Praktikum bei der Regierung: Ex-Praktis erzählen, warum sie sich ausgenutzt fühlen

Ein junger Mann, der Praktikant in einem Ministerium war

Etwa 1.000 Praktikanten haben im letzten Jahr für das Auswärtige Amt gearbeitet. Sie durften im “Länderreferat Irak, Syrien, Libanon” an Deutschlands Anti-ISIS-Strategie mitarbeiten oder sind für eine Stelle im Hauptquartier der Vereinten Nationen nach New York gezogen. Die spannenden Einsatzgebiete sind nicht der einzige Grund, warum Praktika im Dienst der Bundesregierung so beliebt sind.

Eine Station in einem Bundesministerium macht sich vorzüglich im Lebenslauf. Berufsanfänger knüpfen wertvolle Kontakte in der Politik. Wer das Auswahlverfahren übersteht, ist in der Regel hochqualifiziert. Und hat einen langen Atem. Manche Bewerberinnen warten ein Jahr auf ihren Praktikumsplatz.

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Lara*, Fritz und Julia haben sich gefreut, als ihr Praktikum losging. Mit der Bezahlung ihrer Arbeit waren sie aber nicht einverstanden – uns haben sie erzählt, warum. Anschließend haben wir ihre ehemaligen Arbeitgeber konfrontiert.

Lara, 25, Auswärtiges Amt: Am Wochenende gekellnert oder auf Messen gejobbt, um sich das Praktikum zu finanzieren

Das Logo des deutschen Auswärtigen Amts in Berlin
Lara will mit ihrem Gesicht hier nicht zu sehen sein || Foto: imago | Christian Spicker

Ich habe im Sommer 2018 im Auswärtigen Amt gearbeitet. Ich will gar nicht undankbar wirken. Die Zeit im AA war sehr bereichernd. Ich hatte das Glück, genau in meinem Interessengebiet arbeiten zu können. Einfach nur Organisatorisches erledigen, wie es zum Alltag vieler Praktikanten gehört, musste ich nicht. Das Gefühl, tatsächlich etwas bewirken zu können, ist schön. Aber das Außenministerium zahlt Praktikanten eine Tagespauschale von zehn Euro, also etwa 300 Euro im Monat. Und das Geld bekommt man erst am Ende des Praktikums ausgezahlt, nicht monatlich. Das ist schon ein Fortschritt. Vor zwei Jahren haben Praktikanten noch gar nichts bekommen.

Zum Glück habe ich schnell ein WG-Zimmer für 290 Euro gefunden. Für Berlin ist das günstig, aber die übrigen zehn Euro würden höchstens die Essenskosten für einen Tag decken. Um mir meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, habe ich samstags in einem Cafe gearbeitet und an Wochenenden ab und zu Messejobs übernommen.

Das Ministerium reproduziert durch diese Bezahlung soziale Ungleichheit. Menschen, die nicht aus elitären oder akademischen Verhältnissen kommen, bewerben sich doch gar nicht für so ein Praktikum.

Gegen diese Ungerechtigkeit wollte ich etwas unternehmen. Mich dafür einsetzen, dass die Praktikanten in Zukunft fair bezahlt werden. Ich habe eine Mail an alle Praktikanten und Referendare geschrieben und viel Zuspruch erhalten.

Als ich alle Namen unter meine Forderung setzte, brach ein Shitstorm los. Am Ende hat niemand mehr über soziale Ungerechtigkeit im Ministerium gesprochen.

Drei Personen haben sich gegen eine gemeinsame Forderung ausgesprochen. Ich vermute, sie hatten Angst, aufgrund des Briefes schlecht bewertet zu werden. Weil ich noch nie zuvor eine solche Initiative gestartet hatte, setzte ich alle Namen unter den Brief. In einer internen Mail erkundigte ich mich bei meinen Kollegen, wer meine Forderung unterstützt und wen ich von der Liste streichen soll. Dann ist ein Shitstorm losgebrochen.

Viele haben gesagt, es sei nicht rechtens, Namen unter einer Forderung zu schreiben, ohne vorher die Zustimmung der betreffenden Personen einzuholen. Klar, das war ein Fehler von mir und den habe ich sofort eingesehen. Das Traurige war, dass niemand mehr über soziale Ungerechtigkeit im Ministerium gesprochen hat. Es ging nur noch um meinen Fehler mit den Namen.

Die gemeinsame Forderung war gescheitert. Damit die Kritik an der unfairen Bezahlung trotzdem ankommt, bin ich alleine zur Personalabteilung gegangen.


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Mir war von vornherein klar, dass ich auf diesem Weg wenig Erfolg haben würde. Im Gespräch erklärte mir die Personalabteilung, mein Engagement sei “begrüßenswert”. Die Finanzabteilung bestimme aber über die Budgets, da würden die Personaler auch nichts machen können. Außerdem sei die Nachfrage extrem hoch. Daher gebe es keinen Anlass, die Praktikantengehälter zu erhöhen.

Ich finde es sehr unreflektiert, dass der deutsche Staat und insbesondere das Auswärtige Amt soziale Ungleichheit in der Welt bekämpfen will, im eigenen Haus aber dazu beiträgt und hochqualifizierte junge Menschen weit unter Mindestlohn bezahlt. Ich sehe auch meine eigene Rolle kritisch, denn ich habe den Bedingungen ja zugestimmt und bin damit ein Teil des Problems.

“Ich bekomme hier umsonst Kaffee, das ist doch schon mal was”, sagte ein anderer Praktikant.

Wirklich geärgert habe ich mich über die Reaktionen auf meinen Protest. Da kamen Aussagen von anderen Praktikanten wie “Ich bekomme hier umsonst Kaffee, das ist doch schon mal was”, oder “Man kann sich doch darauf einstellen, dass es hier kein Geld gibt, weiß man ja vorher”. Insgesamt habe ich den Eindruck von meiner Generation, dass wir alle so beschäftigt mit unserem Lebenslauf sind. Wir merken nicht, dass wir ausgebeutet werden. Wir nehmen es dankbar und ohne Protest hin.

Das Auswärtige Amt beruft sich darauf, dass es keine Vorschrift gebe, Studierenden im Pflichtpraktikum ein Gehalt zu zahlen. Schon auf der Website des Außenministeriums finden Interessenten den Hinweis: “Bitte klären Sie vor Ihrer Bewerbung, ob Sie darüber hinaus über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um die Kosten für u.a. Anreise, Wohn-, und Lebenshaltung während Ihrer Praktikumszeit in Berlin zu tragen.”

VICE hat beim Auswärtigen Amt nachgefragt, ob das Ministerium Studierende nicht einfach stärker unterstützen könnte, die zwar Lust auf das Praktikum haben, aber nicht genügend Geld? “Für eine finanzielle Unterstützung von Praktikantinnen und Praktikanten, die über die Zahlung der Aufwandsentschädigung hinausgehen, können leider keine Haushaltsmittel bereitgestellt werden.”

Und warum wird die Zahlung nicht dem Aufenthaltsort angepasst und monatlich ausgezahlt? Die Aufwandsentschädigung sei weltweit einheitlich. Praktikanten im Ausland könnten beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) ein Stipendium beantragen. Um die Aufwandsentschädigung monatlich auszuzahlen, sei der “Verwaltungsaufwand zu groß”, heißt es im Auswärtigen Amt. Eine grundsätzliche Erhöhung ist nicht geplant.

Fritz, 24, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Für vier Monate auf der Couch der Schwester geschlafen

Beim Thema Welternährung läuft vieles falsch: 10 Prozent der Weltbevölkerung sind chronisch unterernährt, dabei gibt es genug Lebensmittel für alle. Europäische Unternehmen zerstören mit spottbilligen Lebensmittelexporten den Binnenmarkt von Entwicklungsländern. Und deutsche Schweine werden im Ferkelalter unter größten Schmerzen kastriert. Für weitere zwei Jahre, so hat es der Bundestag letztes Jahr entschieden.

Ich wollte herausfinden, was die Bundesregierung gegen diese Missstände unternimmt, und habe mich deshalb für ein Praktikum im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beworben. Das Ministerium erklärte mir, dass nur Pflichtpraktikanten, also Studierende, eingestellt würden. Mit meinem Bachelor in Ernährungswissenschaften war ich aber schon fertig. Also habe ich mich mit dem Wissen des Ministeriums an der Uni eingeschrieben, ohne studieren zu wollen.

Für Praktikanten, die nicht studieren und dementsprechend anständig bezahlt werden müssten, gibt es keinen Stellen. Ich habe also 300 Euro im Monat verdient. Ich finde das unfair. Da feiert die Bundesregierung den flächendeckenden Mindestlohn ab und ich muss mit einer “Aufwandsentschädigung” in einer fremden Stadt auskommen. Wohlgemerkt mit Hochschulabschluss in der Tasche.

Ich entschied mich trotzdem dafür, weil das Landwirtschaftsministerium eine Top-Adresse ist. Als Notlösung habe ich dann die Wohnzimmercouch meiner Schwester bezogen. Für den Schlafplatz in der 1,5 Zimmer Wohnung habe ich ihr eine Miete von 170 Euro bezahlt, weitere 60 Euro gingen für die Monatskarte für Bus und Bahn drauf. Und auf der Arbeit wurde schicke Kleidung erwartet, also Sakko, Chino-Hose und Anzugschuhe.

Zum Glück habe ich im Studium gespart und wurde von meinen Eltern ein bisschen unterstützt, womit sicher nicht jeder rechnen kann. Meine finanzielle Situation war dennoch belastend. Am Wochenende Ausgehen oder ein Fitnessstudio-Abo waren nicht drin. Und bei Einladungen von Freunden abzusagen, weil man gerade kein Geld hat, ist auf Dauer frustrierend.

Ich habe das Gefühl, dass es eine Art Praktikanten-Maschinerie gibt: Zum Aufräumen von Datenbergen und der Organisation von Konferenzen war immer ein neuer Praktikant da, dem man die Aufgabe auf den Tisch knallen konnte.

Um meine Fernbeziehung aufrecht zu erhalten, habe ich ab und zu ein Zimmer in billigen Hotels am Hauptbahnhof für mich und meine damalige Freundin gebucht. Wir konnten ja nicht immer die kleine Wohnung meiner Schwester in Beschlag nehmen. Einen Urlaubstag hatte ich in vier Monaten Praktikum nicht. Für eine Familienfeier wurde mir allerdings erlaubt, Überstunden abzubauen.

Inhaltlich gab es am Praktikum überhaupt nichts zu meckern. Ich konnte Kontakte in die Branche knüpfen, wie ich es mir erhofft hatte, zum Beispiel zur Welthungerhilfe. Auch die Kollegen haben meine Arbeit geschätzt und mich fair behandelt.

Ich hatte trotzdem das Gefühl, dass es eine Art Praktikanten-Maschinerie gibt. Zum Aufräumen von Datenbergen und der Organisation von Konferenzen war immer ein neuer Praktikant da, dem man die Aufgabe auf den Tisch knallen konnte. Beim Evaluationsgespräch am Ende des Praktikums habe ich klar gesagt, dass die Arbeit zwar sehr interessant war und mir Spaß gemacht hat, die Entlohnung aber ein Unding ist.

Die Aufwandsentschädigung bei studentischen Pflichtpraktika sei “eine rein freiwillige Leistung”, erklärt auch das Landwirtschaftsministerium gegenüber VICE. Dass Bewerber vom Ministerium angeregt wurden, ein Studium aufzunehmen, nur um für ein Praktikum in Frage zu kommen, bestreitet eine Sprecherin des Hauses.

Aber warum gibt es überhaupt eine Aufwandsentschädigung, anstatt eines ordentlichen Gehalts? Das Praktikum diene einer “zielgerichteter Betreuung und fachlicher Anleitung praktische Kenntnisse und Arbeitsplatzerfahrungen”. Es könne nicht mit einem Arbeitsverhältnis gleich gesetzt werden, heißt es im Landwirtschaftsministerium.

Nach der Praktikantenrichtlinie solle diese Aufwandsentschädigung mindestens 300 Euro im Monat betragen. Auch das Landwirtschaftsministerium beabsichtigt nicht, die Aufwandsentschädigung zu erhöhen. Einen Anspruch auf Urlaub haben die Praktikanten “in der Regel” nicht.

Julia, 24, Wirtschaftsministerium und Deutsche Botschaft in Nairobi: “Praktikanten sind in diesem Fall wohl keine Mitarbeiter”

Während meines Bachelorstudiums habe ich in zwei Bundesministerien Praktika gemacht. 2016 arbeitete ich im Wirtschaftsministerium in Berlin und im vergangenen Sommer in der Deutschen Botschaft in Nairobi. In Deutschland war die Aufwandsentschädigung von 300 Euro für mich persönlich okay, in Kenia nicht.

Dank meines Stipendiums bekomme ich jeden Monat 300 Euro plus BAföG-Satz, um meine Lebenshaltungskosten während des Studiums zu finanzieren. Mit der Aufwandsentschädigung des Ministeriums hatte ich monatlich genug Geld zur Verfügung.

Auch, weil ich relativ schnell eine bezahlbare WG gefunden habe und das Zimmer in meinem Studienort Münster untervermieten konnte. Mir ist klar, dass nicht jeder Studierende in so einer privilegierten Position ist.

Noch bevor der gesetzliche Mindestlohn 2015 eingeführt wurde, hieß es in der Presse, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel werde in seiner Behörde mit gutem Beispiel vorangehen. Für alle Mitarbeiter gebe es künftig den angepeilten Stundensatz von 8,50 Euro. Praktikanten, in diesem Fall wohl keine Mitarbeiter, erhalten im Wirtschaftsministerium auch vier Jahre später nicht den Mindestlohn.

Das Auswärtige Amt zahlt Praktikanten zehn Euro Aufwandsentschädigung pro Tag, auch in New York, wo ein WG-Zimmer gerne mal 1.500 Euro kostet.

Für mich persönlich wurde die schlechte Bezahlung problematisch, als ich im Frühjahr 2018 für zwei Monate nach Nairobi zog. Das Auswärtige Amt zahlt Praktikanten zehn Euro Aufwandsentschädigung pro Tag, auch im Ausland. Und zwar egal, ob man im verhältnismäßig günstigen Warschau eingesetzt wird oder in New York, wo ein WG-Zimmer gerne mal 1.500 Euro kostet.

Eine Kollegin von mir, eine Akademikerin mit Doktortitel, musste einen Kredit aufnehmen, nur um die Stelle in Kenia überhaupt annehmen zu können. Der Staat lässt hochqualifizierte Bewerber also draufzahlen dafür, dass sie ein Pflichtpraktikum in einem Entwicklungsland machen.

Kenia ist das entwickeltste Land in Ostafrika, deshalb haben hier zahlreiche Institutionen wie die UNO, EU oder die Weltbank ihren regionalen Sitz. Das treibt die Mieten in die Höhe. Mein Zimmer, das ich aus Sicherheitsgründen in der Nähe der Botschaft bezog, kostete umgerechnet 550 Euro Miete.

Auch die Preise von Supermärkten oder Restaurants ähneln europäischen Großstädten. In Kenia haben wir Praktikanten daher ziemlich sparsam gelebt.

Meiner Chefin waren die finanziellen Nöte der Praktikanten durchaus bewusst. Sie hat mich deshalb zu vielen Konferenzen und Veranstaltungen mitgenommen, damit sich mein Praktikum lohnt.

Für die schlechte Bezahlung ist die Arbeit in der Botschaft ziemlich anspruchsvoll. Wir haben um 7.30 Uhr morgens angefangen zu arbeiten und waren meistens bis 17 Uhr im Büro. Ich habe zum Beispiel die Diplomatische Korrespondenzen geschrieben, also Lageberichte für das “Hauptquartier” in Berlin. Eine Aufgabe, die meistens von Praktikanten erledigt wird, da man so den Abteilungsleitern einen Teil ihrer Arbeit abnimmt.

Wenn im Nachbarland Somalia beispielsweise eine Dürre herrscht, weil Äthiopien immer mehr Staudämme baut, berichten wir dem Auswärtigen Amt in Berlin über diese Vorgänge.

Mir ist es wichtig zu sagen, dass ich in Nairobi eine tolle Chefin hatte, der die finanziellen Nöte der Praktikanten durchaus bewusst waren. Sie hat mich deshalb zu vielen Konferenzen und Veranstaltungen mitgenommen, damit sich mein Praktikum lohnt. Und das hat es auch. Ich bin froh, all die lehrreichen Erfahrungen in Kenia gesammelt zu haben.

In der deutschen Botschaft ist sich jeder darüber bewusst, dass die prekäre Beschäftigung von Praktikanten ein Problem ist. Aber solange in Berlin die Gewissheit herrscht, dass sich auch ohne faire Bezahlung die Bewerber um die begehrten Stellen reißen, ist es egal, was die Außenstelle in Nairobi denkt.

Insgeheim glaube ich, dass es durchaus Spielraum gibt. Aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung habe ich gehört, dass die Praktikanten dort 500 Euro im Monat bekommen – immerhin etwas. Die Kollegen von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GiZ), eine staatliche Organisation, verdienten nach eigenen Angaben 1.500 Euro, inklusive Gefahrenzuschlag.

Obwohl die Praktikanten der GiZ fast dieselben Aufgaben wie ich erfüllten, lag unser Verdienst weit auseinander. Das kann nicht sein, denn Auslandspraktika sind eine extrem lehrreiche Erfahrung. Sie sollten jedem und jeder offenstehen.

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