Nabi Gechi ist ein Killer, der nicht zimperlich ist.
Vor zwei Wochen führte ein afghanischer Befehlshaber der Miliz einen Angriff gegen ein von Taliban besetztes Haus in Nordafghanistan. Nachdem seine Männer es umstellt hatten, holte Nabi seine Lieblingswaffe—einen russischen, an einem Gewehr befestigten 40mm-Granatwerfer—hervor. Jede einzelne Granate ist schon extrem gefährlich, aber Nabi feuerte nicht nur eine oder zwei, sondern gleich 123 Granaten auf das Haus. Eigentlich sind sie dafür da, in hohem Bogen auf ein Ziel abgefeuert zu werden, das sich Hunderte Meter entfernt befindet. Laut Haji Mohammed, Nabis Schwiegersohn und Soldat in seiner Miliz, schoss er sie aber wie Kugeln direkt auf das Ziel. Das Ergebnis war ein brennender Höllensturm, der selbst für Afghanistan extrem erschien.
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Das blutige Resultat zeigt er uns nach dem Essen in seinem Lager auf Video. Zu sehen sind die mit Schrapnellen gespickten und starren Leichen, die dem Hauptquartier der afghanischen Nationalpolizei wie Stapel Feuerholz als Geschenk präsentiert werden. Der Polizeichef nennt Nabi vor lokalen Fernsehkameras einen Helden.
Für viele im Qualizal-Distrikt ist er ein Held; ein Einheimischer, der kämpft und machte sich neben einigen der größten Warlords, wie Gulbuddin Hekmatyar und Abdul Rashid Dostum, einen Namen. Irgendwann verließ er das Schlachtfeld und eröffnete ein erfolgreiches Restaurant in Mazar-i Sharif, aber vor zwei Jahren baten ihn die örtlichen Ältesten, zurückzukehren, da sich ihr Distrikt unter Einfluss der Taliban und eines massiven Drogenproblems befand. Fast die Hälfte der 30.000 Einwohner ist von Haschisch abhängig—Kinder eingeschlossen. Die Folge einer Kultur, in der Mütter ihre Kinder dreimal am Tag mit Haschischkügelchen ruhigstellen, um den ganzen Tag Teppiche weben zu können.
Nabi kam also zurück und stellte aus seinen loyalen Anhängern eine stehende Miliz aus 300 Männern zusammen, baute 18 Kommandostützpunkte im Distrikt auf und verscheuchte die Taliban.
Malika Gharebyr, Leiterin für Frauenangelegenheiten im Distrikt, lobte Nabis Bemühungen. Die Taliban belästigten sie jedes Mal, sobald sie das Haus verließ. „Nabi hat Sicherheit gebracht“, sagt sie. „Es ist jetzt viel besser.“
Nabi hat auch der Regierung dabei geholfen, die nahegelegenen Mohnfelder zu zerstören. „Ohne Nabi wären wir nicht dazu fähig gewesen, die Felder in Qualizal zu beseitigen“, sagt uns Abdul Bashir Morshid, Leiter der Antidrogenabteilung der Provinz Kunduz.
Ursprünglich unterstützen die Amerikaner das, was Nabi tat—sogar so sehr, dass sie ein Spezialkommando einflogen, um seine Männer auszubilden, zu bewaffnen und zu bezahlen. Das ganze war Teil eines kontroversen und mittlerweile stillgelegten Programms namens Critical Infrastructure Police (CIP)—irreguläre Einheiten, die meistens in Nordafghanistan stationiert waren und teilweise sogar aus früheren Taliban bestanden. Sie bekamen gelbe Armbänder, aber keine Uniformen, und wurden, zumindest Teilzeit, dazu eingesetzt, die Taliban zu bekämpfen. Allerdings nutzten viele CIP-Einheiten ihre Dienstmarken und Waffen aus und begannen, von den lokalen Gemeinschaften Nahrung, Treibstoff und auch alles andere, was sie wollten, zu erpressen.
Ähnliche Vorwürfe gibt es auch gegen Nabis Miliz. Während jedem Mitglied monatlich 200 US-Dollar aus einem frei verfügbaren Fond der NATO gezahlt wurden, wurde seine Gruppe beschuldigt, dieses Einkommen durch Besteuerung der Einheimischen aufzubessern. Anscheinend wurden „Schutzsteuern“ erhoben und Weizensäcke, Hühner oder andere Nahrung als Zahlungsmittel gefordert, was die Gruppe entweder selber aß oder weiter verkaufte. Vor etwa einem Jahr begann Afghanistans Präsident Hamid Karzai damit, das Programm langsam auslaufen lassen—nachdem er überraschenderweise von dessen Existenz erfahren hatte—, weil er befürchtete, irreguläre Kräfte ohne offizielle oder finanzielle Verbindung zur Regierung könnten eines Tages eine Gefahr für sie darstellen.
Obwohl das CIP-Programm mittlerweile nicht mehr existiert, gilt das nicht für Nabis Miliz. Er besteuert immer noch die Einheimischen und es werden weiter Nahrungsmittel regelmäßig in sein Lager und zu seinen Checkpoints geliefert. Man könnte sagen, Nabi ist zu dem geworden, was Präsident Karzai am meisten befürchtete hatte: ein kampferprobter, bezahlter Warlord ohne echte Bindung zur afghanischen Regierung.
Die Ältesten von Qualizal, die ich bei meiner Ankunft treffe, erzählten mir, dass sie die Regierung unterstützen, aber Nabi für die Sicherheit brauchen. Sie sagten, dass Karzai die Miliz in eine von der Regierung bezahlte Vollzeit-Polizeitruppe umwandeln sollte—oder seine eigenen Sicherheitskräfte schicken. Aber bis dahin brauchen sie die Sicherheit, die Nabis Truppen ihnen bieten können, selbst wenn sie dafür zahlen müssen. Allerdings gaben sie zu, dass nicht jeder glücklich über die zusätzlichen Steuern ist.
Nabi behauptete, er sei hier, weil die Leute ihn bräuchten. Wenn sie wollen würden, dass er geht, so sagte er, würde er sich dem beugen. Allerdings fügte er hinzu, dass er oder seine Männer nichts Falsches machen.
„Die Menschen wollten, dass ich herkomme und für Sicherheit sorge“, sagte er mir mit sanfter Stimme und seiner nicht dazu passenden, kräftigen Statur, die so typisch ist für die Turkmenen, zu denen 95 Prozent der Bevölkerung von Qualizal gehören. „Ich freue mich, ihnen zu dienen. Falls ich also etwas falsch gemacht habe, sollte ich vor einem Gericht sitzen und sie gegen mich und meine Verbrechen sprechen lassen.“
Um über Nabi zu berichten, war es für uns nötig, in seinem Lager zu bleiben. Mein Übersetzer und Kollege Matin Sarfraz, der ebenfalls aus der Provinz kommt, hat sich um alles gekümmert. Nabi ist ein guter Gastgeber. Er servierte uns Wassermelone und Tee, eine große Portion Pilaw (Reis und Fleisch), kräftiges flaches Brot, Joghurt und Mountain Dew. Nabis Freunde und Waffenbrüder waren auch dabei. So auch Mullah Jilani, ein ehemaliger Taliban-Befehlshaber, der die Seiten gewechselt hat, nachdem Nabi die Taliban-Streitmacht überwältigt hatte.
„Ein Kopfgeld von 500.000 US-Dollar ist auf Nabi ausgesetzt“, sagte Jilani. „Die Taliban haben sehr viel Angst vor ihm.“
Ich auch ein bisschen, um ehrlich zu sein. Obwohl er sehr nett zu uns war, umgab ihn eine stille Bosheit, von der ich glaubte, dass sie jeden Moment ausbrechen könnte.
Ich kenne ja einige seiner Geschichten. Allerdings auch, weil ich sie an den Ufern des breiten, schlammigen Kunduz selbst zu spüren bekam, als er uns am frühen Abend dorthin mit zum Schwimmen nahm. Wir sprangen ins Wasser wie Kinder in den Sommerferien. Die Strömung war so stark, dass man mit voller Kraft gegenhalten musste, um nicht weggespült zu werden.
Foto von Matin Sarfraz
Als wir herauskamen, um Fotos zu machen, schlug mir Nabi hart auf den Rücken und stellte mir scherzhaft ein Bein—fast hätte er mich zu Boden geworfen. Ich bin kein schlechter Ringer, aber ich merkte, dass selbst ein halbherziger Versuch, es mit ihm aufzunehmen, katastrophal enden würde—besonders weil seine Männer alle zuschauten und er sicher nicht vor ihnen als Schwächling dastehen wollte. Er versuchte einige weitere Male, es mit mir aufzunehmen, schlang seine Arme um mich und schlug seinen Kopf hart gegen meinen. Ich hielt ihn auf Distanz, lächelte, versuchte, Ruhe zu bewahren und ihn nicht zu provozieren—befand mich also in genau der gleichen Position, in der sich momentan die afghanische Regierung befindet.
Text, Video und Fotos von Kevin Sites, sofern nicht anders gekennzeichnet.
Kevin Sites ist einer der Journalisten, die am besten in den Wirren des Krieges gedeihen. Als Yahoos! erster Kriegsberichterstatter zwischen 2005 und 2006 wurde in diesem Jahr berühmt, nachdem er über mehrere größeren Konflikte berichtet hatte. Er ist bekannt für seine multimedialen, selbständigen Ein-Mann-Reportagen, die die „Backpacker-Bewegung“ einleitete. Kevin reist momentan durch Afghanistan und berichtet über das chaotische Land und deren Kämpfe, während sich internationale Kräfte, wie Deutschland und die Vereinigten Staaten, allmählich zurückziehen.