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Schokolade schnupfen soll der neuste Trend in Europas Nachtclubs sein

Ja sicher. Und Segway-Partys sind der heißeste Scheiß in Berliner Technoclubs.

Foto: imago | Michael Westermann

Der Mensch ist erfinderisch. The sky is the limit. Wozu eins, wenn man auch zwei haben kann … : Floskeln und Kalendersprüche, die auf unseren Hang zu Diversität, Feinoptimierung oder schlichter Gier abzielen, gibt es zuhauf. Da bleibt es jedem selbst überlassen, mit welcher Sentenz er das Verhältnis zwischen Mensch und Drogen auf den Punkt gebracht haben will—denn wenn es um Drogenkonsum geht, verlieren wir gerne das Maß: Wozu einen Kaffee trinken, wenn man auch zehn trinken kann? Wozu Koffein, wenn man auch Kokain nehmen kann, und wozu das Pulver schniefen, wenn man es sich auch in den Arsch blasen kann? Diese Frageketten könnte gefühlt bis ins Unendliche weitergetrieben werden, doch das führt zu nichts. Stattdessen soll hier der Fokus auf der folgenden Evolutionsstufe des Drogenkonsums liegen: Seit einiger Zeit wird nicht Koks oder Speed, sondern Schokolade durch die Nase gezogen.

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In Berlin findet sogar einmal monatlich die Partyreihe Lucid statt, wo sich die Tanz- und Feier-Jünger das braune Pulver in die Nasenschleimhäute schießen. Im Manifest der Veranstalter heißt es:

"Wir verkaufen keinen Alkohol, aber das bedeutet nicht, dass wir "Anti"-irgendetwas sind. Wir präsentieren Euch lokale Künstler und kulinarische Abenteurer, die Euch mit hochschwingender 'Medizin' versorgen—rohem Kakao, Super-food smoothies, Kräutermischungen, veganen Köstlichkeiten und vielem mehr. Lucid strebt Freiheit von allen Dogmen oder der Zugehörigkeit zu irgendeiner Subkultur an. (…)

Das Erwachen der funkelnden Seelen—in Berlin und darüber hinaus—geschieht JETZT—und wir wünschen uns mit Lucid das Clubhouse für diese Evolution zur Verfügung zu stellen: um uns zu verbinden, zu tanzen, zu schwitzen und zu träumen…gemeinsam!"

Sounds like fun. Dass Schokolade eine berauschende und stimmungshebende Wirkung nachgesagt wird, ist nicht neu. Sie soll Stoffe wie Anandamid, Phenylethylamin, Serotonin und Theobromin enthalten, dies jedoch in derart geringen Mengen, dass eine Person circa 200 bis 300 Tafeln essen müsste, um von den darin aufgezählten Substanzen high zu werden. Bei dieser geringen Konzentration ist es also egal, ob man eine Tafel Schokolade isst, sie sich in den Arsch steckt, aufkocht und in die Vene drückt oder eben schnieft: Als Substitut für das weiße Pulver bleibt Kakao wirkungslos.

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Eigentlich müsste das jedem klar sein und doch Titeln Medien wie zum Beispiel bigFM: "Schokolade schnupfen: Der neuste Trend in Europas Nachtclubs". Na klar, wer kennt sie nicht, die meterlangen Schlangen auf den Toiletten, wo sich die Leute gruppenweise in den Kabinen einschließen, um mit aufgerollten Fünfzigern dicke Kaba-Kakao-Bahnen wegzusniffen. Und neuerdings werde ich auf den Tanzflächen immer wieder darauf angesprochen, ob ich nicht vielleicht ein paar M&M's zu verkaufen hätte. "Ja, hab' ich. Ein Stück zehn Euro, zwei für fünfzehn. Aber pass auf, die Dinger sind hart, sind die mit Erdnuss drin."

"Nimm' lieber erst mal eine Halbe. Ansonsten schiebst du Kiefer."

Und was macht überhaupt einen "Trend" aus? Reicht es da ein zerschossenen Ketamin-Kevin auf dem Sofa in der Chillout-Zone eines Clubs sitzen zu sehen, der kurz vor seinem Blackout noch das Kunststück vollbrachte, sich einen Snickers-Riegel ins linke Nasenloch anstatt den Mund zu stecken oder müssen da erst Entzugskliniken aus dem Boden schießen, deren Spezialität im therapeutischen Auffangen von Start-up-Millionären und ihrem Hang zum ibizenkischen Discotempel Pascha und Lindt Zartbitterschokolade mit einem Reinheitswert von 99 Prozent liegt?

Rein wie frisch gefallener Schnee. Gönn dir, Bruder, man lebt nur einmal | Screenshot: Lindt

Schwer zu beantworten, das alles. Vielleicht aber auch doch nicht. Denn in nahezu in allen Berichten über die europäische Wunderdroge Schokolade taucht ein Typ auf: Chocolatier Dominique Persoone. 2007 baten ihn die Rolling Stones für eine ihrer Partys eine Dessert-Kreation zu entwickeln. Persoone kam auf die Idee, einen "Chocolate Shooter" zu bauen. Mit ihm konnten sich die Gäste auch das eigens von ihm dafür kreierte Kakaopulver mit Minze, Ingwer oder Himbeere direkt ins Hirn klatschen:

Mittlerweile verkloppt er den Shooter für 45 Euro und ist vermutlich ein reicher Mann. Aus einem Party-Gag ist ein Geschäftskonzept entstanden. Gut für Persoone. Als Droge ist Schokolade trotzdem für den Arsch. … ja nicht mal das.