Identity

Schwule Männer haben im Beruf noch immer das Gefühl, sich verstellen zu müssen

Wie ähnlich sind sich dein Büro-Ich und dein Ich-Ich? Es gibt kaum jemanden, der die Schwelle zum Büro übertritt, ohne zumindest einen winzigen, aber integralen Bestandteil seines Wesens zu verändern—manchmal auch, ohne es zu merken. Allein die Strukturen und die Hierarchie, die das bloße Konzept eines Angestelltenverhältnisses bestimmen, zwingen einen dazu.

Anders ist es dagegen, wenn du das Gefühl hast, bestimmte Aspekte deines Lebens und deiner Persönlichkeit verstecken zu müssen. Nicht, weil du keine Lust hast, deinen Kollegen zu nahe zu kommen, sondern weil du Angst hast, dass sie dich sonst mit anderen Augen sehen, den Respekt vor dir verlieren oder dich sogar offen ablehnen könnten—was sich dann schlussendlich auch wieder negativ auf deine berufliche Laufbahn auswirkt.

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Diese Form „bewusster Manipulation” gehört für viele homosexuelle Männer noch immer zum beruflichen Alltag, wie eine neue Studie der Universität von Cincinnati festgestellt hat. Im Rahmen der Studie wurden Strategien analysiert, die sich einige homosexuelle Männer angeeignet haben, um „ihre geschlechtliche und sexuelle Identität im Berufsalltag zu managen.” In anderen Worten: Sie achten bei der Arbeit darauf, was sie anziehen, was sie sagen und was sie tun, um die Tatsache zu verbergen, dass sie schwul sind, weil sie vermeiden wollen, bei ihren Kollegen auf „negative Reaktionen” zu stoßen.

„Schwule Männer leiden im beruflichen Umfeld unter vielen Befürchtungen hinsichtlich ihres Identitätsmanagements und ihrer Selbstdarstellung”, sagt Travis Dean Speice, führender Autor der Studie und promovierter Soziologe.

So wie Evan*, der Speice erzählt hat, dass er es vermeidet, Shorts in hellen Farben im Büro zu tragen. „Stattdessen trägt er bei der Arbeit so viel Schwarz wie möglich, damit er nicht heraussticht. Ein anderer Mann, Dylan, arbeitet als Kellner und hat erzählt, dass er in dem Restaurant, in dem er arbeitet, bewusst darauf achtet, wie er spricht. An Tischen mit überwiegend männlichen Gästen spricht er nach eigener Aussage sehr viel formeller, also langsamer und mit einer tieferen Stimme. Bei Frauen ist er dagegen in der Regel sehr viel entspannter und macht auch mal einen Witz.”

Die meisten von ihnen hatten die Sorge, ihren Job zu verlieren, nicht befördert zu werden oder von vornherein nicht eingestellt zu werden.

Speice hat 30 Männer zwischen 22 und 52 Jahren interviewt, die aus einem weit gefächerten Spektrum unterschiedlichster Beschäftigungsfelder ausgewählt wurden: Büroangestellte, Leute aus dem Servicebereich, Festangestellte, Beschäftigte in Teilzeit und Freiberufler. Speice sagt auch, dass er kein Muster erkennen konnte, das sich durch einen bestimmten Industriezweig zog. Was er allerdings bemerkt hat, war, dass viele der Männer Angst davor hatten, anders behandelt zu werden. „Die meisten von ihnen hatten die Sorge, ihren Job zu verlieren, nicht befördert zu werden oder von vornherein nicht eingestellt zu werden”, sagt er gegenüber Broadly.

Auffallend war auch, dass die Befragten oft das Wort „professionell” verwendeten, um ihre angepassten Verhaltensweisen zu beschreiben. Speice glaubt, dass sie diesen Begriff unterbewusst verwendet haben—als eine Art Euphemismus für ihr stereotypisch männliches Verhalten. „Viele Männer haben mir gesagt, dass sie die Veränderung ihres Aussehens und ihres Verhaltens bei der Arbeit nicht als Veränderung ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität betrachteten”, erklärt er. „Sie haben einfach nur gesagt: ‚Ich kleide mich professionell.’ Wenn ich sie allerdings gefragt habe, was das genau bedeuten soll, beschrieben sie letztendlich meistens das, was ein heterosexueller Mann erwartungsgemäß tragen würde. Wer sich modischer oder extravaganter kleidete, hatte in der Regel Angst, man würde sie für ‚zu schwul’ halten oder nicht ernst nehmen.”

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Auch für Männer, die sich bei der Arbeit geoutet haben, in der Regel vor Kollegen, mit denen sie auch befreundet sind, ist es ähnlich kompliziert. Die Reaktionen, die sie für ihr Outing bekommen haben, waren meist sehr positiv—allerdings nur vordergründig.

Ein Beispiel, das Speice nennt, ist der 41-jährigen Rodney. Er hat sich vor einer Kollegin geoutet. „Sie meinte etwas in Richtung ‚Du bist schwul, aber du bist nicht schwul schwul”, sagte Rodney gegenüber Speice. „Sie hat mir im Endeffekt vermittelt, ich wäre nicht ‚zu schwul.’ Sie fand es okay, sagte aber auch etwas ziemlich homophobes über einen schwulen Typ Mann, den sie nicht mochte. Das fand ich verletzend. So etwas will ich nicht hören.”

Hunter ist 37 Jahre alt und hat eine ähnliche Geschichte erlebt. „Eine Kollegin meinte: ‚Wow, ich hätte niemals gedacht, dass du schwul bist!’”, erzählte er Speice. „Ich habe das immer für ein Kompliment gehalten, aber mittlerweile finde ich es ziemlich verletzend, wenn jemand sagt, dass er niemals gedacht hätte, dass ich etwas bin, was im Endeffekt aber bin.”


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