“Sie waren mehr oder weniger pausenlos betrunken” – Wie Motörhead zu Legenden wurden

An Motörhead war nichts gestellt. Sie waren die ultimativen Bad Boys des Rock’n’Roll. Sie liebten harte Drinks und schwere Riffs und trugen Leder, Nieten und Patronengurte. Das war einfach ihr Ding, sie waren diejenigen, die diesen Stil cool gemacht haben. Jede Rockband, die etwas auf sich hält, ist Motörhead etwas schuldig. Auf Alben wie Overkill verschmolzen sie Punk und Metal miteinander und erschufen Thrash – einen Sound, der unzählige Male kopiert werden sollte. Und nicht nur das, sie lebten auch noch das entsprechende Leben dazu.

Im Zentrum des Ganzen stand die Legende Ian “Lemmy” Kilmister – ein brillanter Texter, der nicht viel für Bandproben übrig hatte. Er tauchte einfach auf, machte sein Ding und verließ sich darauf, dass die anderen Bandmitglieder mit Musik ankommen. Sein Magnum Opus – der Song, der das Wesen von Motörheads perfekt einfängt – ist das berühmte “Ace of Spades”: “You know I’m born to lose, and gambling’s for fools / But that’s the way I like it baby / I don’t wanna live forever.”

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Während der Aufnahmen zur St Valentines Massacre EP wurden Schlagzeuger Phil Taylor, seine Freundin Motorcycle Irene und zwei Roadies wegen Drogenbesitzes festgenommen und angeklagt. Als die Polizei daraufhin Razzien in London durchführte, fand sie Cannabis-Rückstände, Methaqualon und Kokain in Häusern aus dem Umfeld der Band. Die Aktion wurde daraufhin “The Great Motörhead Bust” getauft und der Ruf der Band war damit besiegelt.

In einem neuen Buch, Beer Drinkers and Hell Raisers: The Rise of Motörhead, ehrt der renommierte Metal-Journalist Martin Popoff das alte Motörhead-Lineup mit Lemmy, Phil “Animal” Taylor und Gitarrist Fast Eddie Clarke. Er erinnert sich daran, dass es “diese Albernheit in der Band gab. Du wusstest nie, ob sie etwas ernst meinen.” Das Buch umfasst die Jahre 1977-1982, in denen die Legende Motörhead erschaffen wurde.

“Das war das bahnbrechende Lineup”, sagt Popoff. “Es war vorbei, als Fast Eddie abhaute und ein paar Lines auf seinem Amp und eine Flasche hinterließ. Das war quasi sein Abschiedsgeschenk.” Ich habe mit Popoff darüber gesprochen, wie Lemmy Kilmister wirklich war, wie sich Alkohol und Drogen auf die Karriere der Band ausgewirkt haben und wie die Tode von Taylor und Lemmy das Buch beeinflusst haben.

Noisey: Wann bist du auf Motörhead aufmerksam geworden? Und was dachtest du über ihre Musik?
Martin Popoff:
Ich habe sie durch ihr Debütalbum entdeckt. Das Cover sah total heavy aus. Ich fand es ganz gut. Es war ziemlich lo-fi und dreckig. Als dann Overkill rauskam, weiß ich noch, wie ich aufgesprungen bin und mir fast den Kopf an einem Balken im Plattenladen gestoßen habe. Ich bleibe dabei: Overkill ist das härteste Album der 70er. Es ist eins der allerersten Alben gewesen, auf dem es überhaupt keine Balladen gab. Ich bin fast sofort dem Motörhead-Fanclub beigetreten. Wahrscheinlich als erster Kanadier überhaupt. Ich muss damals 16 gewesen sein.


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Ich bin jetzt 46 und ich erinnere mich noch daran, wie ich als Teenager in den Plattenladen gegangen bin und wie aufregend es war, da etwas Neues zu entdecken. Wie unterscheidet sich das von heute?
Es war damals etwas ganz Anderes. Heutzutage kommst du im Handumdrehen an Informationen zu allem und jeden, aber damals war da immer diese Spannung. Du hast dein Taschengeld oder das Geld deines Schülerjobs für diese Platten riskiert und hattest oft keine Ahnung, wie sie am Ende sein würde. Es gab diese großen Magazine, aus denen einiges erfahren hast – oder eben den Plattenladen selbst. Mit deinem neuen Fund zu Hause angekommen, hast du gehofft, dass diese fünf langhaarigen Typen wirklich so heavy waren, wie sei taten. Du hast die Platte rausgeholt und dir die Lyrics angeschaut, die Liner Notes gelesen und die ganzen Namen angeschaut. Es war eine tolle Zeit, um Musik zu konsumieren.

Motörhead waren bekannt dafür, auch wirklich diese Karikaturen zu sein, die sie darstellten. Wie hat das ihr Wesen beeinflusst?
Bei den Typen war nichts gespielt. Sie liebten diese Musik. Sie liebten Motörhead. In alten und ein paar neueren Lemmy-Interviews sagt er: “Wir sind unsere eigene Antriebskraft. Wir schauen nicht besonders viel auf andere Bands.” Wenn du dir Girlschool, Tank, Warfare und zu einem gewissen Teil auch Venom anschaust, gibt es zwar gewisse Schnittmengen mit Motörhead, aber die sind sehr klein. Niemand klang oder klingt wie Motörhead.

Lemmy ist in den 50ern aufgewachsen. Seine Lieblingsmusik war der klassische Rock’n’Roll. Es war ziemlich bizarr. Selbst Fast Eddie stand total auf Blues und so Zeug. Phil war ein großes Enigma. Er hörte Jazz, Punk und alles Mögliche. Meiner Meinung nach kann man von diesen Typen vor allem lernen, dass sie als Band in gewisser Weise isoliert waren. Ihre eigene Musik spiegelte ihre jeweiligen Geschmäcker überhaupt nicht wider. Es war, als hätten sie diese Kirche für Motörhead gebaut, das entsprechende Leben gelebt und die Musik gespielt. Und weil das alles in keinem Zusammenhang zu ihren Plattensammlungen stand, sind sie mit dieser Musik angekommen, die es so kein zweites Mal gibt.

Wie konnte Lemmy als ultimativer Rock’n’Roll-Outlaw über soziale Ungerechtigkeit schreiben?
Es ist wahrscheinlich nicht ganz verkehrt, Lemmys vielen Texte über Krieg und Schlachten als Metapher für die Probleme des Lebens und die Repräsentation seines extrem zynischen Weltbildes zu interpretieren. Daneben enthalten sie Warnungen vor Drogen und einiges über Integrität. Viel interessanter für mich ist allerdings, dass Lemmy die Schrecken des Krieges zur Darstellung des Alltags verwendet hat.

Wie hat Lemmy denn seinen Drogenkonsum gerechtfertigt und wie hat er ihn mit dem anderer verglichen, die zum Beispiel Heroin nahmen?
Lemmy hätte wahrscheinlich gesagt, dass es halt das sei, was für ihn funktionieret. Er sei eben kein normaler Mensch. Und wie ein verrückter Wissenschaftler hat er ausprobiert, was er aushält. Außerdem hat er eine strickte Grenze zwischen Drogen gezogen, die seiner Meinung nach gut sind, und denen, die schlecht sind. Insbesondere Heroin gehörte für ihn in letztere Kategorie. Er hat mehrere Songs darüber geschrieben und auch in Interviews darüber gesprochen, dass er viele Freunde an Heroin verloren hat. Die Drogen passten aber auch zu seiner Rock’n’Roll-Outlaw-Einstellung. Er wusste, dass es nicht richtig war, aber da er sich als eine Art verdammte Seele verstand, war es für ihn richtig. Ich glaube, er hat auch geschaut, welche Drogen er nehmen kann, ohne zu sehr an Produktivität einzubüßen. Und als er das raushatte, hat er sein Verhalten quasi akzeptiert.

Welche Einfluss hatten Alkohol und Drogen auf Motörheads Karriere?
Sie waren mehr oder weniger pausenlos betrunken. Sie nahmen eine Menge Speed und haben gekifft. Gerade am Anfang ihrer Karriere, bei den Aufnahmen zu ihrem ersten Album, spielte Speed eine große Rolle. Sie sollte eigentlich nur eine Single im Studio einspielen, sind dann aber die ganze Nacht wachgeblieben und haben ein komplettes Album rausgehauen. Dann sind sie zum Label und haben gesagt: “Hey, wir sollten nur eine Single machen, aber jetzt haben wir ein Album für euch.” Das verlieh ihnen dieses Image einer wilden Partyband. Sie waren immer in den Pubs und trafen sich mit Fans. Sie waren quasi eine Band des Volkes. Und ja, sie haben definitiv eine Menge gebechert.

Was für eine Dynamik herrschte zwischen Lemmy, Phil und Fast Eddie? Warum hast du dich gerade auf diese Besetzung konzentriert?
Lemmy ist einfach Lemmy. Er war dieser Typ, der einfach sein Ding gemacht hat. Er war ein Rockstar. Er wusste aber auch, dass er ein Underground-Rockstar war. Er war und ist eine Legende. Er hat nach seinen eigenen Regeln gelebt. Diese Regeln brachten aber auch eine Band hervor, in der es jemanden brauchte, der er sich um alles kümmert – und das war Eddie. Alles Geschäftliche und Organisatorische hast du besser mit Eddie geklärt, die anderen beiden hat das nämlich überhaupt nicht interessiert.

Ich liebe alle Phasen von Motörhead und würde sagen, dass viele ihrer besten Texte, Alben und Produktionen auf späteren Alben zu finden sind. Was das angeht, bin ich mit Lemmy einer Meinung. Ich erinnere mich noch, wie er über das alte Zeug meinte: “Wenn du mich fragst, klingt es ein bisschen schäbig.” Und da hat er nicht ganz unrecht. Aber dieses frühe Zeug ist auch rauer und einfacher. Das Lineup mit Phil und Mickey D ist in seiner Präzision wirklich bewundernswert, aber im Buch geht es natürlich um die klassische Besetzung. Schließlich kann nur eine Version einer Band die bahnbrechende Band sein – und das war die erste.

Du hattest mit dem Buch angefangen, bevor Phil Taylor und Lemmy gestorben sind. Wie hat das dein Manuskript beeinflusst?
Ich hatte das Buch schon mehr oder weniger fertig, als beide noch gelebt haben. Ich wusste, dass Phil nicht im besten Zustand war, aber Lemmy ging es blendend. Motörhead tourten durch die Welt. Dann kam aber natürlich der Krebs und es ging ihm sehr schnell sehr schlecht. Es hat das ganze Projekt ziemlich überschattet. Ich hatte ein bisschen Angst, dass die Menschen denken würden, ich sei ein Trittbrettfahrer, der versucht, aus dem Tod der beiden Kapital zu schlagen.

Motörhead sind in den Staaten nie so berühmt geworden, aber alle kennen Lemmy. Woran liegt das deiner Meinung nach?
Den großen Durchbruch haben sie in Amerika nie geschafft. Stattdessen haben sie einfach ständig ihr Ding durchgezogen – durch alle Besetzungswechsel und alle Jahrzehnte hindurch. Sie haben konstant gespielt und sind größer und größer geworden. Das alles fußte auf dieser fast schon cartoonhaft anmutenden Rolle, die Lemmy sich selbst geschaffen hatte. Sie wurden auf ganz ähnliche Art zu Legenden wie die Ramones. Viele Platten haben sie nie verkauft. Sie hatten nicht das eine große Hitalbum, sondern hauten unermüdlich eins nach dem anderen raus. Jeder kennt Motörhead und das liegt vor allem an Lemmy.

Martin Popoffs Buch ‘Beer Drinkers and Hell Raisers: The Rise of Motörhead’ kannst du unter anderem hier bestellen.

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