Stell dir vor, du planst eine Dienstreise. Du möchtest verschiedene Städte besuchen und die Reiseroute so legen, dass die Strecke möglichst kurz ist, kein Ort zweimal besucht wird und du am Ende wieder in deinem Büro ankommst. Mathematiker nennen diese Aufgabe das “Problem des Handlungsreisenden”. Sie gilt als Benchmark-Test für Optimierungsalgorithmen und eignet sich sogar zur Entschlüsselung von DNA. Ein Forschungsteam aus Japan hat nun herausgefunden: Physarum polycephalum kann das Problem lösen – ein Schleimpilz.
Schleimpilze sind Einzeller. Sie leben in Wäldern und wuchern am liebsten auf Totholz. Und offenbar sind sie schlauer als man denkt. Zumindest haben Forschende der Keiō-Universität in Tokio bewiesen, dass sie mit etwas technischer Hilfe rechnen können. Dabei verfügen sich nicht einmal über ein zentrales Nervensystem. Aber für das Problem des Handlungsreisenden finden sie eine annähernd perfekte Lösung.
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Die Berechnung wird mit jeder zusätzlichen Stadt komplizierter. Bei vier Städten gibt es nur drei mögliche Lösungen, bei sechs Städten schon 360, und bei zehn Städten sogar 181.440. Seit Beginn der 90er-Jahre nähern sich Computerwissenschaftler der optimalen Lösung für Millionen von Städten an.
Die Schleimpilze finden die perfekte Reiseroute nur für bis zu acht Städte. Erstaunlich daran ist aber, dass die Zeit, die der Schleimpilz braucht, um das Problem zu lösen, linear ansteigt – obwohl die Anzahl der möglichen Lösungen exponentiell wächst. Der Schleimpilz braucht also etwas über 20 Minuten, um die optimale Route zwischen vier Städten zu finden. Für acht Städte braucht er in etwa 50 Minuten – eine starke Leistung, wenn man bedenkt, dass die Zahl der möglichen Routen mal eben von drei auf 2.520 gestiegen ist.
Ohne technische Hilfe schaffen die Pilze die Berechnung nicht
Wie die Pilze rechnen, beschreiben die Forschenden in einem Paper im Magazin Royal Society Open Science, das am 19. Dezember 2018 erschienen ist. Der Schleimpilz Physarum polycephalum ist aus zwei Gründen besonders gut für die Versuche geeignet: Er verformt sich, um an Nahrung zu gelangen, und er hasst Licht.
Um diese natürlichen Eigenschaften für ihr Computer-Experiment zu nutzen, platzieren die Forschenden den Schleimpilz auf einen speziellen Chip mit 64 Kanälen, in die er seinen Körper ausdehnen kann. Anschließend wird der Chip auf ein nährstoffreiches Plättchen gesetzt. Der Schleimpilz streckt sich nun nach allen Seiten aus, um möglichst viel Nahrung aufzunehmen. Wenn man die Kanäle beleuchtet, zieht der lichtscheue Schleimpilz sich wieder zurück.
Um das Problem des Handlungsreisenden zu imitieren, wurde jedem Kanal ein Buchstabe für eine Stadt zwischen A und H, und eine Nummer zwischen eins und acht zugeteilt, die für die Reihenfolge der besuchten Städte steht. Wenn der Schleimpilz sich also beispielsweise in die Kanäle A3, B2, C4 und D1 ausstreckt, würde die Antwort zum Problem des Handlungsreisenden D, B, A, C, D heißen.
Ganz allein schafft der Schleimpilz das allerdings nicht: Damit er denken kann, setzten die Forschenden ein neuronales Netzwerk ein, das die Position des Schleimpilzes und die Entfernung zwischen den Städten nutzt, um bestimmte Kanäle zu erleuchten. Das Netzwerk ist so programmiert, dass Städte mit einer größeren Entfernung zueinander mit höherer Wahrscheinlichkeit beleuchtet werden als andere Kanäle. Indem der Algorithmus die Plattform, auf der der Schleimpilz sitzt , manipuliert, drängt er ihn praktisch in Formen, die eine annähernde Lösung des Problems darstellen.
Video: Pilze – Das Plastik der Zukunft
Das Experiment bildet die Grundlage für energiefreundliche biologische Computer. Diese Geräte sollen für ihre Berechnungen die natürlichen Eigenschaften von Schleimpilzen und anderen Mikroorganismen nutzen. Die Hoffnung dahinter: Biocomputer sollten viel weniger Strom brauchen. Das Problem: Bisher reicht ihre Leistung bei Weitem nicht an die eines üblichen Computers heran.
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Dieser Artikel ist zuerst auf der englischsprachigen Seite von Motherboard erschienen.