“Scheiße Gemeinde” – Migrantinnen und Migranten erzählen von ihren ersten deutschen Worten

Wer aus dem Ausland nach Österreich einwandert, steht unter extremen Druck, die deutsche Sprache so schnell wie möglich (und zwar am besten perfekt) zu beherrschen. Seit 2011 wird von Menschen, die sich hier niederlassen wollen, ein Deutschtest verlangt, bevor sie überhaupt einreisen dürfen; Flüchtlingen, die nicht gut genug Deutsch können, will Bundeskanzler Sebastian Kurz in Zukunft die Mindestsicherung kürzen, während parallel dazu das Angebot von Deutschkursen drastisch reduziert wird. Und die Einführung von verpflichtenden separaten Deutschklassen für Kinder mit anderer Muttersprache bleibt ein nationales Diskussionsthema.

Dabei kann sich jeder glücklich schätzen, der Deutsch von kleinauf gelernt hat. Denn die deutsche Sprache ist nicht nur mit dem Klischee behaftet, verdammt kompliziert zu sein – sie ist es laut Experten tatsächlich. Auch wenn es mittlerweile durchaus hilfreiche Tools wie etwa Deutschkurse per Whatsapp gibt, die Neulingen die ersten Schritte erleichtern sollen: Wer sich diese seltsame, harte Sprache auf einem guten Level aneignen will, hat einen steinigen und jahrelangen Weg vor sich.

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Wir haben mit Leuten gesprochen, die diesen Weg bereits hinter sich gebracht haben, nachdem sie aus anderssprachigen Ländern nach Österreich eingewandert sind. Dabei haben sie uns verraten welche die ersten Worte waren, die sie auf auf Deutsch gelernt haben – und wie es sich anfühlt, in unserer Republik einen (sprachlichen) Neuanfang zu machen.

Hung, 71, in Vietnam geboren

Nacherzählt von seiner Tochter Bidong, 39

Meine Eltern sind so ziemlich das, was man sich unter “Vorzeige-Flüchtlingen” vorstellt: superfleißig, superdemütig, superdankbar und superunauffällig. Mein Vater hat kurz nach unserer Ankunft in Österreich eine Stelle als Hilfsarbeiter in einer Fabrik vermittelt bekommen, und nach “Ja”, “Nein”, “Danke”, “Grüß Gott” und “Amen” (danke Caritas!) hat ihm ein Arbeitskollege den Ausdruck “SCHEIßE GEMEINDE!” beigebracht. Danach war so ziemlich alles, was gerade nicht edelgeil war, einfach nur “Scheiße Gemeinde”.

Lange Zeit dachte ich als Kind sogar, dass das tatsächlich ein gängiges Sprichwort wäre. Ich fragte meinen Vater letzte Woche auf Vietnamesisch, warum er damals so gerne “Scheiße Gemeinde” gesagt hat. Aus irgendeinem Grund antwortete er mir in seinem gebrochenem Deutsch: “Weiß nicht. Egaaaal.” Er hat dabei ziemlich gekichert. Keinen blassen Dunst, wie ich das nun verstehen soll.

Ahja, meine Eltern sprechen – nach fast 40 Jahren in Österreich – nach wie vor extrem schlecht Deutsch. Also eigentlich doch keine Parade-Flüchtlinge, sondern ganz, ganz schlechte Migranten. Sorry, Papi, am besten schleichst du dich wieder zurück nach Vietnam. Am besten irgendwie über die Mittelmeerroute. So will es halt die Scheiße Gemeinde.

LJ, 18, in Nigeria geboren

Ich bin 2015 aus Nigeria nach Österreich gekommen, damals war ich 15 Jahre alt. Die österreichischen Behörden glaubten mir mein Alter aber nicht. Letztendlich musste ich mich mit ihnen auf ein neues Geburtsdatum einigen – seitdem bin ich offiziell 1998 geboren. Ich bin damals hierher gekommen, um mir eine Zukunft aufzubauen und ein lebenswertes Leben zu führen, aber ich merkte schnell, dass es auch hier nicht einfach werden würde – aber als Schwarzer Mann muss ich überleben, egal wie schwer es ist.

Besonders die Sprache machte es anfangs extrem schwer – unter anderem auch in diversen Begegnungen mit der Polizei. Ich musste früh feststellen, dass du hier als Migrant nicht sehr willkommen bist, wenn du kein Deutsch sprichst. Meine ersten deutschen Worte waren dann welche, die dir vor allem auf der Straße ziemlich gut weiterhelfen: “Was brauchst du?” Gelernt hat sie mir kein Mensch, sondern der Translator auf meinem Handy.

Piroska, 80, in Rumänien geboren

Das erste Wort, das ich auf Deutsch gelernt habe, war “Dauerwellen”. Und zwar berufsbedingt. Ich komme nämlich aus dem Banat; genauer gesagt aus dem rumänischen Teil, wo es seit jeher einen hohen Anteil von Deutschsprachigen gibt. Dort habe ich bis Anfang der 70er-Jahre als Friseurin gearbeitet und hatte immer wieder deutschsprachige Kundinnen.

Mein zweites deutsches Wort war deshalb auch “Wasserwelle”. Irgendwann konnte ich dann “Was wünschen Sie, Wasserwelle oder Dauerwelle?” fragen. Das hat die Arbeit ziemlich erleichtert. Genauso wie die Sätze: “Bitte nehmen sie Platz” und: “Es dauert noch ein wenig”. 1972 bin ich aus dem kommunistischen Rumänien nach Österreich geflohen. Als Friseurin hab ich noch bis Ende der 70er-Jahre weitergearbeitet. Die Sätze sind dieselben geblieben.


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Zakarya, 28, in Syrien geboren

Das erste deutsche Wort, das mir beigebracht wurde, war “später”. Ich habe es gleich in meiner ersten Stunde in Österreich gelernt. Als ich 2015 auf meiner Flucht die Grenze nach Österreich überquerte, habe ich nämlich die Polizei angerufen, und sie ist auch tatsächlich gekommen. Wir hatten damals großen Hunger, waren seit Tagen unterwegs, und ich habe Polizisten auf Englisch gefragt, ob sie mir etwas kaufen können. Ihre Antwort war eben “später”, und nachdem ich sie bat, es mir ins Englische zu übersetzen, wusste ich auch, was damit gemeint war.

Aleksandra, 26, in Polen geboren

Aleksandra ist Redakteurin bei unseren KollegInnen von Das Biber

Kinder lernen bekanntlich schnell. Ich musste noch schneller lernen. Allein an meinem ersten Schultag waren es schon drei wichtige Dinge. Erstens: In Österreich bekommen Kinder zur Einschulung Schultüten, aber weil deine polnischen Eltern nicht wissen, dass dem so ist, bekommst du keine. Zweitens: Du bekommst sie dann dafür am zweiten Schultag, was irgendwie eh auch okay ist. Drittens: Nur, weil du von deiner Lehrerin einen Namens-Stempel mit “Alexandra” statt “Aleksandra” drauf bekommst, bedeutet das nicht, dass du deinen Namen in den darauffolgenden fünf bis sieben Jahren falsch schreiben musst, weil es so cooler aussieht.

Ich bin im Sommer 1998 als sechsjähriges Kind aus Polen nach Österreich gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu können. An meinem ersten Schultag saßen wir Kinder in einem Kreis auf Polstern am Boden und die Lehrerin las uns aus einem Buch vor. Ich habe natürlich gar nichts verstanden, aber es schien lustig zu sein. Wenn die anderen Kinder gelacht haben, habe ich halt mitgelacht. Genau so, wie ich in den darauffolgenden Wochen die Kinder und die Lehrerin einfach immer angelächelt habe, wenn ich nicht verstanden habe, was sie von mir wollten.

Nach zirca einem Monat war es dann so weit: Ich glaubte, die Kassiererin im Supermarkt endlich zu verstehen, als sie uns ein “Schönes Wochenende” wünschte – nur dachte ich damals, sie sagt “Schöne Woche, Ente.“ Wenn du sechs Jahre alt bist, sind die logischen Zusammenhänge in deinem Gehirn nur auf deine eigene Art und Weise logisch. Was Enten mit schönen Wochenenden zu tun haben, habe ich nicht hinterfragt. Ich dachte, man sagt das einfach so. Das waren jedenfalls die ersten deutschen Worte, an die ich mich aktiv erinnern kann.

Agneta, 75, in Schweden geboren

Zum ersten Mal Deutsch sprechen musste ich, als ich mit 16 in Deutschland auf Jugendaustausch war. Ich wohnte damals bei einer Frau, die einen Sohn und einen Pflegesohn hatte. Beide waren etwas älter als ich. Die zwei haben natürlich einen Spaß aus mir und meinen mangelnden Deutschkenntnissen gemacht: Sie forderten mich auf, “Hirsch heisst ein Mann” zu sagen , schneller und schneller – bis es klang wie: “Hier scheißt ein Mann”. Das war die erste Phrase, die ich auf deutsch sagen konnte.

Als ich mit der Schule fertig war, verließ ich Schweden dann endgültig, um in Wien an der Akademie für Angewandte Kunst zu studieren. Das war in den Sechzigern. Ich erinnere mich daran, wie sehr ich mich am Beginn wie verrückt konzentrierte und versuchte, dem Unterricht auf Deutsch zu folgen, aber ich verstand monatelang kein Wort.

Als ich dann einmal in einem Lokal in Wien einen Burschen kennenlernte und ihm beim Tanzen erzählte, dass ich auf der Angewandten Akademie studierte, hat er gefragt, ob ich dort mit Protektion reingekommen bin. Ich wurde stocksauer – weil ich dachte, dass er mich gefragt hatte, ob ich durch Prostitution auf die Uni gekommen wäre. Erst später verstand ich, was er mich eigentlich gefragt hatte. Das sind Erlebnisse, die einem so peinlich sind, dass man sie nie wieder vergisst.

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