Schiedsrichter sind Würste und 12 andere Erkenntnisse der Bundesliga-Saison

Bayern ist Meister, Dortmund versprüht Offensivzauber, aber kann sie nicht aufhalten und beim HSV brannte der Baum. In der Bundesliga-Saison 2016/2017 war wieder mal alles wie immer. Nicht. Mit RB Leipzig und der TSG Hoffenheim mischten zwei ungeliebte Neulinge mit attraktivem Offensiv-Fußball die Liga auf, in Köln darf man nun ganz offiziell von Europa sprechen und bei Schalke halten alle die Füße still.

Fazit: Die Liga-Langweilig war viel spannender als man meinen möchte. Und sie hat einige Erkenntnisse zurückgelassen. Wir haben die wichtigsten zusammengetragen:

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Rückkehr zum Stoß-Stürmer als Tormaschine

Vor nicht allzu langer Zeit galt der klassische Mittelstürmer als vom Aussterben bedroht. Es war die Zeit der hängenden Spitze, der falschen Neun, von Pep und Tiki-Taka. Doch ein Blick in die Statistiken zeigt, dass das seit letzter Saison vorbei ist – und sich die Entwicklung in dieser Saison noch verschärft hat. Die fünf besten Knipser der Liga kamen in den Saisons 2013/14 und 2014/15 auf 85 bzw. 87 Tore, in der letzten Saison waren es dann aber schon 107 und in dieser bereits 123 Tore. Das Entscheidende: Es werden nicht nur mehr Tore geschossen, sondern vor allem mehr Stürmertore geschossen, denn während in den letzten drei Jahren stets ein (offensiver) Mittelfeldspieler unter den besten vier Torjägern war, sind in dieser Saison die sechs besten Schützen klassische Stürmer: (erst auf Platz sieben rangiert Robben mit 12 Toren).

Die Bundesliga wird zur Gästelisten-Veranstaltung

Mit Darmstadt und Ingolstadt steigen die letzten Underdogs aus der Liga ab, die Bundesliga ist mehr denn je ein elitärer Kreis, der Neuarrivierten kaum eine Chance gibt (außer sie haben so viel Asche wie RB oder Hoffenheim). Dieses Bild wird umso mehr verstärkt, wenn man sich anschaut, wer nächste Saison wieder erstklassig spielt: die alten Bundesliga-Schwergewichte Stuttgart und Hannover. Dieser Logik folgend wird sich auch Wolfsburg in der Relegation gegen den Drittplatzierten aus dem Unterhaus durchsetzen. Aber selbst wenn nicht: Braunschweig würde es gegen all die “Bundesliga-Bonzen” – und ohne ein ähnlich schwaches Darmstadt an seiner Seite – verdammt schwer haben. Gehen nächste Saison auch noch Augsburg und/oder Mainz runter, wären die letzten Überraschungsaufsteiger der letzten Jahre ebenfalls Geschichte.

Die Liga braucht Elfmetertraining

Foto: Imago/Jan Huebner

In der Bundesliga ging diese Saison das Elfmeter-Gespenst um. Nach dem 34. Spieltag steht die traurige Bilanz bei 28 Strafstößen, die nicht ins Tor fanden – und damit deutlich mehr als letzte (18) und vorletzte Saison (13). Und auch wenn bei Elfmetern das gute, alte Nervenkostüm eine große Rolle spielt: Elfer kann man trainieren. Das gilt vor allem für Leverkusen (4 von 9 Treffern), Frankfurt (2 von 6) und Gladbach (1 von 4). Der HSV bräuchte ebenfalls Elfmetertraining und… generell Training. Der HSV spielte zwei mickrige Elfmeter raus und verschoss beide.

Trainer ist der wichtigste Spieler

Nagelsmann, Streich, Dardei oder Stöger sind nur einige der Trainerköpfe, die ihre Außenseiter-Teams kontinuierlich an Europa heranführten. Die Zeiten der eindimensionalen Übungsleiter sind endgültig vorbei, denn die Position des Trainers als Coach und Identifikationsfigur ist im schnelllebigen Fußball-Business so essenziell und umfassend wie nie zuvor. Obwohl diese Saison sieben Trainerentlassungen nach nur 16. Spieltagen einen Rekordwert darstellten, haben viele Vereine immer mehr verstanden mit einem Trainer einen langfristigen Weg gehen zu wollen. Selbst in Mainz hielt man trotz mieser Leistungen an Trainer Schmidt fest und feuerte ihn erst nach der Saison. Das zeigen auch die vielen unverbrauchten Gesichter, die die üblichen Verdächtigen des Trainerkarussels verdrängen – übrigens auch in Liga 2.

Die Fans wenden sich ab

Die stetige Kommerzialisierung, der Siegeszug von RB oder die kurzfristige Neuansetzung des BVB-Spiels nach dem Sprengstoffanschlag: Die Fans wollen nicht einfach mehr als Konsumenten eines Fußball-Produkts herhalten. Das ist seit einigen Wochen sogar belegt: Eine Befragung von mehr als 17.000 Fußballfans in Zusammenarbeit mit dem Sportmagazin Kicker fand nun heraus, dass sich 51 Prozent früher oder später vom Profifußball abwenden wollen, wenn sich die Kommerzialisierung weiterhin so entwickelt. Auch fatal: 84 Prozent der Befragten sind zudem der Ansicht, dass der DFB nicht für Transparenz stehe. Im Fazit der Studie heißt es, dass es “deutliche Diskrepanzen zwischen dem Anspruch der Fußballfans und der Wirklichkeit der Fußballfunktionäre” gebe.

Ohne Bayern wäre die Liga spannend

Dortmund verlor gegen Darmstadt, Leipzig gegen den HSV. “Jeder kann jeden schlagen” wäre wohl das treffendste Motto für die Bundesliga – zumindest für eine 17er-Liga ohne die Bayern. Die Bundesliga – in der zwei Siege am Stück Abstiegsangst in Europa-League-Euphorie verwandeln – war wieder spannend. Wären da eben nicht das langweilige Titelrennen und die Überbayern. Mal sehen, ob strauchelnde Münchner, stärkere Bayern-Jäger oder ein FCB in einer Super-League diese Meister-Langeweile beenden.

Ultras stehen zunehmend unter Druck

Der Augsburg-Block beim Protest gegen RB Leipzig; Foto: Imago

In dieser Saison wurden nicht mehr nur Pyro-Vorfälle sondern mittlerweile auch Spruchbänder oder Gesänge, ­die außerhalb des Fußballkosmos unter die “Meinungsfreiheit” fallen würden, vom DFB mit Strafen belegt. Vereinzelte Gewalteskapaden von Fans bestätigen die Befürworter dieser Entwicklung nur. Im Kampf um die Deutungshoheit im Stadion scheint die mündige Ultrabewegung (und damit ein Stück Meinungspluralismus) von der restriktiven Politik des Verbandes nach und nach aus den Stadien gedrängt zu werden. Nicht nur das: Immer mehr Ultragruppierungen überwerfen sich mit ihrem Verein. Zuletzt in Mainz, Leverkusen, Mönchengladbach.

Packing ist das neue Pressing

Die revolutionäre Datenerfassung, die bei der EM 2016 als nettes Gimmick für TV-Experten belächelt wurde, hat sich in dieser Bundesliga-Saison zu einem eigenständigen Spielstil entwickelt. Es ist zu dem geworden, was Pressing in den vergangenen Jahren war: state of the art. Immer mehr Mannschaften verstehen es, mit platzierten Pässen komplette Defensivbündnisse auszuhebeln, um so eine möglichst hohe Packing Rate (Anzahl der überspielten Gegner) zu erreichen. RB Leipzig und die TSG Hoffenheim haben es perfektioniert, auf unnötige Zweikämpfe und ständiges Anrennen zu verzichten und stattdessen mit Diagonal- und Querpässe Gegner zu zermürben, um ihre Sturmtanks im richtigen Moment wie Wide Receiver im American Football mit millimetergenauen Pässen zu füttern.

Mehr lesen: Wir haben einen RB-Leipzig-Ultra mit Anti-RB-Bannern konfrontiert

RB Leipzig: intern kritisiert, extern akzeptiert

War RB Leipzig zu Anfang der Saison noch hitziges Streitthema, ist die Debatte um den Brauseklub zumindest in den Tageszeitungen und den Sitzplatz-Zuschauern völlig abgeflaut und fußballerischer Begeisterung gewichen. Neben der nach wie vor regen Kritik gegen RB aus fast allen aktiven Fanszenen gibt es mittlerweile aber auch kritische Stimmen aus den eigenen Reihen. Die Fangruppe Red Aces zeigte nach einem umstrittenen Interview von Red-Bull-Boss Dietrich Mateschitz mit der Regionalzeitung “Kleine Zeitung” ein Banner mit der Aufschrift: “Der Mäzen des autoritärsten Vereins, welch Witz, nennt sich selbst ein Pluralist” und kritisierten seine politischen Aussagen in “AfD-Manier” sowie Bewährungs-Hausverbote für politische Spruchbänder.

Der Schiedsrichter ist die Wurst

Foto: Imago/Nordphoto

Der Profifußball wurde in den letzten Jahren immer schneller, die Spieler athletischer, schauspielerisch versierter und weil der Leistungsdruck immer mehr zunimmt, werden die Zweikämpfe härter. Das allgemeine Opfer dieser Entwicklung ist der Schiedsrichter: Während TV-Zuschauer mittlerweile innerhalb weniger Sekunden in Super-Zeitlupen deren Fehler erkennen, können sich die Unparteiischen nur auf ihre natürlichen Fähigkeiten verlassen. Langsam erkennen auch die größten Traditionalisten, dass die scheinbar überforderten Schiedsrichter Hilfen wie die eingeführte Torlinientechnologie und in der kommenden Saison den Video-Schiedsrichter brauchen.

Thomas Tuchel ist sozial… schwierig

Dass Thomas Tuchel ein etwas eigenwilliger Zeitgenosse ist, wissen wir schon aus Mainzer Zeiten: Vertrag nicht erfüllt, Sabbatjahr genommen. Kann man machen. Nun ist Tuchel zwar nicht als entfant terrible a la Diego Simeone bekannt, aber spätestens seit dieser Saison als sozialer Autist. Es wird darüber getu(s)chelt, dass er nicht delegieren wolle und bei den Essensplänen der Profis die hauseigenen Köche übergeht. Auch nach dem Bombenattentat auf den Klub-Bus zeigte er, wie wenig Bock er auf soziale Hierarchien hat. Zwar präsentierte er sich als empathischer Krisenmanager, griff jedoch seine Vorgesetzten für deren Entscheidungen an. Der Beginn einer medialen Schlammschlacht, in der BVB-Boss Watzke den Coach öffentlich fehlende Kommunikation vorwirft und Tuchels Berater Watzke der Lüge bezichtigt.


VICE Sports besuchte das BVB-Supertalent Christian Pulisic, um den Weg vom beidfüßigen Knirps bis zum amerikanischen Hoffnungsträger zu zeichnen.


Christian Streich ist zum Gewissen der Liga geworden

Eloquenz und Authentizität sind zwei Attribute, die sich bei Politikern üblicherweise gegenseitig ausschließen. Ausgerechnet Freiburgs Trainer Christian Streich ist es, der diese beiden Pole zusammenbringt. Er spricht der Gesellschaft Mut in der Flüchtlingkrise zu, er zeigt sich erschüttert ob der zunehmenden Gewalttaten in Deutschland, er nimmt den in Leverkusen gefeuerten Roger Schmidt in Schutz und tröstet Maik Walpurgis nach dem Abstieg seiner Ingolstädter. Humor hat er übrigens auch noch, etwa als er einem Reporter der Badener Zeitung zu seinem neuen Mikrofon gratuliert. Was hat Frank-Walter Steinmeier eigentlich so geleistet seit seiner Amtseinführung?

Schalke tut auf ruhig

Der FC Schalke 04, das ist der deutsche Chaosklub, der Verein, der mehrere Sportnewsredaktionen am Leben erhält, die Sphinx des Ruhrpotts, aus der auch die internsten Infos irgendwoher raussickern. Damit ist seit Sommer 2016 Geschichte. Trotz fünf Niederlagen zum Start und leeren Händen zum Saisonende verfiel Schalke nie in alte Muster, sondern ließ den geschulten Mediator Christian Heidel die Wogen glätten. Wenn jetzt auch noch die Kaderzusammensetzung und das Spielsystem gestimmt hätte, wollen wir uns gar nicht ausmalen, wozu die Königsblauen imstande gewesen wären.