Einen Termin mit Schwesta Ewa zu vereinbaren ist nicht leicht. Die 28-Jährige ist dauernd auf Tour und ständig zwischen Frankfurt, Köln und Berlin unterwegs. Seit Schwesta Ewa ihr neues Leben angefangen hat, ist sie Geschäftsfrau. Sie muss ein ihre Labelaktivitäten managen, ihre Karriere pushen, Videos machen, Interviewanfragen beantworten und was noch so dazugehört, wenn man plötzlich in den Fokus der Öffentlichkeit gerät und eine Laufbahn im Musikgeschäft anstrebt.
Schwesta Ewa ist wohl eines der erstaunlichsten Phänomene des Jahres 2012 und oberflächlich betrachtet könnte man es so zusammenfassen: Vom Frankfurter Bahnhofsviertel in die Schlagzeilen der Bildzeitung. Die erste echte Hure, die rappt. Uuuuhhh. Was für eine Geschichte.
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Doch hinter den Schlagzeilen steckt eine ziemlich clevere Frau und zwischen einer TV-Aufzeichnung und der nächsten Party verabreden wir uns in einer Kreuzberger Bar. Trotz der Hektik wirkt Schwesta Ewa konzentriert und entspannt. Vollkommen unbefangen und mit viel Energie erzählt sie von ihrer Herkunft und ihrer bisherigen Tätigkeit, wobei man auch die Wut spürt, die sich in ihrer zehnjährigen Tätigkeit im Gewerbe aufgestaut hat. Denn wer denkt, als Nutte zu arbeiten, hätte irgendetwas mit Spaß zu tun, hat das ganze Spiel nicht wirklich verstanden.
Schwesta Ewa ist abgeturnt. Von der Männerwelt an sich und den Männern im Besonderen. „Alles Freier“, erklärt sie, „alles Puffgänger, Lügner und Betrüger. Alles Schwätzer!“ Schwesta Ewa muss es wissen. Die Rapperin aus Frankfurt hat wahrscheinlich schon alles gesehen und erlebt, was man so sehen und erleben kann, wenn man im Rotlichtmilieu tätig ist. Angefangen bei Frauen, die im neunten Monat schwanger noch auf der Straße stehen und arbeiten, über Ehemännern, mit dem Ring am Finger, die erst noch den Kindersitz zur Seite schieben müssen, bevor es zur Sache geht, bis hin zu einer Vergewaltigung, bei der man ihr eine geladene Waffe in den Mund geschoben hat. Schwesta Ewa ist nichts Menschliches fremd, auch nicht der Richter, der sich gerne mal mit einem Dildo ficken lässt. Wenn Schwesta Ewa durch die Straßen geht, dann hat sie immer diese Bilder im Kopf. Bilder von Männern, die zu Nutten gehen, die ihre Frauen betrügen, die für Sex Geld auf den Tisch legen: „Das ist die ganze Zeit da. Wenn ich in die Apotheke reingehe und der Apotheker fragt mich, ob er mir weiterhelfen kann, dann denke ich sofort daran, was er als Kunde verlangen würde. Wenn ich in ein Geschäft reinlaufe und ein Mann mir die Tür aufhält, sofort denke ich daran, wie er als Freier ist.“ Das könne sie nicht abstellen, sagt sie, auch nicht, nachdem sie nun ein neues Leben angefangen hat.
Schwesta Ewa, die als Ewa Müller mit zweieinhalb Jahren, zusammen mit ihrer Mutter aus Polen nach Deutschland gekommen ist, hat ihren Job an den Nagel gehängt. Seit acht Monaten ist sie raus aus dem Milieu und will auch nicht wieder zurück. Kurz nachdem sie ihr erstes Video „Schwätza“ veröffentlichte und damit einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurde, wagte sie auch den Schritt raus aus dem Gewerbe. Kein leichter Entschluss, wie sie immer wieder betont, denn schließlich ging und geht es beim Thema Prostitution um Geld. Um viel Geld. Geld, dem sie hinterher trauere, denn als Rapperin, so ist Schwesta Ewa durchaus realistisch, werde sie wahrscheinlich niemals auch nur annähernd so viel verdienen wie als Hure. „Natürlich hoffe ich, dass es was wird“, betont sie, „aber ich bin kein naiver Mensch. Rapper rappen über dicke Autos, Uhren, Schmuck und wilde Partys, doch dann sehe ich sie in der Bahn, wie sie mich fragen, ‚Ewa haste mal ne Zigarette?’ Alles Show. Alles Blender. Alles Schwätzer.“ Lügner und Betrüger auch hier.
Schwesta Ewas Auftauchen löste in der deutschen HipHop-Szene einen Sturm der Entrüstung aus. „Sie ist eine Hure, wie kann sie rappen?“, tönten die Moralapostel, dass sie eine Schande sei für alle Frauen und durch ihre Videos junge Mädchen auf den falschen Pfad führen würde. Dabei ist Ewas Schaffen und auch die kürzlich erschienene CD „Realität“ alles andere als eine Promokampagne für den Berufszweig der Prostitution. Immer wieder betont Ewa, dass ihre „Schwestern“ den geraden Weg gehen und sich nicht vom schnellen Geld blenden lassen sollen, denn das Leben im Rotlicht ist alles andere als sexy und cool. „Ich habe abends meine Batzen gezählt, ich war dann auch glücklich und konnte den Baba spielen. Ich konnte Flaschen aufmachen, Trinkgelder verteilen. Diese Feierei hin und her. Mir ging’s gut, weil ich wusste, heute wieder ne Mille mehr in der Tasche, aber ansonsten macht es einen kaputt und das ist wirklich so. Ich kann da wirklich nicht viel Positives davon berichten, außer eben das Geld.“
Geld, das große Thema der aktuellen Politik. Geld, der Antrieb sich nackt auszuziehen und Sex zu verkaufen. Dabei hat Ewa Müller vom Straßenstrich auf der Berliner Kurfürstenstraße bis zu Luxushotels in Monaco alles mitgemacht. Das eine so schwer wie das andere: „Manchmal fand ich dieses rein raus, komm schnell, zappzapp und dann wieder weg, fast besser, als dieses nette Getue mit ‚ja Schatz, nein Schatz’, stundenlang, hihi und nett und freundlich und korrekter Service. Da fand ich diese schnellen, billigen Aktionen für 30 Euro fast angenehmer, anstatt mit jemandem Champagner zu trinken und auf Liebe zu machen und immer lachen, wenn er was Witziges erzählt.“
Doch Männer wollen reingelegt werden und das weiß niemand besser als eine Prostituierte. Über den Spruch so mancher Freier, der Dame habe es ja auch Spaß gemacht, kann sie nur müde lächeln. Die Hauptaufgabe einer Hure ist es, dem Freier das Gefühl zu vermitteln, er sei der Beste. Hauptsache er holt noch mal Geld vom Automaten und kommt wieder. Spaß macht das nicht. Es ist Arbeit und der Rest eben Schauspielkunst, wobei sie an ihren ersten Abend denken muss, als sie zusammen mit einer Freundin beschlossen hat, tatsächlich den Schritt ins Milieu zu wagen. „Vorher hatte ich mir ja gedacht, ich mach die Beine breit und der Typ macht dann mit mir, was er will. Der erste Abend war eine Katastrophe, ich wusste gar nicht, wie ich anfangen soll, aber dann habe ich zum Glück schnell ältere Damen kennengelernt, die mir gezeigt haben, dass man immer der Chef sein muss und die mir ein paar Techniken beigebracht haben, wie man zum Beispiel auf Falle fickt.“
„Auf was fickt?“
„Auf Falle. Das heißt er steckt nicht drin, aber der Freier denkt, er wäre drin. Man kann auch auf Falle blasen, mit dem Schwanz hinterm Ohr.“
Auf Falle ficken! Ein Sieg der Schauspielerei über das Verlangen nach Unterwerfung und jedes mal ein kleiner Triumph für die Prostituierte, wenn es gelingt.
Das Verhältnis von Huren zu ihren Feiern ist zwiespältig. Auf der einen Seite wollen beide Geschäftspartner, so gut es geht, ein angenehmes Erlebnis haben, auf der anderen Seite herrscht auf beiden Seiten eine tiefe Verachtung für den jeweils anderen. Was Ewa Müller allerdings am meisten stört, ist, die tiefe Respektlosigkeit gegenüber ihrem ehemaligen Beruf und wenn von Stolz und Ehre die Rede ist, dann kann sie ihren Ärger kaum verhehlen: „99,99% der Männer betrügen ihre Frauen mit Prostituierten. Dann schauen sie aber auf uns herab: ‚Oh sie ist eine Nutte, wie kann das sein?’, aber gestern haben sie einen Fuffi bei mir gelassen. Bei den Moslems ist es genauso schlimm. Wenn Ramadan war, dann waren die Puffs leer. Egal, wo ich war, die Puffs waren leer. Wenn dann das Zuckerfest anstand, war der Puff so proppenvoll, das war mit Abstand der Tag, an dem ich am meisten Geld verdient habe im ganzen Jahr. Das ging stundenlang, rein, raus, rein, raus, rein, raus, so dass ich noch nicht einmal Zeit hatte, eine Zigarette zu rauchen. Ehre? Ich bitte dich?“
Diese und andere Geschichten verpackt sie nun in ihre Raptexte und wenn es nach ihr ginge, dann wären diese noch viel härter und gerne würde sie noch mehr Hass in ihre Strophen packen.
Zur Zeit arbeitet Schwesta Ewa an ihrem ersten richtigen Album, das auf dem Label des Verurteilten Goldräubers Xatar erscheinen wird. Dieser gab ihr auch den Tip, die wirklich derben Geschichten erst einmal noch im Koffer zu lassen. Zu hart, zu skandalös, zu viel Realität für die Deutsche Rap-Gemeinde. Komisch, wo Deutsche Rapper doch immer so viel Wert auf Realness und Authentiziät legen.
Doch lange wird sich Ewa ohnehin nicht mehr zurückhalten und man spürt ihren Enthusiasmus, wenn sie davon erzählt, dass sie sich gerne mit zwei drei anderen Rap-Künstlerinnen zusammenschließen würde, um den Jungs da draußen einmal so richtig in den Arsch zu treten: „Ich denke schon die ganze Zeit darüber nach, dass ich mich gerne mit anderen Rapperinnen zusammentun würde, zwei, drei krasse Dinger raushauen, damit die ganze Männerwelt Bescheid weiß, dass wir es auch drauf haben.“ Zeit dafür wäre es allerdings. Höchste Zeit.
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