Man muss nicht jede Woche Sanft und Sorgfältig hören, um sich auf Schulz & Böhmermann zu freuen. Eine Talkshow, die die Anarchie in ein Format zurückbringen möchte, das sich in Deutschland vor allem durch die immergleichen Polit- und Gesellschaftsdebatten definiert. Das klang schon beim Vorgänger Roche & Böhmermann gut und fand ein (wenn auch in der Masse nicht unbedingt spektakuläres) begeistertes Publikum. Man muss allerdings auch kein ausgesprochener Fan von Charlotte Roche sein, um zugeben zu können: Das Format war auch deshalb so spannend, weil die Moderatorin und Autorin kein Problem damit hatte, den geladenen Gästen so richtig vor den Kopf zu stoßen. Scheinbar auch ihren Co-Moderator, nach nur zwei Staffeln wurde das Experiment Roche & Böhmermann nämlich beendet.
Mit Olli Schulz, dessen großer Unterschied zu Roche laut Redaktionsleiter Daniel Fiedler darin bestehe, dass es sich bei ihm um einen Mann handle und es somit eine andere „Spannung” zu Böhmermann gebe, stehen die Zeichen jetzt eher auf Harmonie—und das merkt man der Sendung auch an. Die Moderatoren kennen und mögen sich, sind eingespielt und wenn es zu einem Disput kommen sollte, dann wohl eher nicht zwischen den langjährigen Podcast-Partnern. Nicht nur von der reinen Optik des Studios her fühlt man sich in eine Zeit versetzt, in der Männer noch unter sich waren. Neben Schulz und Böhmermann sitzen am Tisch: Kollegah, seines Zeichens Deutschrap-Star mit Zuhälter-Künstlerpersona, Jörg Kachelmann, Meteorologe und ehemaliger Angeklagter in einem Vergewaltigungsprozess, und der Hochstapler und ausgewiesene Selbstdarsteller Gert Postel, der sich zwei Jahre lang als Arzt ausgab. Als einzige Frau unter fünf Männern befindet sich Drehbuchautorin und Regisseurin Anika Decker, die offenbar eingeladen wurde, um über ihren Kollegen Til Schweiger zu sprechen. Wäre die feministische Autorin Sybille Berg nicht im Vorspann zu sehen gewesen, sie hätte sich in ihrer Spiegel-Kolumne wahrscheinlich über die recht einseitig zusammengestellten Gäste aufgeregt.
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Wie das wahrscheinlich so ist, wenn man sich in einem (zumindest von der Besetzung her) neuen Format ausprobiert, plätschert das Ganze erst einmal vor sich hin. Kachelmann lächelt ins Leere und sticht vor allem durch seine extrovertierte Kleiderwahl (Schal im Studio, Hosenträger mit Schweizer Flagge) ins Auge, Olli Schulz freut sich, dass er sich endlich mal mit seinem Lieblingsrapper unterhalten kann, und Gert Postel fühlt sich in regelmäßigen Abständen grundlos angegriffen. Über große Teile der ersten Folge ist es ausgerechnet Kollegah, der die „gar nicht mal so blöden Fragen” an die anderen Gäste stellt—wie es DWDL in seiner Kritik zur Sendung gar nicht mal so unschnöselig formulierte—und damit überhaupt irgendein Interesse an einem richtigen Gespräch zeigt. Jan Böhmermann hingegen verlegt sich—bis auf gelegentliches Nachfragen und mitunter tatsächlich sehr lustige Einwürfe („Herr Postel, sie sind KEIN Psychiater!”)—erst einmal darauf, sehr viel zu lachen. Das entwickelt mit fortschreitender Dauer einen gewissen Charme und wird tatsächlich zu der unterhaltsamen, alternativen Gesprächsrunde, die man sich von Anfang an gewünscht hat.
„Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem Leute beim Arbeitgeber verpfiffen werden”—Jan Böhmermann im Interview.
Gegen Ende der Sendung gibt es allerdings auch einen Moment, an dem es leider nicht mehr so viel zu lachen gibt und zum ersten Mal tatsächlich etwas gesagt wird, was den Einsatz der Spielkarten gerechtfertigt hätte, mit denen die Talk-Teilnehmer ganze Minuten aus der Sendung schneiden lassen könnten: Jörg Kachelmann spricht über den Vergewaltigungsprozess, der ihm trotz letztendlichem Freispruch die Karriere gekostet hat. Und hantiert im Zuge dessen mit fragwürdigen Statistiken, die Frauen erst einmal unter Generalverdacht stellen.
Erst betont Kachelmann noch, dass es ganz furchtbar sei, dass „die Mehrheit der Frauen, denen ernsthaft dieses Verbrechen passiert, nicht zur Polizei gehen, nicht vor Gericht gehen, und dieses Verbrechen nicht anzeigen.” Eine „andere Furchtbarkeit” sei allerdings, „dass die Mehrheit der angezeigten Verbrechen keine waren.” Böhmermann guckt zweifelnd und spricht von einer „unpopulären Position”. Schulz raucht, scheinbar unangenehm berührt, während Kachelmann den Bogen zwischen angeblich erfundenen Vergewaltigungen und unfairen Sorgerechtsstreits spannt. Man hat das Gefühl, dass jetzt eigentlich irgendetwas gesagt werden müsste, irgendjemand fragen müsste, woher Kachelmann diese angeblichen „Mehrheits”-Zahlen nimmt, wo doch die Zahl der Falschbeschuldigungen laut Frauenrechtsorganisationen und Studien im einstelligen Bereich liegt. Stattdessen kommt das Thema auf Andreas Türck, Jan Böhmermann macht einen Witz und es wird erleichtert gelacht. Gerade noch mal gut gegangen. Kachelmann spricht zwar noch weiter, die Sendung steht aber sowieso kurz vor ihrem Ende und wirklich streiten scheint sich auf den letzten Metern jetzt auch niemand mehr zu wollen.
Vielleicht wäre die Diskussion anders verlaufen, wäre neben Anika Decker noch eine andere Frau eingeladen gewesen. Vielleicht war das Thema nicht oberflächlich und leicht genug für eine Sendung, die das Format Talkshow sowieso nur ironisch verzerrt wiedergeben und allem voran unterhalten möchte. Vielleicht zeigt diese Szene aber auch erschreckend deutlich, wie schwierig es nach wie vor ist, über das Thema sexuelle Gewalt zu sprechen, ohne in generalisierendes Schwarz-Weiß-Denken zu verfallen.
Wir hätten trotzdem gerne gewusst, wie Charlotte Roche in dieser Situation reagiert hätte.
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Titelfoto: Screenshot von YouTube aus dem Video „Onlineteaser: Episode 01″ von Schulz & Böhmermann