseudo-Unterdrückten aus dem AfD-Milieu klingt, betrifft jedoch auch viele andere Nutzer. Denn viele der Löschungen, die Twitter seit Anfang des Jahres vornimmt, orientieren sich nicht wirklich an den Straftatbeständen aus dem NetzDG, das eigentlich Hass im Netz eindämmen soll. Die breit gestreute Kritik in der Vorlaufzeit des NetzDG hat sich damit leider in vollem Umfang bestätigt. Wie die ersten Tage der neuen Gesetzesrealität zeigen, scheinen vor allem satirisch gemeinte Posts unter die Räder der neuen Löschpraxis zu gelangen. So hatte das Satiremagazin Titanic beispielsweise einen ähnlichen Tweet unter dem Kürzel “bvs” (Beatrix von Storch) gepostet, der ebenfalls entfernt wurde und sogar zur temporären Sperrung des kompletten Accounts geführt hat – genau wie bei der echten von Storch.

Aus welchem Grund Twitter nach dem NetzDG gelöscht hat, teilt das Unternehmen grundsätzlich nicht mit. Wenn ein Tweet von der Plattform verschwindet, begründet Twitter die Löschung eher diffus mit Verweis auf “lokale Gesetze”. Dass damit das NetzDG gemeint ist, kann sich zwar jeder zusammenreimen, doch gegen welche Bestimmung genau ein gelöschter Tweet verstößt, bleibt Twitters Geheimnis.

Das NetzDG nennt 21 solcher Bestimmungen, aufgrund derer eine Plattform eine Löschung vornehmen muss: Straftatbestände reichen von der Bildung einer terroristischen Vereinigung über Gewaltdarstellung bis zu übler Nachrede oder Beleidigung. Wenn ein soziales Netzwerk gemeldete Inhalte nicht zügig löscht, drohen empfindliche Strafen in Millionenhöhe.

Schon als das Gesetz 2016 von Bundesjustizminister Heiko Maas ins Gespräch gebracht und später verabschiedet wurde, war die Empörung groß. Eine bunte Mischung aus Netzaktivisten, Industrievertretern, FDP- und AfD-Anhängern kritisierte das Gesetz als Angriff auf die Meinungsfreiheit im Netz. Die Kritik war nicht immer zielgenau und hatte meist wenig zu dem Umstand zu sagen, dass auch die bestehende laxe Löschpraxis und die Flut an Hasskommentaren Meinungen unterdrückten. Doch scheinen die vergangenen Tage seit Inkrafttreten des Gesetzes vielen Kritikern Recht zu geben. Die empörten oder fassungslosen Tweets und Retweets über gelöschte Posts überschlagen sich derweil. Vor allem, weil man sich dem tatsächlichen konkreten Grund für eine Löschung nur durch munteres Drauflosraten annähern kann.

Auch wenn es schon vorher zahllose Beispiel für unklare, widersprüchliche und nicht nachvollziehbare Löschpraxis auf Twitter oder Facebook gab, scheint der Löschtrupp von Twitter in den vergangenen Tagen auf Steroiden zu arbeiten. Worüber darf man künftig überhaupt noch twittern? Bei welchen Inhalten gibts Probleme mit dem Löschzentrum oder mit der Staatsanwaltschaft? Was darf Satire auf Twitter 2018? Eine erste Stichprobe zeigt: nicht mehr ganz so viel.

1. Vorsicht bei Flüchtlingen

Der Tweet, den die Satirikerin Sophie Passmann am 1. Januar gepostet hatte, wurde von Twitter mit Verweis auf “lokale Gesetze” gelöscht. Der offensichtlich ironisch gemeinte Tweet ist bis heute für Nutzer nicht sichtbar, die über eine deutsche IP darauf zugreifen wollen.

2. Vorsicht bei Hitler

Auch beim beliebten Internetthema Hitler ist bei den “Sozialen” ab 2018 Vorsicht angesagt. Wer beispielsweise die altdeutsche Grußformel “Heil Hitler” in satirischer Absicht gebrauchen möchte, der tut künftig gut daran, das entsprechend auch zu kennzeichnen. Das musste auch der Nutzer @larsgolenia erfahren. Satire erkennt nicht jeder hochbezahlte und glückliche Mitarbeiter in den Löschbunkern von Twitter & Co.

Nicht machen:

Machen:

Die Userin “Schwester Ewald” hat die ungeschriebenen Regeln hier also nach dem Trial & Error-Prinzip letztlich korrekt interpretiert, Glückwunsch! Manchmal hilft schon ein kleines “LOL”, um die Netzwerkfürsten milde zu stimmen. Getreu dem Motto: Lieber keine Satire machen, als falsch Satire machen.

3. Vorsicht bei Beatrix von Storch

AfD-Politikerin Beatrix von Storch hatte es sich mit ihren “gruppenvergewaltigenden muslimischen Männerhorden” schon nach wenigen Stunden nach Inkrafttreten des NetzDG mit Twitters Löschzentrum verscherzt. Keinen Spaß versteht man dort allerdings auch dann, wenn man nur so tut, als sei man Beatrix von Storch – und unter dem Kürzel bvs halblegasthenische Posts absondert.

Die Titanic-Redaktion weigert sich bis heute, den Tweet zu löschen und bleibt bis auf Weiteres von Twitter gesperrt. Über den Tor-Browser lässt sich der Tweet jedoch noch einsehen.

4. Vorsicht bei Almans

Die Userin @zgzgnfmnn hatte am 3. Januar “Almans sind für mich Abfall” geschrieben. Für Twitter ein Grund zur Löschung. Ob die Aussage aus Sicht des Unternehmens ein Beleg für eine in Deutschland grassierende Deutschenfeindlichkeit ist – und damit die “Volksverhetzung”-Bestimmung des NetzDG erfüllt – oder einfach unzureichend gekennzeichnete Satire, bleibt im Verborgenen. Hier löschte Twitter allerdings nicht auf Grundlage des NetzDG, sondern seiner Community-Regeln. Die Hausregeln des Netzwerkes untersagen etwa “Hass schürendes Verhalten” von Nutzern, was auch gegen Personengruppen gerichtet sein kann.

5. Twitter-konforme Satire anno 2018: So geht’s

Shahak Shapira macht’s vor: Satire kann auch in Zeiten von NetzDG bestehen, solange sie sich an die Regeln hält und auf Nummer sicher geht.

Seinen “sieg heil Ausländer raus”-Tweet hatte Shapira beispielsweise mit dem Zusatz “(Satire)” versehen und damit klar als Satire gekennzeichnet. Als kleine Belohnung bekam er eine Nachricht von Twitter, dass sein Post auch nach eingehender Prüfung durch die Firma bleiben darf. Vorbildlich.

Man kann also festhalten: Was sich Justizminister Heiko Maas lange gewünscht und wofür er zahlreiche erfolglose Anläufe gebraucht hat, ist nun mehr oder weniger eingetreten: Die sozialen Netzwerke, zumindest Twitter, sperren schneller und konsequenter mögliche rechtswidrige Inhalte. Blöderweise löschen sie gleich auch offensichtlich nicht rechtswidrige Inhalte gleich mit und das nach einer Logik, die kein denkender Mensch verstehen kann. Unwahrscheinlich ist es, dass die Politik die Gebete der Twittergemeinde erhören und das Gesetz rückgängig gemacht wird – auch wenn die Forderungen nach einer Nachbesserung sicherlich noch so lange anhalten werden, wie Nutzer versuchen, sich per Ausprobieren durch den Regeldschungel zu navigieren.

Sollte das nicht passieren, gibt es zwei Möglichkeiten, die beide keineswegs zufriedenstellend sind: Entweder findet Twitter einen erträglicheren Rhythmus beim Löschen und pendelt sich nach einer Weile ein oder es akzeptiert seinen künftigen Status als Plattform, auf dem Nutzer nur sehr eingeschränkt ihre Meinung kundtun dürfen.

Für Nutzer, die ein uneingeschränktes Twitter-Erlebnis nicht missen wollen, gibt es bis dahin eine zugegebenermaßen umständliche Lösung: Den Zugriff auf das Netzwerk mit dem Tor-Browser, der den eigenen Standort verschleiert. Der sorgt zwar dafür, dass einem hierzulande Satire nicht vorenthalten wird, macht dafür aber leider auch garantiert weniger Spaß beim Abspielen von Videos.