Im Epizentrum der katholischen Kirche brodelt es nicht nur, wenn weißer Rauch aufsteigt. Der Vatikan löst oft explosive Schlagzeilen aus. Zum Beispiel weil Lehrern Jobs entzogen werden, wie dem Referendar in NRW, der seinen Partner heiraten wollte. Jeden Mittwoch gibt Papst Franziskus im Vatikan eine Generalaudienz, bei der Tausende seiner Predigt lauschen. Das große Thema am Mittwoch: Du sollst nicht töten. So thronte der Pontifex auf dem Petersplatz in Rom und prangerte diesmal die Abwertung menschlichen Lebens durch Kriege, Ausbeutung und Ausgrenzung an. Soweit so gut. Dann aber löste er sich vom Text. Und es dauerte nicht lange, bis er über Schwangerschaftsabbrüche sprach.
Für die katholische Kirche sind Abtreibungen, künstliche Befruchtung und Verhütungsmittel die Inkarnation des Bösen. Das ist nichts Neues. Erst im Juni dieses Jahres verglich Papst Franziskus Schwangerschaftsabbrüche mit dem Euthanasie-Verfahren der NS-Diktatur. Jetzt legte er nach: “Einen Menschen zu beseitigen, ist wie die Inanspruchnahme eines Auftragsmörders, um ein Problem zu lösen”, sagte er während der Ansprache und stellte somit Pro-Choice-Ärzte mit Auftragsmördern gleich.
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Wir haben mit einer niedergelassenen Gynäkologin gesprochen und sie gefragt, ob sie sich selbst als Auftragsmörderin wahrnimmt. Sie möchte anonym bleiben, auch weil sie keine Lust auf Hassbotschaften von Abtreibungsgegnern hat.
VICE: Der Papst bezeichnete in seiner Generalaudienz Abtreibungsärzte als “Auftragsmörder”. Wie haben Sie darauf reagiert?
Ärztin: Ich fühle mich nicht persönlich beleidigt, weil der Papst nicht meine Instanz ist. Deshalb ist es mir relativ egal, was er sagt. Wenn, dann fühle ich mich in meiner Rolle als Ärztin angegriffen. Denn ich habe mich ja dem verschrieben, Menschen zu helfen. Und nicht sie zu ermorden. Wenn meine Profession mit den Taten eines Auftragsmörders gleichgesetzt wird, ist das nicht schön, Papst hin oder her.
Bedrohen solche Aussagen die gesellschaftliche Akzeptanz von Schwangerschaftsabbrüchen?
Alles, was gesagt wird und was anschließend in der Presse erscheint, macht etwas mit den Menschen. Wenn der Papst so etwas von sich gibt, kann das den Gegnern von Abbrüchen noch mehr Auftrieb geben und ihre Meinung legitimieren. Gerade in Ländern, die noch einmal um einiges christlicher sind als Deutschland. In Italien etwa ist die gesetzliche Lage eigentlich viel besser als in Deutschland. Aber die Kirche übt einen viel stärkeren Einfluss aus. Deshalb finden Frauen dort häufig keine Klinik.
Wie oft wurden Sie schon Mörderin genannt?
Das ist mir zum Glück noch nie passiert, aber es gab in Deutschland schon einzelne Ärzte, bei denen es Demonstrationen vor der Praxis gab. Das größere Problem sind derzeit die sogenannten “Gehsteigberatungen”, die Abtreibungsgegner immer wieder vor Beratungsstellen wie pro familia abhalten. Es wurde schon überlegt, dort Schutzzonen einzurichten, damit die Frauen, die sich informieren wollen, nicht auf der Straße belästigt werden.
Erhalten Sie manchmal wütende Briefe oder böse Kommentare auf Facebook?
Als Ärztin darf ich in Deutschland gar nicht für Schwangerschaftsabbrüche werben, um den umstrittenen Paragraphen 219a läuft deshalb auch ein Gerichtsverfahren. Deshalb erreicht mich auch keine negative “Fanpost”. Ich stehe aber wie die meisten Ärzte auf einer Website namens Babycaust. Dort sind wahllos die Namen von Ärzten und Ärztinnen aufgelistet, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es ist nicht angenehm, auf einer Website des “millionenfachen Kindermords” bezichtigt zu werden. Aber dadurch, dass man mit so vielen Kollegen dort steht, relativiert sich das dann wieder.
Wieso bedient der Papst sich der Rhetorik der Abtreibungsgegner?
Man sollte sich erstmal fragen, ob solche Vergleiche nicht die Opfer des Holocaust verhöhnen. Oder eben die Opfer von Auftragsmorden. Es ist ja nicht nur beleidigend für die Frauen, die sich in einer schwierigen Lage befinden, sondern für alle, die man damit in Verbindung bringt.
Der Ausdruck “Auftragsmörder” passt aber gut zum “Lebensschützer”: Die Anti-Choice-Lobby beansprucht diesen Begriff nämlich seit einiger Zeit für sich selbst. Das ist ärgerlich, auch weil Medien ihn immer wieder aufgreifen. Denn wir von der Pro-Choice-Seite schützen natürlich auch Leben: Nämlich die Leben von Frauen, die ohne einen Abbruch in Gefahr gerieten. Unsichere Abbrüche sind weltweit eine der höchsten Todesursachen in Verbindung mit Schwangerschaft. Wir Ärzte würden uns freuen, wenn alle einfach von Anti-Choice und Pro-Choice sprechen und nicht die Rhetorik der Abtreibungsgegner übernehmen.
Deutschlandweit gibt es immer weniger Ärzte, die Abtreibungen vornehmen. Wie bedenklich ist diese Entwicklung?
Das ist besorgniserregend, vor allem auf dem Land. Dort sind nicht nur die Wege zum nächsten Arzt sehr weit und die Frauen können häufig nicht zwischen der Methode des medikamentösen oder operativen Schwangerschaftsabbruch wählen. Sie müssen hoffen, überhaupt jemanden zu finden. Beratungsstellen gibt es kaum, manche Frauen müssen tagelang rumfahren, bis sie einen Termin erhalten. Die Zeit spielt aber bei einem Schwangerschaftsabbruch eine große Rolle.
Wie kann man diesem Problem entgegenwirken?
Da müsste man an mehreren Stellen ansetzen. Im Studium und in der Facharztausbildung muss das Thema behandelt werden. Das kommt derzeit selten vor, weil es die gesetzlichen Beschränkungen gibt, weil Schwangerschaftsabbrüche nicht erlaubt sind, sondern nur geduldet werden. In Deutschland wird außerdem kaum dazu geforscht. Nicht zuletzt sind die Hürden für die Praxen viel zu hoch, etwa was die Abrechnung eines Abbruchs angeht, wir Ärzte müssen uns da selbst reinfuchsen.
Eine Gesetzesänderung alleine reicht also nicht?
Ich denke nicht. Selbst wenn Abbrüche gesetzlich erlaubt wären, würden viele junge Gynäkologen die Leistung wohl nicht anbieten, wenn die bürokratischen Hürden weiterhin so hoch bleiben. Derzeit schicken viele Ärzte die Frauen lieber zu Kollegen, denn irgendwo findet sich schon noch einer. Wenn aber eines Tages die älteren Ärzte und Ärztinnen, die Abbrüche noch aus politischer Überzeugung anbieten, in den Ruhestand gehen, dann haben die Frauen in Deutschland ein Versorgungsproblem.
Update 12.10.2018: Am Freitag hat das Landgericht Gießen das Urteil gegen die Ärztin Kristina Hänel bestätigt. Sie hatte auf ihrer Website über Schwangerschaftsabbrüche informiert, was nach Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verboten ist. Hänel klagte dagegen, unterlag vor Gericht und will nun vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.
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