Schumi und Ferrari war alles andere als ein vorbestimmtes Erfolgsmärchen

Wenn ein schwieriges Unterfangen am Ende ein voller Erfolg wird, neigt man gerne dazu, die Startschwierigkeiten zu vergessen. Das gilt auch für den Sport, wo Dominanz häufig mit dem Zusammenkommen glücklicher Faktoren gleichgesetzt wird. Dass langanhaltender Erfolg aber vor allem mit großer Risikobereitschaft, Disziplin und unzähligen Stunden Arbeit zusammenhängt, geht häufig unter.

Ein gutes Beispiel dafür ist Michael Schumachers Zeit bei Ferrari. Angesichts seiner großen Erfolge—72 Grand-Prix-Siege, unzählige Rekorde—sagen viele, dass Schumi als Ferrarista leichtes Spiel hatte. Zwischen 2000 und 2004 saß der beste Fahrer im besten Auto beim reichsten und prestigeträchtigsten Team und dominierte den Formel-1-Zirkus nach Belieben. Schumacher und Ferrari: Das musste einfach funktionieren. Aber musste es das wirklich?

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Denn was diese Sichtweise ausblendet, ist die Tatsache, dass Ferrari ein Schatten seiner selbst war, als Schumi zum stolzen Rennstall aus Maraniello wechselte. 1996 war es ganze 17 Jahre her, dass die Scuderia zum letzten Mal Weltmeister geworden war. In der Zwischenzeit hatte man sich eher einen Namen als zerstrittenes und mies geführtes Chaos-Team gemacht, das regelmäßig mit Boxenstopp-Possen und schlechten V12-Motoren für Gelächter sorgte.

Schumis Siegerfaust wurde ab 2000 Standard | PA Images

Mit anderen Worten: Auch wenn seine Zeit bei Ferrari ein XXL-Happyend hatte, war sein Wechsel nach Italien ein großes Risiko. Hätte Ferrari so weiter gemacht wie in den Jahren zuvor—und 1996 war eigentlich noch kein Ende in Sicht—hätte Schumi womöglich keinen weiteren Titel mehr geholt. Fernando Alonso kann davon ein Lied holen, der wie Schumi mit zwei Titeln zu Ferrari wechselte, dort aber keine einzige Weltmeisterschaft gewinnen konnte.

Der erste offizielle Ausritt als Ferrari-Fahrer fand vor fast genau 20 Jahren statt, als Schumi am 15. Februar 1996 erste Testfahrten mit seinem neuen Wagen absolvierte. Wie lange das mittlerweile her ist, wird bei folgenden Fakten deutlich: Max Verstappen—der mit seinen gerade mal 18 Jahren in seine zweite Saison geht und als Riesentalent gilt—war noch nicht mal geboren, als Schumacher in sein F310-Cockpit stieg. Keiner der jetzigen Fahrer war in irgendeiner Rennklasse vertreten. Selbst der „Opa” des 2016er Grids, Kimi Raikkonen, war 1996 gerade mal 16 und düste noch in Gokarts rum. Oder wer es noch plastischer braucht: Als Schumi zum ersten Mal für Ferrari fuhr, spielte KFC Uerdingen 05 noch in der ersten Bundesliga.

Doch während Uerdingens fetten Jahre noch im selben Jahr vorbei sein sollten, zeichnete sich Ferraris neue Blütezeit erst noch am Horizont ab. Und dafür musste man schon sehr genau hinschauen. Denn während Schumis alter Arbeitgeber, Benetton, in der Vorsaison 11 Siege und 137 Punkte holte, gewann die Scuderia nur ein einziges Mal und sammelte mickrige 73 Punkte in der Konstrukteurswertung.

Schumacher zusammen mit Ferraris Gerhard Berger in Hockenheim 1995. Er sollte sein Nachfolger werden. | PA Images

Doch Ferrari ist eben mehr als nur ein normaler Rennstall. Schon lange vor Schumi hatte man Rennsportlegenden wie Ascari, Lauda oder Villeneuve hervorgebracht. Nur wenige Fahrer können Ferraris Reiz widerstehen (richtig, Sebastian Vettel?), selbst wenn Maranello mal schwächelt.

Doch natürlich ging es Schumi—wie auch Vettel—nicht nur um motorsportromantische Gesichtspunkte. Es ging auch um Geld, und zwar eine ganze Menge. Denn Schumi wurde für seine tollen Erfolge auch fürstlich entlohnt. Für die ersten beiden Jahren soll ihm Ferrari 60 Millionen Dollar bezahlt haben, was ihm zum bestverdienenden Fahrer seiner Zeit machte. Doch neben dem Geld träumte er von noch etwas: den Ruf als Retter. Er träumte davon, der Fahrer zu werden, der Ferrari endlich wieder aus seinem titellosen Dornröschenschlaf erwecken könnte. Denn der Heilsbringer von Ferrari würde in den Geschichtsbüchern der Formel 1 einen ganz besonderen Platz einnehmen.

Doch nach den ersten Testfahrten wird bei Schumacher das Herz ganz schön in die Hose gerutscht sein. Denn der 1996er-Ferrari war nachweislich eine Fehlkonstruktion. Man konnte ihm fast schon ansehen, dass er nicht schnell genug sein würde. Klobig und ohne Anmut fehlten ihm die klaren Linien und die aggressive Aerodynamik des Williams-Renault, der 1996 das Feld dominieren sollte.

Schumachers neuer Teamkollege—der stets Tacheles redende Eddie Irvine—hat das einst in einem Sky-Interview bestätigt: „Ich weiß noch genau, wie unser neuer Wagen vorgestellt wurde und ich zu Michael sagte: ‚Der sieht ganz anders aus als all die anderen Wagen’. Der Wagen war eine einzige Katastrophe. Aber er hat das Beste aus dem Ding rausgeholt, denn das war ein Schrotthaufen, wirklich.”

Als „das Ding” vorgestellt wurde. | PA Images

Schumacher bewies seinen Wert für sein neues Team bereits in der ersten Saison bei Ferrari, als er—„dem Ding” zum Trotz—drei Siege einfahren konnte. Der erste, beim Großen Preis von Spanien, wird mittlerweile als eine der besten Leistungen in der Geschichte der Formel 1 angesehen, da Schumacher das Kunststück gelang, bei strömendem Regen einen Vorsprung von 45 Sekunden auf den Zweitplatzierten herauszufahren (Schumi sollte sich wiederholt als echter „Regengott” erweisen). Nach weiteren Siegen in Belgien und—sehr zur Freude der Ferraristi—in Italien landete Schumacher im Gesamtklassement auf einem starken dritten Rang.

Schon nach der ersten Saison war klar, dass sich Schumachers riskanter Wechsel auszahlen sollte. Was durch Ross Brawns und Rory Byrnes Verpflichtung 1997 noch befeuert wurde, mit denen Schumi schon bei Benetton zusammengearbeitet hatte (und zwei Weltmeistertitel gewann). Ein anderer wichtiger Name, der die Schumi-Ferrari-Symbiose erst möglich machte, war Jean Todt. Todt kam bereits 1993 als neuer Teamchef zur Scuderia, wo es ihm noch vor Schumis Ankunft gelang, das Rennteam vom zerstrittenen Gesamtkonzern zu isolieren. Aber auch im Team selber räumte er erstmal ordentlich auf. Seine erste Amtshandlung soll Berichten zufolge darin bestanden haben, den Teammitgliedern an den Rennwochenenden Rotwein zu verbieten.

Von da an ging es nur noch bergauf. 1997 gewann Schumacher fast den Titel, obwohl sein Bolide dem Williams deutlich unterlegen war. Auch in der Folgesaison landete er auf einem starken zweiten Platz, als McLaren das schnellste Gesamtpaket stellte. 1999 wäre er womöglich schon Weltmeister geworden, hätte er sich in Silverstone nicht das Bein gebrochen. Doch ab der Saison 2000 begann die absolute Schumi-Dominanz, die ganze fünf Jahre andauern sollte. Ja, es war bisweilen auch mal langweilig, trotzdem war das Erreichte historisch und wohl auch ein Rekord für die Ewigkeit.

Also: Wenn man über Schumachers Zeit bei Ferrari spricht, sollte man diese nicht mit seinen WM-Siegen—vor allem die vernichtenden zwischen 2002 und 2004—gleichsetzen. Denn Schumis Vermächtnis für den Rennsport wird umso größer, wenn man sich klarmacht, wie weit er vom Podium entfernt war, als er in Fiorano 1996 seine ersten Testrunden „in dem Ding” drehte.