Sexualmagie – die Kunst, mit Orgasmen und Körperflüssigkeiten zu zaubern

Wenn Kristen Korvette gefragt wird, wie sie es geschafft hat, ihr erstes Buch an einen Verlag zu verkaufen, antwortet sie normalerweise genau so, wie man es von Jungautoren erwartet: mit harter Arbeit und etwas Glück. Privat erklärt sie sich ihren Erfolg allerdings dadurch, dass sie bei Vollmond masturbiert hat.

Korvette ist die Herausgeberin von Slutist und eine der Dozentinnen von „Das Erbe der Hexerei” an der New School in New York. Sie praktiziert Sexualmagie und nutzt die sexuelle Energie (Orgasmen) zur Manifestation ihres Zaubers. „An dem Abend, als ich mein Manuskript eingereicht habe, war zufällig Vollmond. Also habe ich mein übliches Ritual durchgeführt. Was das genau heißt? „ich habe meine Lieblingsmusik für erotische Anlässe aufgelegt (in meinem Fall immer Glam Metal, überwiegend Motley Crue), habe eine Kerze angezündet, in die ich ein Zeichen eingeritzt habe, das mein Ziel symbolisierte und schließlich habe ich meinen Kristalldildo gezückt, um den Zauber durchzuführen.” Genau einen Monat später—wieder bei Vollmond—kam dann die Zusage, erzählt sie.

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Dass Sexualmagie oft missverstanden wird, liegt auch daran, wie Liebeszauber und Hexen (diabolisch und gleichzeitig verführerisch) oft in der Popkultur dargestellt werden. Wenn man diejenigen fragt, die diese erotische Kunst praktizieren, ist sie allerdings nichts anderes als eine weitere Anwendungsform von Magie. „Du hast ein Ziel und nutzt Orgasmen und Sex, um dieses bestimmte Ziel zu erreichen”, erklärt Cat Cabral, eine Wicca-Priesterin, die über zehn Jahre lang einen okkulten Laden im New Yorker East Village geführt hat. Bri Luna, Inhaberin von The Hood Witch, stimmt dieser Charakterisierung zu. „Es geht dabei nicht darum, sexy zu sein oder eine gesteigerte Libido zu haben. Es geht darum, etwas mithilfe von Magie erreichen und sich die sexuelle Energie zunutze zu machen, um ganz reale Resultate zu erzielen”, sagt sie. „Sexuelle Energie ist auch nichts weiter als Energie. Sie ist ganz neutral.”

Die Energie mag vielleicht neutral sein, doch sie ist unglaublich mächtig—zumindest wenn man den Leuten glaubt, die sie nutzen. „Bei der Sexualmagie muss man nur zum Höhepunkt kommen und kann damit sein Leben verändern”, schreibt Damon Brand in Adventures in Sex Magick.

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Die Geschichte der Sexualmagie ist sehr umfangreich, aber auch sehr schwer nachzuvollziehen. Es ist äußerst schwierig, konkrete Aufzeichnungen zu finden. Laut Sex and the Supernatural von Benjamin Walker wurde die Sexualmagie und der erotische Mystizismus zunächst vor allem in Zentralasien praktiziert—insbesondere unter den Einwohnern einer Gegend namens Urgyan, einem „halb-mystischen Königreich, das für die Rechte der Tibetaner gekämpft hat.” Sie sollen unter anderem auch Riten durchgeführt haben, die Tantra mit einschlossen, also das Aufbauen (und Unterdrücken, um die Wirkung zu steigern) von sexueller Energie und Orgasmen. „Wie die Chroniken von Huni berichten, war die Gegend ein Ort von einem gewissen Ruf, wo Geschlechtsverkehr nicht nur als kreativitätsfördernd betrachtet wurde […] sondern auch der Aktivierung magischer Kräfte dienen sollte”, schreibt Walker.

Sexualmagie wird bereits seit Mitte des ersten Jahrtausends mithilfe von Tantra praktiziert. Allerdings fällt es durch die Vielfalt tantrischer Praktiken sehr schwer, ihren genauen Ursprung zu bestimmen. Die ersten Aufzeichnungen über Tantra gehen vermutlich auf die Tradition der Śaiva Mantramārga im fünften Jahrhundert zurück. Obwohl einem heutzutage eher moderne Sexworkshops und Sting in den Kopf kommen, wenn man an Tantra denkt, geht es dabei auch darum, Energien nutzbar zu machen. Es soll sogar zur Erleuchtung führen, schreibt Geshe Kelsang Gyatso in seinem Buch Essence of Vajrayana: The Highest Yoga Tantra Practice of Heruka Body Mandala. Leider wurden viele der ersten tantrischen Texte durch die Kreuzzüge zerstört. Die Gnosis ist eine Sammlung von alten Religionen und Sekten, die in verschiedenen Regionen—vom Mittleren Osten bis nach China—gefunden werden konnten und die zum Teil auch magische Sexualrituale durchgeführt haben. Hierzu zählten unter anderem auch Blutrituale und Mantras, um sexuelle Energien heraufzubeschwören.

Foto: Kaboompics // Karolina | Pexels | CC0

Einer der berüchtigsten Anhänger der Sexualmagie aus der jüngsten Geschichte ist Aleister Crowley, ein berühmter britischer Okkultist aus dem 19. Jahrhundert. In seinen Augen war Sex „die mächtigste magische Kraft.” Als hochrangiges Mitglied der Geheimgesellschaft Ordo Templi Orientis, bei der sexuelle Rituale häufig Teil der Initiationszeremonie waren, hat er mehrere Bücher über die Nutzung erotischer Magie geschrieben. Seine Ansichten waren allerdings genauso extrem wie sein Wunsch, mit neuen Formen sexueller Magie zu experimentieren. In Sex and the Supernatural schreibt Walker: „Um neue am Tantra orientierte Erfahrungen zu sammeln, hat sich Crowley über Inserate alle möglichen Frauen gesucht—deformierte Frauen, Kleinwüchsige, bucklige Frauen oder wie er es in seiner sehr charakteristischen und gefühllosen Art ausdrückte: ‚Freaks aller Art.’”

Zeitgenössische Hexen lehnen einen Großteil seiner Arbeiten ab. „Das war alles sehr rassistisch, sexistisch und wirklich sehr seltsam”, sagt Luna. „Ich habe den Eindruck, dass ein großer Teil seiner Arbeit sehr eigennützig war und keinem größeren Zweck diente. Man kann sich selbst ziemlich zugrunderichten, wenn man mit etwas herumexperimentiert, wovon man absolut keine Ahnung hat—insofern hatte es beinahe etwas Dämonisches. Ich habe es noch nie für notwendig gehalten, mich eingehender mit seiner Arbeit zu beschäftigen.”

Für moderne Anhänger der Sexualmagie gibt es unzählige historische und kulturelle Praktiken, von denen sie sich inspirieren lassen können. Allerdings betonen viele von ihnen auch, wie wichtig es ist, das zu finden, was für einen selbst am besten funktioniert. In gewisser Weise ist Sexualmagie nur eine andere Form von Energetik: Es wird Energie nutzbar gemacht, um die eigenen Selbstheilungskräfte zu aktivieren. Der einzige Unterschied ist, dass die aktivierte Energie in diesem Fall der Orgasmus ist. „Zunächst muss man ein klares Ziel vor Augen haben und eine klare Vorstellung davon entwickeln, was man will”, sagt Luna. „Ich habe das Gefühl, dass Sexualmagie bei mir am besten funktioniert, wenn mein Vorhaben etwas mit Sex, Liebe, Selbstbewusstsein, Kraft und Stärke zu tun hat.”

„Es funktioniert nicht zu sagen: ‚Ich brauche ein neues Auto. Ich werde mal masturbieren’—das ist einfach nur albern”, sagt Cabral.

Bei anderen Techniken müssen die Mantras während dem Orgasmus immer wieder wiederholt werden. Die Konzentration auf ein Siegel (ein magisches Symbol) soll dabei helfen, die Energie zu kanalisieren und bestimmte göttliche Wesen zu beschwören. Hathor, Isis und Aphrodite sind Gottheiten, die sehr häufig angerufen werden. Man kann aber auch jede andere Gottheit nutzen—je nachdem, welche einem am besten gefällt. Sexualmagie ist sehr personalisiert und intuitiv. „Ich denke jeder muss die Gottheiten, Mythen oder Archetypen finden, die ihm am meisten entsprechen. Für einige Menschen heißt das, dass sie innerhalb ihrer eigenen Tradition und Kultur bleiben”, sagt Cabral. „Ich persönlich arbeite gerne mit Venus oder Aphrodite.” Intuition, sagt sie weiter, ist „das Allerwichtigste.”

Blut ist Leben, ganz besonders Menstruationsblut. Es nährt das Leben und lässt einen Menschen heranwachsen.

Tatsächlich sagen die meisten Hexen, dass Sexualmagie eine der intuitivsten Praktiken ist. „Ich bin ganz instinktiv auf die Sexualmagie gestoßen”, erinnert sich Korvett. „Als junges Mädchen hat mir meine Mutter die Kraft der Manifestation beigebracht—das war aber natürlich alles jugendfrei. Später habe ich selbst die Verbindung zur Selbstbefriedigung hergestellt und habe gemerkt, wie wirkungsvoll und produktiv das Ganze sein kann.”

Eine weitere—vielleicht weniger intuitive Komponente—von Sexualmagie ist die Verwendung von Körperflüssigkeiten. Ein frühes Beispiel dafür ist Abbé Guibourg, ein katholischer Okkultist aus Frankreich, auch bekannt als der „abtrünniger Priester”. Er hat 1683 schwarze Messen abgehalten, die unter anderem auch Nonnen einschlossen, die in einen Kelch uriniert haben. Ein klares Zeichen des Widerstands gegen die strengen Ansichten der katholischen Kirche. Regelblut ist eine weitere sehr wirkungsvolle Körperflüssigkeit in der Sexualmagie. Laut Luna gibt es im Volkstum schon seit Langem die Praktik, dass Frauen ihr Regelblut in Kaffee, Tee oder rote Saucen (weil es da nicht auffällt) geben, um zu zaubern und die sexuelle Anziehungskraft ihres Gegenübers nach der Tradition der Hoodoo zu beschwören. Manche Anhänger vollführen auch Zaubersprüche mit einem Gemisch aus Sperma und Regelblut, was ebenfalls überaus wirkungsvoll sein soll. Das Gemisch wird normalerweise in einen Kelch gegeben und darin aufbewahrt, es kann aber auch durch einen Kuss nach dem Oralverkehr vermischt werden. Dieses Ritual soll den Zauber, oder was auch immer man damit bewirken möchte, „besiegeln”, sagt Brand.

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„Blut ist Leben, ganz besonders Menstruationsblut. Es nährt das Leben und lässt einen Menschen heranwachsen”, erklärt Luna. Außerdem, sagt sie, können Körperflüssigkeiten dazu genutzt werden, um Kerzen oder Talismane auszurichten. Das heißt, man reibt die Kerze, in die das Siegel eingeritzt wurde, mit einer Substanz ein, von der man annimmt, dass sie Eigenschaften besitzt, die einem beim Erreichen eines bestimmten Ziels helfen. Wenn man mit Körperflüssigkeiten arbeitet, sollte man sich allerdings der gesundheitlichen Risiken bewusst sein. Das Füttern und Essen von Körperflüssigkeiten birgt dieselben Gefahren wie Oralverkehr. Man sollte sich also vorher testen lassen und mit seinen Partnern darüber sprechen. Außerdem sollte man sich über die möglichen Risiken informieren. „Du spielst mit der Gesundheit deines Gegenübers. Dabei können Krankheiten und alle möglichen anderen ekligen Sachen übertragen werden”, warnt Luna.

Generell ist die Art der Kommunikation sehr wichtig, wenn man mit einem Partner Sexualmagie praktiziert. Luna sagt, dass man entweder von vornherein zusammenarbeiten oder seinen Partner komplett im Dunkeln lassen sollte, wenn man während dem Sex Magie anwendet. „Dein Gegenüber sollte entweder wissen, was du tust oder überhaupt nicht Bescheid wissen. Wer davon weiß, aber nichts damit anfangen kann, kann den ganzen Energiefluss stören”, erklärt sie. „In dem Fall sollte dem anderen also besser überhaupt nichts davon erzählen. Wenn er aber davon weiß, dann sollte er sich ebenfalls auf den Energiefluss konzentrieren. Es kann die Wirkung zusätzlich verstärken, wenn man gemeinsam zum Höhepunkt kommt.”

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Selbst wer sich nicht für Magie interessiert oder zu den Skeptikern gehört, kennt die Intimität und die Intensität eines gemeinsamen Orgasmus. „Mit einem Partner, dem man vertraut, kann das Ganze wirklich gut und aufregend sein. In so einem Fall können beide zusammenarbeiten. Man kann sich in die Augen sehen, den Orgasmus hinauszögern und gemeinsam atmen”, sagt Cabral.

Die Tatsache, dass man Sexualmagie allein praktizieren kann, ist für viele allerdings der Kern an der ganzen Sache. „Obwohl ich auch schon Sexualmagie mit anderen ausprobiert habe, finde ich, dass die Solo-Zauber bisher immer am besten bei mir funktioniert haben”, sagt Korvette. In einer Welt, die Frauen seit jeher bestraft hat, wenn sie Sex und Magie offen genossen haben, hat die Kombination aus beidem etwas nahezu Revolutionäres—und die Tatsache, dass man sein Schicksal selbst in die Hand nimmt, verstärkt dieses Gefühl zusätzlich.

„Zauberei hat an und für sich eine sehr bestärkende Wirkung auf Frauen […] Du trägst dein gesamte Kraft von Natur aus in dir”, sagt Luna. „Sich seine Sexualität zu eigen zu machen und keine Angst vor ihrer Kraft zu haben sondern sie zu nutzen, ist eine der mächtigsten Waffen der Frau.”