Glamourös war der Arbeitsalltag der Simpsons-Autoren nicht. Jeden Tag hockten sie stundenlang zusammen in einem Raum und zermarterten sich die Köpfe über Erzählbögen und Pointen. Lustig sein ist harte Arbeit, vor allem wenn man an der berühmtesten Zeichentrickserie der Welt arbeitet.
Die Staffeln zwei bis zehn gelten heute als das Goldene Zeitalter der Simpsons. Und ein Meilenstein aus dieser Zeit ist “Homer kommt in Fahrt”, die zwölfte Folge der vierten Staffel. Sie legte in jeder Hinsicht noch einen drauf: in Größe, Gagdichte und Absurdität. Bei ihrem Erscheinen wurde die Folge um einen charmanten Betrüger, der Springfield eine Einschienenbahn andreht, mit gemischten Gefühlen aufgenommen, heute gilt sie als eine der besten Simpsons-Folgen überhaupt.
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Das Skript stammt von niemand Geringerem als Conan O’Brien. Der Late-Night-Star arbeitete Anfang der 1990er Jahre als Autor für die Zeichentrickserie. Regie führte Rich Moore, der 2016 einen Oscar für Zoomania gewinnen sollte. Das Ergebnis ist ein wilder Ritt mit Musikeinlagen, zahlreichen kulturellen Referenzen und einem spektakulären Finale. VICE hat mit fünf Leuten, die an der Folge gearbeitet haben, darüber gesprochen, wie sie Brockway, Ogdenville und North Haverbrook auf die Landkarte brachten.
Der Anfang
Mike Reiss, Showrunner: Einmal im Jahr fuhren alle Autoren zusammen weg, um neue Ideen zu entwickeln. Das war ein Tag, an dem wir die ungeteilte Aufmerksamkeit von Matt Groening, dem Schöpfer der Serie, und dem Produzenten James L. Brooks hatten. Dafür bereiteten wir kleine Pitches vor. Conan war neu im Team und hatte direkt drei Ideen. Er probierte sie erst an Showrunner Al Jean und mir aus.
Als er uns von der Einschienenbahn-Folge erzählte, sagten wir zu ihm: “Wir glauben nicht, dass die Jim Brooks gefallen wird. Die ist zu durchgeknallt. Pitch die erst, wenn du deine anderen Ideen schon gepitcht hast.” Wir lagen komplett daneben. Brooks liebte die Idee. Conan verkaufte am Ende drei Skript-Ideen bei seinem allerersten Meeting. Ich glaube nicht, dass das irgendjemand davor oder danach noch einmal geschafft hat.
Jeff Martin, Produzent: Conan hatte das Büro neben meinem. Normalerweise hockten wir alle zusammen im Autoren-Raum, aber wenn du deinen ersten Entwurf geschrieben hast, hast du dich in dein kleines Büro zurückgezogen. Ich erinnere mich, wie er den Einschienenbahn-Song schrieb. Er wusste, dass er da an etwas Gutem dran war. Immer wieder kam er in mein Büro mit Reimen wie “The ring came off my pudding can / Take my pen knife, my good man”. Er trug mir das Lied quasi vor, während er es schrieb.
Mike Reiss: Im Autoren-Raum ging es immer sehr lustig, kreativ und energiegeladen zu. Aber wir hatten auch harte, lange Arbeitstage. Al Jean und ich waren als Showrunner für die Leitung zuständig und wir arbeiteten 100 Stunden die Woche. Auch wenn sie die Arbeit mochten und die Serie liebten, verließen uns alle, sobald sie konnten. Niemand konnte mit uns mithalten.
Josh Weinstein, Story Editor: Mit Conan zu arbeiten war, als würde man sich eine Zehnstundenfolge anschauen, jeden Tag. Die anderen Autoren sind auch alle sehr witzige Menschen, aber die meisten von ihnen sind still und nachdenklich. Conan war das absolute Gegenteil. Aber auch wenn er durchgeknallt ist, ist er ein extrem pedantischer Autor. Erste Entwürfe müssen oft noch stark überarbeitet werden, seiner war einfach großartig.
Jeff Martin: Meine persönliche Erinnerung an meinen Job für Die Simpsons ist, 98 Prozent der Zeit in einem Raum zu hocken, auf ein und derselben Stelle auf der Couch – und das im Schnitt elf Stunden am Tag. Ich habe mein Mittag- und mein Abendessen in diesem Raum eingenommen und ein paar jungen Männern dabei zugesehen, wie sie schnell älter und dicker werden.
Das ‘Familie Feuerstein’-Intro
Rich Moore, Regisseur: Als Kind hat mir Familie Feuerstein viel bedeutet. Als klar war, dass wir die Folge mit dem Intro eröffnen, meinte ich: “OK, das müssen wir dann aber richtig machen. Wir werden das Flinstones-Intro analysieren und die Einstellungen und das Timing genau hinkriegen.” Das war vor YouTube und dem Internet. Wir haben uns das Intro auf einem alten Videorekorder angeschaut und extrem ausführliche Notizen dazu gemacht. Wir waren davon besessen, es richtig zu machen – zumindest ich war es. Für dieses Intro haben viele Menschen hart gearbeitet.
Lyle Lanley
David Silverman, leitender Produzent: Das einzige, wofür ich mir ein bisschen Credit geben kann, ist das Design von Lyle Lanley. Bei seiner Kleidung und seinem Auftreten haben wir uns an der Figur Professor Harold Hill aus Music Man orientiert – auch, was dieses breite Lächeln angeht. Aber ich wollte auch etwas machen, das grafisch interessant war, wie die Locken.
Rich Moore: Er war stark von Robert Prestons Rolle in Music Man beeinflusst. Der Sprecher Phil Hartman hat auch noch viel dazu beigetragen, der auch Troy McClure gesprochen hat. Ich habe ihn geliebt. Phil selbst hat diese Larger-than-Life-Persönlichkeit. Seine ganz Art hat die Figur Lyle Lanlye stark beeinflusst.
Mike Reiss: Mit Phil zu arbeiten war, wie mit Lyle Lanley zu arbeiten. Er war genau so ein Typ. Er hat sich immer als überfreundlicher, windiger Verkäufer gegeben. Ich kann nicht mal sagen, wie er wirklich als Mensch war. Wenn er zu uns reinkam, war er extrem einnehmend, freundlich und es war einfach wunderbar, mit ihm zu arbeiten. Er hat seine Parts immer beim ersten Versuch perfekt eingesprochen.
Jeff Martin: Conan war als Autor zwei Staffeln lang bei Saturday Night Live und hatte dort schon mit Hartman gearbeitet. Er beschrieb ihn als jemanden, der immer absolut gleich ist. Er verglich Hartman mit einer Kaffeemaschine – ich glaube, das war als Kompliment gedacht. Du füllst Wasser rein, setzt den Filter ein und drückst auf den Knopf! Er war immer gut gelaunt, kannte immer seinen Text und machte nie Probleme. Er selbst war sehr nett, aber ich muss sagen, dass er ein Talent dafür hatte, gelackte und innerlich leere Menschen zu spielen. Ich glaube, das hat ihm viel Spaß gemacht.
Ich finde es immer noch sehr witzig, dass sich eine Figur mit einem Song vorstellen und damit eine ganze Stadt für sich gewinnen kann – selbst die schlauen, skeptischen Figuren wie Lisa. Lyle Lanley muss ihr nur ein Kompliment machen und sie schmilzt dahin.
Der Monorail-Song
Jeff Martin: Hirnloses Gruppendenken ist ein wiederkehrendes Thema bei den Simpsons. Und ich finde, dass diese Folge das beste – und definitiv mein liebstes – Beispiel für die Herdenmentalität in Springfield ist. Von dem Augenblick an, wo Lanley hinten in der Townhall pfeift, bis zur “Monorail!”-Choreographie auf den Stufen vergehen weniger als zwei Minuten. Ich glaube, Harold Hill hat in Music Man mindestens vier gebraucht.
Rich Moore. Die Musikeinlage war fast schwieriger hinzukriegen als das spektakuläre Finale. So eine Musiknummer ist nicht so einfach, wenn man nicht mit den Animatoren unter einem Dach arbeitet. Wir haben immer eine Blaupause, auf der alle Schlüsselposen und das exakte Timing stand, nach Korea geschickt, wo ein Großteil der Animation gemacht wurde. In dem Fall haben wir definitiv etwas die Finger gekreuzt. Die ganze Anleitung wurde schließlich vom Englischen ins Koreanische übersetzt.
Josh Weinstein: Ich liebe die Musikeinlagen und Lyle Lanley. Ich weiß, dass alles auf Music Man basiert, aber die Figur ist so gut. Die Musiknummer ist genial und super lustig und es ist eine der besten Simpsons-Musikeinlagen überhaupt.
Der Umfang
David Silverman: Ich weiß noch, als das Drehbuch reinkam und ich mir dachte: “Wow, die Folge wird groß.” Ich glaube, Rich ging es genauso. Zwar freute er sich darauf, Regie zu führen, aber gleichzeitig war das eine Riesenarbeit. Die Folge sollte einen Song, eine Choreografie, eine Einschienenbahn und North Haverbrook beinhalten. Es war also richtig viel zu designen. Aber trotz des beklemmenden Gefühls schien die ganze Extraarbeit lohnenswert.
Rich Moore: David Silverman meinte: “Keine Ahnung, wie wir das schaffen sollen.” Zwar gab es nun die Mittel, spektakulärere Folgen zu produzieren, aber gleichzeitig war die Belegschaft kleiner. In der TV-Animationsbranche hängt man dem Zeitplan immer hinterher. Und hier war die Herausforderung durch die Anforderungen und den engen Zeitrahmen besonders groß.
Josh Weinstein: Für mich hat diese Folge ganz neue Wege eröffnet. Zwar beinhaltet sie immer noch die Simpsons-Familie und die Stadt und so weiter, aber trotzdem ist alles verrückter und größer. Plötzlich funktionierte es auch, wenn eine Einschienenbahn in Springfield gebaut wird und Lieder gesungen werden. Ich finde, man kann schon sagen, dass das wahrscheinlich die erste moderne Simpsons-Episode ist.
Rich Moore: Weil unsere Design-Ressourcen damals begrenzt waren, konnte man den Zeichnern des Hintergrunds nicht einfach sagen: “OK, ich brauche da noch ein weiteres Gebäude, ich brauche noch dies und das. Ach ja, das Lanley-Institut muss natürlich auch super aussehen, obwohl es nur in einer Szene zu sehen ist.” Bei sowas kann man nicht erwarten, dass superviel Zeit investiert oder eine ganze Stadt komplett neu entworfen wird.
Also bin ich einfach mit einer Kamera durch meinen damaligen Wohnort spaziert und habe Nancy Kruse, die für das Layout der Hintergründe zuständig war, die Fotos gegeben. Das Lanley-Institut basiert zum Beispiel auf einem Gebäude in der Altstadt von Pasadena. Und North Haverbrook auf North Hollywood. Ich glaube, ich habe sogar eine Polaroid-Kamera benutzt, weil keine Zeit für die Entwicklung der Filme war. Auf jeden Fall war das Ganze für das Designteam richtig anstrengend, weil wir noch nie vorher so große und anspruchsvolle Locations machen mussten.
Leonard Nimoys Gastauftritt
Mike Reiss: Eigentlich wollten wir zuerst George Takei, aber der war Teil eines Komitees für ein Öffentliches-Verkehrsmittel-Projekt in Los Angeles und wollte sich deswegen nicht über Einschienenbahnen lustig machen. Da wir bereits Star Trek im Hinterkopf hatten, fragten wir stattdessen bei Leonard Nimoy an. Und der sagte wieder Erwarten zu – und war zu allem bereit.
Rich Moore: Wir hatten einen fantastischen Figuren-Designer namens Dale Hendrickson, der Promis im typischen Simpsons-Stil einfangen konnte wie kein anderer. Und auch bei Leonard Nimoy schaffte er das ohne Probleme, ich liebe die Karikatur.
Jeff Martin: Die Zusammenarbeit mit Nimoy war total angenehm. Es gibt da diese eine Zeile, die er sagt: “A solar eclipse, the cosmic ballet goes on.” Als er die aufnehmen sollte, sagte er: “Alles klar, ich weiß genau, wie ich die einsprechen muss.” Was er damit meinte: Ich kann genau so theatralisch sein, wie ihr es wollt.
Josh Weinstein: Wenn sich Nimoy nach seiner kurzen Interaktion mit Barney einfach wegbeamt, das ist eine meiner Lieblingsszenen. Sowas hatten wir vorher auch noch nie gebracht. Ich glaube, das öffnete uns viele neue Türen im Bezug auf die Absurdität unserer Witze.
Rich Moore: Das war eine von diesen Szenen, bei denen man denkt: “OK, die ist zwar komisch und drüber, aber ich liebe sie trotzdem – und hoffentlich lieben sie alle anderen genauso.” Zu wissen, dass sowas jetzt dank vieler Memes und Referenzen total bekannt ist, macht mich als Künstler und Regisseur richtig glücklich.
Der durch Katastrophenfilme inspirierte Höhepunkt
Mike Reiss: Ich bin mal bei einem Animations-Festival in der Slowakei aufgetreten und sollte dafür eine Simpsons-Folge mitbringen, die man auf einem großen Bildschirm zeigen kann. Ich entschied mich für die Monorail-Episode. Auf einer Kinoleinwand wirkt sie wie ein Film. Das ist vor allem Rich Moore zuzuschreiben, der für die Folge wie bei einem Film Regie geführt hat. Der Höhepunkt, also als sich die Einschienenbahn völlig außer Kontrolle durch die Stadt pflügt, ist trotz der ganzen Albernheit sehr aufregend und dynamisch.
Rich Moore: Für diesen Teil der Folge haben wir viel spekuliert, so nach dem Motto “OK, wir brauchen hier diese Aufnahme, hier muss das Geschehen von der Kamera weggehen, hier auf sie zukommen, das riesige M muss da herumhüpfen”. Da wir vor der Animation nicht viel Zeit hatten, mussten wir einfach darauf vertrauen, dass wir mit den ganzen Aufnahmen am Ende etwas Gutes rausbekommen.
David Silverman: Die Szenen, in denen die Einschienenbahn superschnell an der Kamera vorbeizieht und die Kamera dabei mitschwenkt, sind super. Zudem gibt es viele Aufnahmen vom Seitenprofil der Bahn, bei denen sich die Objekte im Vorder- und Hintergrund langsamer bewegen als die Bahn selbst. So bekommt das Ganze die richtige Tiefe.
Rich Moore: Man muss hier bedenken, dass im Animationsstudio richtig viele Menschen an den Simpsons gearbeitet haben. Die mussten ja auch von der Sache überzeugt werden, denn bei einem solch ambitionierten Projekt fallen viele Überstunden an. Aber alle waren sofort dabei und hängten sich voll rein, weil sie die Serie so liebten.
Die Reaktionen
Mike Reiss: Es ist toll, dass die Leute die Serie immer noch lieben und sich die Folgen auch 27 Jahre später noch gut behaupten. Aber gerade bei dieser Episode kam das positive Feedback erst sehr spät. Yeardley Smith, die Lisa Simpson ihre Stimme leiht, hat mal gesagt, dass die Synchronsprecher bei dieser Folge keinen Spaß hatten und dass die Fans auch nicht happy damit waren. Denn damals war die Episode im Simpsons-Kontext ziemlich weird und so anders als das, was wir davor gemacht hatten.
Rich Moore: Produktionstechnisch hatten wir noch nicht ausgearbeitet, wie wir solche “größeren” Folgen besser hinkriegen. Die Autoren und die Produzenten liebten sie, aber die Leute im Animationsstudio meinten eher so: “Die müssen mal einen Gang zurückschalten, das wird zu komplex.” Natürlich haben wir da einiges verlangt. Aber der Künstler und das Kind in mir dachten auch: “Nein, diese Folgen sind richtig geil, wir müssen nur herausfinden, wie man das besser hinkriegt!” Ich finde super, in welche Richtung dieser Ehrgeiz die Serie gepusht hat: von Comedy für die ganze Familie hin zu packender Animationskunst.
Mike Reiss: Als wir die vierte Staffel produzierten, stand im Jahresrückblick von Entertainment Weekly, dass den Simpsons die Luft ausginge und die Serie früher besser gewesen sei. Das hat mich echt getroffen, weil ich das ganze Jahr so hart gearbeitet hatte. 20 Jahre später hieß es dann in einer anderen Ausgabe des Magazins, dass die vierte Staffel die beste Staffel der besten TV-Serie aller Zeiten sei. Puh, zum Glück haben wir noch die Kurve gekriegt!
Das Vermächtnis
Mike Reiss: Als die Leute die Abkehr vom ursprünglichen Ton der Serie verdaut hatten, konnten sie die Monorail-Folge endlich als das sehen, was sie ist. Nämlich eine richtig witzige Simpsons-Episode, bei der alles zusammenkommt: eine tolle Story, ein tolles Drehbuch, ein toller Regisseur, eine tolle Synchronstimme und ein toller Gaststar.
Rich Moore: Ich weiß noch, wie ich mich fragte, ob wir jetzt in jeder Staffel ein bis zwei dieser komplexen Action-Folgen haben werden. Ich hätte nie gedacht, dass irgendwann so ziemlich jede Episode so “groß” werden würde wie die mit der Einschienenbahn.
David Silverman: Ich weiß nicht, ob wir uns das bewusst gedacht haben oder ob es uns einfach so gekommen ist, aber je mehr wir die Simpsons erweiterten und in Nebencharaktere investierten, desto besser war das für die Serie. Ich glaube, das ist eine der wichtigen Grundlagen für unseren Erfolg und unsere Langlebigkeit.
Josh Weinstein: Wenn mir jemand eine Pistole an den Kopf halten und nach der allerbesten Folge einer TV-Serie fragen würde, würde ich “Homer kommt in Fahrt” antworten. So etwas hatte es vorher noch nie gegeben – also mit den verschiedenen Comedy-Ebenen und was die Folge sonst noch alles zu bieten hat. Ich glaube, das hat vielen Menschen die Augen geöffnet, auch einigen Mitarbeitern. Von da an war klar, was mit einer Zeichentrickserie alles möglich ist.