Dieser Artikel stammt aus unserer Redaktion in Zürich.
Rund 900.000 Technofans tanzen jedes Jahr im August einen Tag lang ums Seebecken in Zürich, mittlerweile seit 26 Jahren. Sie trinken, sie schwitzen, sie haben ihre abgefahrensten Klamotten an. Manche nehmen Drogen, andere kriegen einen Sonnenstich, und alle müssen irgendwann etwas essen. Und dafür sorgt Jessica Fall. Sie ist für die Marktstände an der Street Parade zuständig. Diesen Job macht sie seit 2015 – und hat in dieser Zeit viel erlebt.
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Am Tag der Street Parade beginnt Jessica ihren Dienst um 4:45 Uhr. Mit ihrer Arbeit ist sie erst 20 Stunden später fertig – dann, wenn sich die letzten Gäste der Street Parade zurück in die Clubs der Stadt verziehen, um dort weiterzufeiern.
Jessicas Arbeit für die hungrigen Tanzenden beschränkt sich aber nicht nur auf einen Tag im Jahr. Monate im Voraus beginnt sie zu organisieren, wer wo steht und was anbietet. Dafür verhandelt sie mit Standbetreibern aus der Schweiz und dem nahen Ausland. Der Tag der Street Parade selbst ist lang, oft heiss und vor allem stressig für sie, ihr Team und die Food-Stand-Betreibenden. Klar, dass manche Vorstellungen da aufeinanderprallen und Konflikte entstehen. Mit welchen Situationen sich Jessica Jahr für Jahr rumschlagen muss, hat sie uns erzählt:
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Nervensägen
“Es gibt viele Standbetreiberinnen und Standbetreiber, die bereits jahrelang dabei sind und wissen, wie es an der Street Parade läuft. Und dann gibt es ein paar, die jahrelang dabei sind und trotzdem jedes Jahr aufs Neue versuchen, mich in den Wahnsinn zu treiben. Weil ich in den Tagen vor der Parade noch viel zu tun habe, kannst du dir vorstellen, dass es mir lieber ist, wenn du mich mit deinen Fragen per Mail oder Telefon löcherst.
Ein gewisser Standbetreiber marschiert hingegen immer wieder einfach unangemeldet in unser Büro und ruiniert mir dann den Tag. Er zahlt die Standgebühren bar – wobei er mich vermutlich manchmal über den Tisch ziehen will, denn die Beträge stimmen nicht immer. Er diskutiert auch immer wieder mit uns über die Grösse seiner Marktstände. Obwohl er schon fast zehn Jahre dabei ist, hat er immer noch nicht geschnallt, dass wir gewisse Dinge nun mal nicht nur für ihn ändern werden.”
Sexismus
“Es gibt immer wieder Menschen – sprich Männer –, die nicht verstehen können, warum genau ich jetzt die Verantwortliche für die Marktstände an der Street Parade bin. ‘Sie sind zu schön für das’ oder ‘Sie sollten lieber eine Tänzerin auf der Bühne sein’ sind Sätze, die ich mir nicht nur einmal anhören durfte. Mir ist bewusst, dass das vermutlich als Kompliment gedacht ist, aber es bleibt jedes Mal eine eher unangenehme Unterhaltung.”
Getränkeverkauf
“Die Street Parade kann nur dank Sponsoren finanziert werden. Dazu gehören auch unsere Getränkesponsoren, denen wir als Gegenleistung zusichern, dass sie neben unseren eigenen Bars und VIP-Areas die Einzigen sind, die Getränke verkaufen dürfen. Ich weise jedes Jahr aufs Neue darauf hin, dass Marktstände aus diesen Gründen keine Getränke verkaufen können. ‘Auch kein Wasser oder Bier?’, ist dann oft die erste Reaktion, die ich zu hören kriege. Ja, Leute, auch kein Wasser oder Bier. Beides ist flüssig, beides kann man trinken, also gehört es wohl oder übel zu Getränken.
Einen Fall fand ich besonders frech: Auf das Verbot hingewiesen, schrieb mir eine Person mal eine Mail mit dem Hinweis, dass sie ihr Bier dann einfach aus dem Einkaufswagen heraus in der Menge verkaufen werde, statt direkt am Stand. Diese Person dankte mir sogar für meine ‘Vorwarnung’.
Ein anderer hatte ebenfalls meine Warnungen in den Wind geschlagen und sich mit 200 Dosen Bier eingedeckt. Als sein Stand dann kontrolliert wurde, versuchte er, die Menge als Eigenverbrauch anzugeben. Niemand kann zu zweit diese Menge Bier trinken und gleichzeitig noch ein Geschäft führen.”
Betrüger
“Bei jedem Street Food Festival oder Markt muss man Standgebühren bezahlen. Das ist ganz normal in diesem Geschäftsfeld. Trotzdem gibt es immer wieder welche, die meinen, sie könnten mich verarschen. Einmal hat jemand zum Beispiel einen Zahlungsbeleg für eine Standmiete gefälscht. Eingezahlt wurden bloss 35 Franken, auf dem Beleg standen aber über 2.000 Franken. Diese Person hat mir den Beleg als Foto geschickt und die Zahlen mit Photoshop manipuliert. Ich musste ihn daraufhin natürlich bei der Polizei anzeigen.
Was mich daran besonders ärgert: Diese Person kam relativ spät auf uns zu und hatte Glück, dass ein anderer Standbetreibender kurz zuvor abgesprungen war. So hatte ich einen guten Standplatz frei und konnte ihm sogar einen guten Preis machen. Ich war kulant und wurde dafür übers Ohr gehauen. Sowas macht einen für die Zukunft schon misstrauisch, obwohl 90 Prozent der anderen Standbetreiberinnen und Standbetreiber stets aufrichtig und ehrlich mit uns zusammengearbeitet haben.”
Hygiene
“Nicht jeder versteht unter Lebensmittelhygiene das Gleiche. Diese Erfahrung muss ich jedes Jahr aufs Neue machen. So richtig schockiert war ich aber, als ich einen Foodstand-Betreiber dabei erwischt habe, wie er Fische an seinem Stand aufgehängt hat, um sie in der Sonne trocknen zu lassen. Warum er das für eine gute Idee hielt, weiss ich bis heute nicht.”
Es geht auch anders
“Aus einer anstrengenden Situation kann aber auch mal etwas Nettes entstehen. Vor ein paar Jahren hat sich ein Standbetreiber furchtbar darüber aufgeregt, dass er keine Stehtische vor seinen Stand aufstellen durfte. Sie waren nun mal ausserhalb seiner Standfläche, da lässt sich nicht dran rütteln. Diese Regel habe ich mir nicht ausgedacht, um Leute zu schikanieren, sie wurden mit der Stadt Zürich aus Sicherheitsgründen festgelegt, um Fluchtwege freizuhalten und zu garantieren, dass sich die Gäste ohne Gefahren bewegen können.
Nachdem die Street Parade vorbei war, kam der aufgebrachte Standbetreiber allerdings bei uns im Büro vorbei und hat sich für sein Verhalten entschuldigt. Als Wiedergutmachung brachte er einen selbstgebackenen Kuchen mit dem Street-Parade-Logo vorbei. Obwohl er sich zuvor wie ein Arsch benommen hat, war das eine sehr nette Geste, die ich nicht erwartet hätte.”
Die Street Parade findet am 11. August 2018 in Zürich statt.