Davon, was richtiges comfort food ausmacht, hat jeder eine andere Vorstellung. Für Oren Sasson ist es das knusprige Gebäck seiner Großmutter, das mit langsam gegartem Fleisch, Kräutern und Gewürzen gefüllt ist: ein traditioneller, syrisch-kurdischer Snack mit dem Namen shamburak.
Sassons Restaurant, das Ish Tabach, ist weit von Kurdistan entfernt. Es befindet sich in einer kleinen Straßen gleich beim aufstrebenden Food-Mekka Jerusalems, dem Mahane Yehuda-Markt.
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Die knusprige Kruste und die pikante Füllung von shamburak erinnert kurdische Israelis an frühere, einfachere Zeiten. Sasson erzählt von einem Kunden, der aus dem mehrere Stunden entfernten Haifa kam und nach dem ersten Bissen anfing zu weinen.
„Er sagte zu mir: ‚Das versetzt mich 60 Jahre zurück.’”
Kurdische Juden emigrierten erstmals in den 1920er-Jahren ins heutige Israel. Die meisten kamen aber erst, nachdem der israelische Staat 1948 gegründet worden war. Viele von ihnen zogen nach Jerusalem und der Mahane Yehuda-Markt bleibt bis heute ein Zentrum der Gemeinschaft. In Kurdistan gibt es heute fast keine kurdischen Juden mehr.
Einer der wenigen Aspekte der kurdischen Kultur, die bis heute in Israel überlebt haben, ist die kurdische Küche. Das bekannteste Gericht ist wahrscheinlich die kubeh-Suppe—Grießklöße gefüllt mit Fleisch, in einer zitronigen, sauren Brühe gekocht. Mordoch, eines der bekanntesten Lokale für kubeh-Suppe, sowie eine Handvoll anderer Restaurants, die kurdische Gerichte servieren, sind in den Häusern rund um das Ish Tabach angesiedelt.
Die kurdische Küche besteht unter anderem aus vielen einfachen Backwaren, einer der häufigsten ist qadeh, eine Teigtasche aus Weizenmehl, die mit salzigem Käse gefüllt ist und in einer Pfanne angebraten wird.
Shamburak—eine syrische Abwandlung des türkischen börek—ist typischerweise ein kleiner Halbmond aus blättrigem Teig, gefüllt mit Hackfleisch und in Öl frittiert. In den kurdischen Regionen der Türkei, Syriens und im Irak ist es eine traditionelle Speise. Sassons bewegt sich in seinem Restaurant jedoch von der Tradition weg und fügt Elemente anderer Kulturen wie der indischen oder der südamerikanischen hinzu, die in Israel aufeinandertreffen.
Die Herkunft von „shamburak” geht laut Sasson auf das hebräische „she-mevorach” zurück, eine Speise, die aus Essensresten des Sabbaths zubereitet wurde.
„Jeden Sonntag nahm meine Großmutter das Fleisch, das vom Sabbath übrig war—Innereien, Magen, Schwanz—, hackte es klein, würzte es und füllte damit die Teigtaschen, die sie in ein Loch mit glühenden Kohlen legte”, erinnert sich Sasson.
„Ich sah ihr immer dabei zu, wie sie es in unserem Garten zubereitete”, sagt er. Als Kind zog Sassons Familie oft um und so landete er in einer Adoptivfamilie in einem Kibbuz. Das shamburak seiner Großmutter transportiert ihn noch heute zurück in die einfacheren Zeiten seiner Kindheit. „Ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter, wenn ich nur daran denke.”
Vor sechs Monaten, als er endlich jahrelange Gesundheitsprobleme überstanden hatte, beschloss er, ein Restaurant zu eröffnen und das traditionelle Gebäck seiner Großmutter anzubieten. Seither zieht er immer mehr Einheimische mit dem Geruch des frisch gebackenen Brots an, der durch die Straßen zieht und einen vollen Bauch verspricht.
Acht verschiedene saftige, würzige Fleischfüllungen gibt es zur Auswahl sowie eine vegetarische mit sautierten Champignons. Ganz oben auf der Liste steht siske—zartes, 16 Stunden gegartes Rindfleisch, was laut Sasson die authentischste kurdische Version ist. Sein Favorit ist aber die Rinderzunge, die stundenlang zur Perfektion geschmort wird, dann gewürfelt und mit Röstzwiebeln und Knoblauch vermischt wird.
Neben der in Bier geschmorten Rinderbrust und syrischem Kebab, bietet er außerdem manchmal Tagesgerichte wie siske mit Aprikosen an.
Das Rezept für den Teig sei ein Familiengeheimnis, sagt Sasson, aber er verrät, dass es ein recht einfacher Weizenteig mit nur wenig Hefe ist, der kalt gestellt wird, damit er nicht treibt.
„Besonders wichtig ist es, den Teig ruhen zu lassen. Ruhen lassen, falten, ruhen lassen, falten”, sagt er, während er mit den Händen die Bewegung vorzeigt. Er und sein Team bereiten jeden Tag fast 10 kg davon zu.
Der Teig wird mit gewürztem Kartoffelpüree belegt. Die Inspiration dafür stammt von Sassons Frau, deren Familie von Köchen aus Indien nach Israel emigrierte. Die Kartoffeln saugen den Saft des Fleisches gut auf, wodurch der Teig schön knusprig bleibt. Dann wird eine großzügige Portion Fleisch sowie gebratene Paprika, sautierte Zwiebeln und Knoblauch darauf gelegt. Das Ganze wird mit einem Klecks Chimichurri-Sauce, die sich durch eine Welle argentinischer Migranten Anfang 2000 verbreitete und aus Petersilie, Knoblauch, Olivenöl und einem Spritzer Essig gemacht wird, verfeinert.
Zu jeder Bestellung gibt es nach Wunsch ein Spiegelei oben drauf, was nach einem Abend in den Bars um die Ecke sehr gelegen kommen kann.
Der Teig wird in die Form eines Auges gezogen, die Enden eingedreht—die bunte Füllung ist die Iris. Dann wird es in einen riesigen Tabun-Backofen geschoben.
Sasson rügt aus Prinzip jeden Kunden, der versucht, Shamburak mit Besteck zu essen und erklärt, dass seine Großmutter immer sagte, es solle ein Erlebnis sein, das alle fünf Sinne anspricht. Nur ein bisschen ist genug, um dich in einfachere Zeiten zu transportieren.