Wenn du morgens oder im Büro die heimisch geschmierte Stulle mit Brot isst, denkst du vielleicht weniger an die Geschichte der zwei Teigscheiben mit leckerer Kruste, zwischen denen sich ein Belag deiner Wahl versteckt.Die ist nämlich ziemlich alt, viel älter noch als viele andere Dinge (Kontinente, Sprachen, Religion, dieser komische Fleck an deiner Badezimmerdecke usw.). Und dieses dunkle Brot hatte einen ziemlich entscheidenden Einfluss auf unsere heutige Ernährung gehabt.
Klingt für dich ein bisschen übertrieben? Mitnichten.Ohne Getreidekörner, die sich auch über den Winter gehalten haben,hätten unsere Vorfahren nur schwer überleben können. Das erste Brot wurde vermutlich schon in der Steinzeit vor rund 7.000 Jahren gebacken.
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Für viele Bäcker ist Sauerteig der Teig aller Brotteige.
„Ein gut gemachtes Sauerteigbrot gehört für mich zu den leckersten Sachen der Welt”, meint Dan Lepard, handwerklicher Bäckerund Autor von Baking with Passion. „Für einen richtigen Bäcker ist ein gutes Sauerteigbrot eine Art Statussymbol, ungefähr wie bei einem Koch ein tätowierter Arm.”
Aber die Entstehung des Sauerteigs ist etwas weniger dramatisch, wahrscheinlich passierte das durch Zufall: Eine Bäckerin im alten Ägyptenhat wohl Wasser gemischt mit Getreide versehentlich stehengelassen, sodass der Brei zu gären begann. Arbeitete man diese Mischung in den Teig ein, erhielt man einen viel schöneren Brotlaib.
Weil auch Bier aus Getreide gemacht wird, besteht geschichtlich eine enge Verbindung zwischen Bäckereien und Brauereien. Irgendwann fingen einige Bäcker an, statt Wasser Bier in ihren Brotteig zu mischen (Bier ist eben immer ein guter Ersatz für Wasser), sodass es durch die Gärung besser aufgehen konnte.
Diese Brote hatten einen leicht bitteren, herben Geschmack, der durch die wilden Hefen, die Zucker unter anderem in Säuren umwandeln, entsteht, und außerdem viele Luftlöcher in der Krume.
Der Sauerteig war entdeckt.
„Sauerteig ist wie ein Initiationsritus für Bäcker. Den perfekt hinzubekommen ist eine echte Herausforderung”, meint Dan Lepard. „Man will eine super luftige Krume, einen säuerlichen Geschmack, eine leicht angeröstete Kruste mit den typischen Einschnitten und eine gute Gesamtform. Wenn man das alles schafft, hat man den Sauerteig gemeistert.”
Um eine Sauerteigbrot zu machen, braucht man zuerst einen Ansatz (auch Anstellgut genannt), den man ein bisschen wie ein Haustier pflegt.
Täglich muss der Ansatzteig gefüttert werden, wenn man ihn regelmäßig verwenden will. Pflegt man ihn gut, kann er angeblich Jahrzehnte lang „am Leben bleiben”. Übertrieben gesagt kann er wie ein Erbstück in der Familie weitergereicht werden.
„Je nachdem, welches Mehl zum Auffrischen benutzt wird, beeinflusst das die Mikroflora und den Geschmack des Ansatzteigs, also kann man nur schwer von einem Alter sprechen”, erklärt Dan Lepard. „Aber wer weiter daran glauben will: Meiner ist über 70 Jahre alt. Eine Familie in Dänemark hat ihn mir gegeben. Von mir bekommt er eine Mischung aus Bio-Vollkornmehl und Weizenmehl.” Der Australier hat eindeutig eine innige Beziehung zu seinem Ansatzteig.
„In Ländern wie Deutschland, Russland oder Regionen wie Skandinavien war Sauerteigbrot historisch gesehen nicht etwas Besonderes, sondern einfach gutes Brot”, erklärt er weiter.
Und das stimmt: In Schweden ist Sauerteigbrot mittlerweile auch Teil unserer modernen Food Welt, es gibt sogar ein Sauerteig-Hotel im Urban Deli in Stockholm. Hier kann man seinen Ansatzteig in liebevoll-pflegende Hände geben—ähnlich wie in einer Tierpension—, wenn man zum Beispiel in den Urlaub fährt.
Obwohl es mittlerweile massenhaft eifrige Ansatzteig-Besitzer (äh, Bäcker) gibt, glaubt Lepard nicht, dass der Sauerteig schon im Mainstream angekommen ist.
„Sauerteigbrot ist noch nicht wirklich beliebt, sondern eher etwas Außergewöhnliches.Weißbrot ist immer noch eher der Renner”, sagt er. „Selbst in einem hippen Burgerladen findet man eher ein weiches Weißbrot als irgendwas Exzentrisches.”
Die Brotherstellung ist mittlerweile ein industrieller Prozess geworden, auch dank der Erfindung der Trockenhefe. Weiches, normales Weißbrot ist seit langer Zeit beliebter als das alte Brot mit seinem traditionellen Geschmack und Textur. Dass Sauerteigbrot jetzt wieder beliebter wird, gleicht damit einer Art Renaissance.
„Ein richtig gutes Sauerteigbrot kann man nur schwer industriell herstellen”,so Ben MacKinnon, der Besitzer von E5 Bakehouse im Osten Londons, einer Bäckerei, die sich auf Sauerteig spezialisiert. „Der Bäcker muss ganz bewusst mit dem Sauerteig umgehen, um so den Geschmack des Brotes perfekt hinzubekommen.”
Die Ansatzteige in seiner Bäckerei werden teilweise alle zwei Tage gefüttert, manche mit Roggen-, andere mit Weizenmehl. Einige stehen in kalten Räumen, andere einfach auf dem Boden in der Bäckerei. Wichtig ist immer, dass man die Anzahl und Arten der Bakterienkulturen im Ansatzteig unter Kontrolle hat.
„Als Bäcker muss man auch nicht die komplette Wissenschaft dahinter verstehen, man bekommt ein Gefühl dafür. Man weiß irgendwann, wie man den Teig beeinflussen kann”, erklärt Ben MacKinnon. „Man wird es nie alles verstehen, aber so interagiert man mit dem Teig und das ist doch viel interessanter, als in einer Fabrik zu stehen und nur ein bisschen davon, ein bisschen hiervon reinzugeben und das war’s.Man geht quasi eine Verbindung mit dem Teig ein.”
Deshalb kann eine auf Sauerteig spezialisierte Bäckerei auch nur begrenzt expandieren.
„Fast alles wird per Hand gemacht, es gibt nur wenige Maschinen. Ich glaube aber auch, dass viele Leute lieber Essen wollen, das von Menschen gemacht wird, die gern Essen herstellen”, so MacKinnon. „Es ist doch deprimierend, sich ein Sandwich aus industrieller Herstellung zu kaufen und zu wissen, dass die Person, die es zusammengebaut hat, das Ganze wahrscheinlich nur gehasst hat.”
Sauerteig ist aber nicht nur die bessereStulle, sondern vielleicht auch die gesündere. So wie Getreide heute gemahlen wird, werden die Kleie und die Keimlinge rausgezogen (also all das, wo die ganzen Vitamine, Mineralien und Ballaststoffe drinstecken). Damit hat das Mehl nur wenig bis keinen Nährwert und deshalb wird Mehl in vielen Ländern mit Calcium, Vitamin B1 oder Niacin angereichert.
„Brot, das langsam gegärt wurde, ist gut für die Gesundheit. Ein schnell gemachtes Brot aus industrieller Produktion ist schwieriger zu verdauen”, so MacKinnon. „Da viel Hefe zugesetzt wird, fühlen wir uns aufgebläht. Dann kommen noch Zucker und E-Nummern für die Haltbarkeit hinzu. Die Menschen lieben weiches, leicht essbares Brot. Bei einer Scheibe beschissenem Weißbrot muss man sich nicht groß beim Essen anstrengen, es ist wie Babynahrung.”
Und wer will schon unverdaubare Babynahrung essen, wenn man doch auch Brot essen kann, das sich seit Jahrtausenden bewährt.