Popkultur

Schaut euch diese verdammten Stiefel an

Wir sind letzten Monat in die auf dem Hochplateau der Huasteca Potosina im nordmexikanischen Bundesstaat San Luís Potosí gelegene, staubige Stadt Matehuala gefahren, um hier nach den Cowboystiefeln mit den längsten Spitzen der Welt zu suchen. Im Laufe des vergangenen Jahres sind diese botas vaqueras exóticas zu einem Phänomen geworden, dass die Rodeo-Tanzflächen und Klubs der Gegend überschwemmt hat—sehr zum Missfallen von anderen Mexikanern, die ihrem Ärger über die modischen Irrwege ihrer Mitbürger in populären örtlichen Stiefel-Blogs Luft machen.

Dort angekommen, erklärte man uns, dass wir zu spät gekommen seien, und diese mit Abstand seltsamste Fußbekleidung, die wir je gesehen haben, von den Widersachern mit ihren kurzen, rechteckigen, „schweinenasigen“ Stie­feln verdrängt worden sei.

Wir waren durch gelegentliche Reportagen, die bis nach Texas, Tennessee, Oklahoma und an andere Orte, wo große Gruppen mexikanischer Migranten beheimatet sind, vorgedrungen waren, auf den exotischen spitzstiefeligen Trend aufmerksam geworden, und waren uns ziemlich sicher, dass der Stil nicht schon wieder komplett aus Mexiko verschwunden sein konnte. Also machten wir uns auf den Weg ins Mesquit Rodeo und das Desierto Light, zwei Cowboykneipen in Matehuala, wo Partyveranstalter Tanzwettbewerbe zu einer seltsamen Musikrichtung abhalten, die in der Gegend als guarachero bekannt ist. Es handelt sich im Prinzip um eine Art Kombination aus pumpender House-Music, altertümlichen hispanischen Gesängen und Flötenstücken und kolumbianischer Cumbia.

  Die Stiefel der Los Hermanos   Mit Glitter verzierte Stiefel aus Zaragoza de Solís


In Matehuala ist der guarachero zu einer verblüffenden Musikrichtung geworden, bei der ein Haufen Leute, die sich normalerweise nicht verstehen sollten, zusammenkommen und sich verstehen. Es ist auch die Art Musik, die von den Jungs und Männern in den langen, spitzen Stiefeln bevorzugt wird.

Die Teilnehmer dieser Tanzwettbewerbe verbringen Tage und Wochen damit, komplizierte Tanzschritte zu choreografieren und aus billigen Stoffen und Farben Kostüme herzustellen. Der Hauptgewinn—außer der Gunst der enthusiastischen Zuschauer—ist entweder eine Flasche Whiskey oder ein paar Dollar.

Bei einem separaten Wettbewerb werden, wie wir zu unserer Freude erfuhren, die längsten, am schönsten verzier­ten und spitzesten Stiefel gekürt, die ebenfalls im Zentrum öffentlicher Gesanges- und Tanzprogramme stehen. Die exotischen Schuhe werden hergestellt, indem normale Stiefel mit Materialien aus örtlichen Eisenwaren- und Hobbyläden modifiziert werden. Die Schicksten sind mit LED-Lichtern und Spiegeln verziert, während bei anderen Farbe und alle möglichen bunten Pailletten verwendet werden. Glitter kommt sowieso immer drauf. Man erzählte uns, dass ein paar Stiefel sogar bis zu 1,50 Meter lang gewesen seien.

  Für die Los-Parranderos-Crew angefertigte Stiefel   Handgemachte botas exóticas aus Zaragoza de Solís
Also waren die Gerüchte, dass die Leute bereits gelangweilt von diesen Schuhen wären, wohl nichts anderes als das missgünstige Geläster eifersüchtiger Versager, die einfach sauer waren, dass sie keine eigenen langspitzigen Stiefel hatten. Gabriel Amaro Barajas, alias Minri, erklärte uns, dass der Streit zumindest teilweise etwas mit der Behauptung einiger zu tun habe, dass die Bewohner Matehualas sich zu Unrecht als die Erfinder der botas vaqueras exóticas ausgäben. Er sagte, dass die Kreationen aus Matehuala es einfach irgendwann nicht mehr mit solch glitzernden Exemplaren wie seinen hätten aufnehmen können, und sie daraufhin behauptet hätten, mit der Szene abgeschlossen zu haben. Minri ist in einem Bild auf Chuntaritos.com zu sehen, einer Website, die dieser Mode gewidmet ist, und war, wie es dort heißt, der Träger „der spitzesten Schuhe von 2010“. Seine 1,50 Meter langen Gewinnermodelle, deren schier endlose Spitzen er an seinem Gürtel befestigen muss, um in ihnen laufen zu können, werden in über 100 Kommentaren verschmäht. Er versicherte uns, dass seine Crew, die Barrio Apache Hyphy, den Trend erfunden hätte—und zwar nicht in Matehuala, sondern in der kleinen, benachbarten Gemeinde Zaragoza de Solís.

„Die Leute aus Matehuala tragen diese Schuhe nicht mehr, weil sie nicht mithalten konnten“, sagte Minri. „Sie können uns nicht schlagen.“

Wir fragten ihn, was die Allgemeinheit wohl von dem Ganzen halte. „Wenn die Leute jemanden in spitzen Schuhen vorbeilaufen sehen“, sagte er, „dann sagen sie: ‚Kann nicht sein, der Typ ist verrückt! Warum trägt der diese Schuhe?‘ Aber ich sage, jeder soll seinen eigenen Stil haben dürfen, oder?“


Gustavo, 11, und Carlos Mendoza, 15, sind als die Los Hermanos bekannt. Sie haben im Finale des Tanzwettbewerbs den zweiten Platz belegt.
Minri stellte uns dann ein paar andere aus der Crew vor. Da gab es Francisco, eine Gruppe namens Los Pachangueros, ein paar Kids aus Guadalupe und ein paar Typen namens Los Carnales von der Ranch von San Francisco. Sie alle trugen spitze Stiefel.

Wir trafen auch noch einen anderen Francisco, einen 18-jährigen Jungen, der gemeinsam mit seiner Frau in einem kleinen Laden in einem nahegelegenen Markt Prepaidkarten und Gehäuse für Handys verkauft. Ihn sieht man für gewöhnlich stolz in einer türkisblauen Jeans und spektakulären, mit roten Perlen verzierten Stiefeln durch die Innenstadt stolzieren. Seine Stiefelspitzen sind mindestens einen halben Meter lang.

Francisco macht die Stiefel aber nicht nur für sich selbst, sondern verkauft sie auch und hat nach eigenen Schätzungen bereits über hundert Paar fertiggestellt. Er hat seine Kreationen sogar schon auf Websites aus den USA entdeckt.

Wir fragten ihn, was er von den Reibereien zwischen den Pro- und Anti-Spitze-Stiefel-Fraktionen hält. „Jeder tut, was er für richtig hält“, sagte er. „Für mich sind das die besten Stiefel und das war’s. Ich mag sie sehr und ich gehe in ihnen tanzen. Es ist mir egal, was die Leute denken. Solange es mir gefällt, sollen sie mir den Buckel runterrutschen. Das ist meine Meinung.“

  Luis Angel Castillo Sierra aus Buenavista   Unsere Lieblingsglitterstiefel aus Zaragoza de Solís
 
 
VON ESTEBAN SHERIDAN CÁRDENAS
FOTOS VON EDITH VALLE