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Aaron hat Teile seiner Hoden im Krieg verloren, so hat er trotzdem noch Sex

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Aaron Causey, Bombenentschärfer der US Army, war in Afghanistan stationiert, als es zur Katastrophe kam. Es war der 7. September 2011, Causey wurde er zu einem verdächtigen Gegenstand gerufen. Während er sich ihm näherte, fiel Causey auf, dass es sich dabei nicht um eine echte Bombe handelte. Es war eine Attrappe, mit der ein in der Nähe platzierter, selbstgebauter Sprengkörper ausgelöst wurde. Durch die Explosion wurden Causeys Beine und Teile seiner Hände zerfetzt, es bohrten sich Metallsplitter in seine Schultern, und sein Hodensack wurde schwer in verletzt.

Causey musste operiert werden, es blieben ihm nur noch zwei Drittel eines Hodens und er kann quasi kein Testosteron mehr produzieren. Causey, der nur ein Jahr vor dem Anschlag seine jetzige Ehefrau Kat geheiratet hatte, wurde bewusst, dass sich sein Sexleben für immer verändert hatte.

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Genitalverletzungen machten 2010 noch fast 13 Prozent aller Kriegsverwundungen von US-Soldaten in Afghanistan aus. In den vergangenen Jahren ist die Zahl etwas zurückgegangen – dank neuer Schutzausrüstung und Truppenabzügen aus Afghanistan. Aber vor allem in Kriegsgebieten, in denen selbstgebaute Bomben und ähnliche Waffen eingesetzt werden, sind solche Verletzungen bei Soldaten und Zivilisten weiterhin häufig.

Das Ausmaß von Genitalverletzungen kann variieren: Manchmal werden Penis und Hoden komplett zerstört, in einigen Fällen ist nur ein Hoden betroffen, oder es gar keine äußerlichen Schäden, aber innere Verletzungen am Genitalgewebe. Jede dieser Verletzungen kann das Sexleben der betroffenen Person für immer verändern. Verschiedene Behandlungs- und Therapieansätze können helfen, den Sexualtrieb nach einem Verlust der Hoden wieder aufzubauen. Ein Penistransplantat kann Betroffenen ermöglichen, wieder penetrativen Sex zu haben.

Aaron und Kat Causey haben uns erzählt, wie sie es trotz der Verletzungen des Ex-Soldaten geschafft haben, wieder ein gesundes Sexleben zu führen.


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Kat Causey: Am Anfang unserer Beziehung hatten wir ein ziemlich durchschnittliches Sexleben. Während der Fernbeziehung mussten uns Sexting, Videos und versaute E-Mails reichen. Da wir so oft getrennt waren, war mir in den ersten Tagen nach unseren Wiedersehen immer die Qualität wichtiger als die Quantität.

In den Wochen vor Aarons Afghanistan-Einsatz änderte sich das, da wollte ich häufiger Sex. Weil er aber oft 12 bis 14 Stunden täglich trainierte, ging das nur selten.

Aaron Causey: Mein Job ist es, Bomben zu entschärfen. Da gehört es zum Berufsrisiko, dass man in die Luft gesprengt wird und schwere Verletzungen davonträgt oder gar stirbt.

Kat: Wir haben vor seinem Afghanistan-Einsatz mehr übers Sterben geredet. Über Verletzungen eigentlich gar nicht.

Aaron: Bis zu dieser Stationierung hatte ich mit allen meinen Sanitätskollegen die Abmachung, dass sie mir das Leben retten, wenn ich nur einen Arm oder ein Bein verliere. Sie sollten mich aber sterben lassen, wenn ich zwei Gliedmaßen oder meinen Penis verliere. Mit dem letzten Sanitäter hatte ich darüber noch nicht gesprochen und durch die Explosion verlor ich mein Bewusstsein. Ich glaube, er hätte meinen Wunsch aber sowieso ignoriert und mich gerettet.

Als ich im Krankenhaus aufwachte, hatte ich kein Zeitgefühl mehr. Ich weiß gar nicht, wie oft die Ärzte mir erklärten, was passiert war. Ich kann mich nur noch daran erinnern, wie sie einmal das Laken zurückzogen, damit ich meine Wunde sehen konnte, und wie ein Urologe mit mir über die Verletzung redete.

“Man muss nach solchen Verletzungen masturbieren und Sex haben, damit man den Ärzten sagen kann, wie es einem dabei geht.”

Kat: Zweieinhalb Monate lang war Aaron richtig ungeduldig und sagte immer wieder: “Alles wird gut, wir werden auf jeden Fall wieder Sex haben und Kinder bekommen.” Ich weiß nicht warum, aber eines Tages legte sich bei ihm dann ein Schalter um und er meinte: “OK, ich habe es kapiert.” Ihm war bewusst geworden, dass es nie wieder so wird wie vor der Explosion.

Aaron: Im ersten Jahr nach dem Zwischenfall stand ich quasi ständig unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln und musste auch immer wieder operiert werden. Ich selbst kann mich an nicht mehr viel aus dieser Zeit erinnern. Was ich aber noch weiß: Eines Morgens wachte ich auf und mein Penis schmerzte. Ich hatte zum ersten Mal wieder einen Ständer – trotz Katheter. Kat und ich flippten fast aus vor Freude: “Er funktioniert noch!

Als ich mal Zeit für mich hatte, probierte ich ein bisschen rum und masturbierte. Dabei ejakulierte ich allerdings ziemlich viel Blut und bekam richtig Panik. Mein Urologe sagte aber nur: “Passt schon, einfach weitermachen.”

Kat: Man muss nach solchen Verletzungen masturbieren und Sex haben, damit man den Ärzten sagen kann, wie es einem dabei geht. Ich hatte viel Lust auf Sex, deswegen war mir das schon recht, auch wenn wir immer nur wenige Minuten miteinander schlafen konnten. Es ging dabei ja nicht um einen Orgasmus oder Intimität, sondern mehr darum zu schauen, was passiert.

Wir fanden schnell heraus, dass wir immer noch normalen penetrativen Sex haben können. Mit der Zeit wurde aber klar, dass Aaron wegen des fehlenden Testosterons nicht mehr so viel Lust hatte.

Aaron: Wir haben auch gemerkt, dass manche Stellungen nicht mehr drin sind. Ich musste erst lernen, meinen eingeschränkten Körper zu akzeptieren – und dass ich manche Dinge nicht mehr so machen kann wie früher.

Kat: Über die Jahre haben wir verstanden, was genau Aarons Verletzung für unser Sexleben bedeutet. Wir hätten vielleicht mehr Fragen stellen sollen, aber wir wussten nicht, wie. Niemand hatte Statistiken darüber, wie sich eine solche Verletzung auf das Sexleben auswirkt. Und niemand konnte uns Tipps geben oder uns an andere Menschen verweisen, die das Gleiche durchgemacht haben.

Aaron: Wir hatten eine sehr gute Beziehung zu unserem Urologen und unserem medizinischen Betreuungsteam, dort konnten wir offen über alles reden. Aber das Thema Sex haben wir auf jeden Fall öfter angesprochen als sie.

Kat: Ich wünschte, man hätte uns früher gesagt, dass wir unsere neue Situation nicht mit dem Sexleben vor der Verletzung vergleichen sollten. Wir haben ein ganzes Jahr gebraucht, um zu akzeptieren, dass der Sex mit körperlicher Einschränkung anders ist.

“Lass mich in Ruhe, wenn du dich gleich wieder in einen spitzen Teenager verwandelst.”

Aaron: In den ersten vier Jahren nach der Explosion nahm ich viele Schmerzmittel, das ist  schlecht für die Erektion. Danach musste ich mich an das Testosteron herantasten und mich wegen meiner Zeugungsunfähigkeit behandeln lassen, denn wir wollten ja Kinder. Als ich das Testosteron durch Medikamente für meine Fertilität ersetzt habe, ging meine Lust auf Sex flöten. Ich wurde total faul und nahm richtig viel zu. Wenn meine Frau mit mir schlafen wollte, sagte ich oft: “Muss ich wirklich?” Das nervte total, weil meine Frau echt heiß ist, und ich eigentlich ständig Sex mit ihr haben wollen müsste.

Kat: Wir haben das mit dem Testosteron-Level erst richtig hingekriegt, als unsere Tochter schon ein Jahr alt war.

Aaron: Wenn man sich das Testosteron spritzt, ist das immer sehr viel auf einmal. Am Tag der Spritze meint Kat oft: “Lass mich in Ruhe, wenn du dich gleich wieder in einen spitzen Teenager verwandelst.”

Kat: Es ist auch schon vorgekommen, dass ich im Bett die Kontrolle übernehmen wollte, dann aber Aarons Schmerzen den Moment zerstörten oder seine Amputationen anfingen zu zucken. Dagegen kann man nichts tun.

Im September sind wir neun Jahre zusammen und haben dementsprechend mit diversen Problemen zu kämpfen, zu denen es in Langzeitbeziehungen irgendwann kommt. Bei manchen Pärchen peppt ein Einkauf im Sexshop oder ein Besuch im Stripclub die Sache wieder etwas auf. Aber wie soll man etwas aufpeppen, wenn einem so viele Grenzen gesetzt sind?

Ich will unsere Ehe aber auch nie zu einer Art Eltern-Kind-Beziehung werden lassen. Das konnte ich schon bei anderen Paaren beobachten, bei denen der Partner oder die Partnerin eine körperliche Behinderung hat. Ich mache alles, was nötig ist, damit es nicht soweit kommt.

Aaron: Manchmal bleibt sie eine oder zwei Nächte bei einer Freundin, um etwas Abstand zu bekommen.

Kat: Wir sprechen ganz offen miteinander. Es gibt Dinge, die mir beim Sex sehr gut gefallen, die für uns jetzt aber nicht mehr möglich sind. Darüber haben wir erst vor Kurzem gesprochen und ich habe mich damit abgefunden.

Ich glaube auch, dass wir eher mal außergewöhnliche Dinge ausprobieren als andere Pärchen. Wir haben zum Beispiel schon darüber nachgedacht, unsere Ehe zu öffnen, falls Aaron seinen Sexualtrieb irgendwann komplett verlieren sollte. Wir setzen uns da keine Grenzen. Und das hat bis jetzt ganz gut geklappt.

Aaron: Manchmal probieren wir auch neue Stellungen aus.

“Wir sind kein perfektes Paar und auch nicht immer glücklich.”

Kat: Wir haben uns noch nie ernsthaft darüber unterhalten, uns zu trennen. Dennoch sollte man in einer Ehe Grenzen setzen. Das klingt egoistisch, aber wenn eine Frau penetrativen Sex will, das aber nicht mehr möglich ist, dann kann das zu schlimmen Spannungen führen.

Wir sind kein perfektes Paar und auch nicht immer glücklich. Wir müssen eben mit der Situation klarkommen. Natürlich haben wir uns schon gegenseitig verletzt, aber wir haben uns am nächsten Tag trotzdem wieder zusammengerauft.

Aaron: Es ist wichtig, die Dinge nicht schleifen zu lassen. Es gab schon ein paar echt harte Tage.

Kat: Harte Jahre.

Aaron: Aber wir sind nie aufgewacht und wollten aufgeben.

Kat: Zumindest nicht oft genug hintereinander, um ernsthaft darüber nachzudenken.

Aaron: Da hilft es echt, dass Kat verdammt heiß ist. Und unglaublich toll.

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