Die Theorie, dass Drogen die Kreativität befeuern würden, lässt sich einfach nicht ausrotten. Gerade Rockstars haben im Laufe der Jahre dieses Bild geprägt. Viele von meinen Lieblingsbands hatten ihre besten Releases in ihrer Drogenphase releaset und wurden mittelmäßig bis (teilweise) scheiße, als sie clean wurden. Na gut, man könnte jetzt sagen, dass sich die meisten Rockstars gerade in ihrer Jungphase der Karriere alles mögliche reinzogen und etwa zeitgleich damit aufhörten, als ihnen langsam die Ideen ausgingen. Klingt plausibel, war aber sicher nicht immer so. Was auch immer nun der Grund war, es interessierte mich mal zu sehen wie ein paar von ihnen vor und nach der Drogenphase drauf waren. Hat der Verzicht auf Drogen einen “No junk, no soul”-Effekt? Hier ein kleiner Überblick.
Trent Reznor (Nine Inch Nails)
Trents intensive Drogenphase Mitte bis Ende der 90er wird von vielen Fans als die beste Nine Inch Nails-Zeit bezeichnet. Vor den Live-Shows gab es Trinkrituale, wegen denen die Konzerte mit zerstörten Instrumenten und Selbstzerstümmelungen endeten. Ich muss sagen, dass ich auch heute noch extrem viel Energie auf NIN-Konzerten spüre, obwohl Trent auf der Bühne weitaus weniger kaputt macht. Was damals anders war, ist klar: Er war jünger, aggressiver und hatte ziemlich starke Depressionen. Wenn dann ein Drogenproblem hinzukommt, kriegt man für sein Geld eine ziemlich heftige Live-Show geboten. Im Jahr 2000 änderte sich alles: Reznor kam fast durch eine Überdosis ums Leben und landete in einer Reha-Klinik. In einem Interview bekannte er, dass er damals Angst hatte, dadurch seine Kreativität zu verlieren: “Ernsthaft, Ich hatte echt Schiss davor, die Drogen aufzugeben. Sobald ich mir was reinzog, hat mein Gehirn erst angefangen zu arbeiten. Irgendwann begriff ich aber, dass ich nicht zu Drogen griff nur um meine Kreativität zu fördern. Ich wollte mich nicht mehr meinetwegen so schlecht fühlen. Deswegen hab ich’s gemacht. Zum Schluss waren die Drogen lähmend. Sie haben jeden Funken Kunst in mir getötet.” Seine Furcht war definitiv übertrieben, da er mit Nine Inch Nails weitere aggressive und druckvolle Alben rausbrachte. Die meisten Hardcore-Fans greifen aber lieber auf das Material der 90er zurück und genießen den selbstzerstörerischen Klang, den Trent mit Abschluss dieses Lebensabschnitts verlor.
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David Bowie († 2016)
Wenn du so viel gekokst hast, dass du nicht mal mehr weißt, wie wo und wann du eines deiner bedeutendsten Alben aufgenommen hast, warst du ziemlich arg drauf. David Bowie hatte jedenfalls einen gewaltigen Filmriss. Sein Problem war aber genau das Gegenteil von Trent. Er hatte zu viele Ideen. So viele, dass er Koks brauchte um vor seinen Schlaf zu flüchten und noch alles rechtzeitig auf Papier bringen zu können. Irgendwann endete das in einer strikten Milch-Koks-Paprika Diät (yummy), Faschismus-Propaganda im Namen seines Alter Egos “The Thin White Duke” und Swimming-Pool-Exorzismen – ja, auch ein Pool kann besessen sein. Bevor Bowie endgültig den Verstand verlor, zog er 1976 nach Berlin um von dem ganzen Zeug wegzukommen. Knapp ein Jahr später brachte er Low raus – und das völlig nüchtern. Das klang nicht weniger nach Drogen als seine Vorgänger und hatte nach wie vor die verrückte Bowie-Magie. 2004 äußerte er sich über die Beziehung zwischen Drogen und Musik: “So viele Leute meinen, dass ich ohne Drogen nie auf die ganzen Songs gekommen wäre. Ich bezweifle, dass das richtig ist, weil ich einiges meiner besten Stücke zu einer Zeit schrieb, wo ich eindeutig schon clean war.” Bowie bewies mit vielen seiner anderen Werken, dass seine Musik nicht mit seiner Drogenphase unterging. Niemand kann sagen, wie sehr sie ihn da genau reingepfuscht haben, aber der Typ tickt generell anders. Bowie war also clean genauso genial.
Dave Gahan (Depeche Mode)
Wenn man bedenkt, dass Dave Gahan schon vier Mal fast drauf ging und heute noch seine androgynen Tanzeinlagen auf der Bühne abzieht, könnte man meinen, dass er wirklich einen “Personal Jesus” hat. Manche nennen ihn deswegen auch “The Cat”. Neben seiner jahrelangen Heroinsucht schnitt er sich die Pulsadern auf und entkam einem Herzinfakt. Ich habe Depeche Mode bereits drei Male live gesehen. Wenn ich mir aber alte Live-Videos ansehe, bereue ich ernsthaft, zu “jung” zu sein, um die Band in ihrer Hochphase erlebt zu haben. Die Tour von Songs of Faith and Devotion im Jahr 1993 zeigt Dave Gahan zu seiner intensivsten Drogenzeit. Er war absolut in seinem Element, und in seinem Rausch performte er mit einer ganz anderen Leidenschaft. Ein ständiger Wechsel zwischen Hochgefühl und Tief. Heutzutage gibt Dave noch immer alles, aber man kauft ihm diese Leidenschaft nicht mehr ganz ab. Oder vielleicht empfinde ich es einfach nur deswegen so, weil mich das zugedröhnte Dasein einer Legende einfach fesselt. Es fasziniert mich, wie er kaum noch stehen kann, aber rhythmische Bewegungen ausführt. Laut Gahan selbst wird der Einfluss der Drogen dabei überschätzt. Vielleicht bin auch ich einfach nur diesem “Rockstar”-Charme verfallen. Vielleicht möchte ich bloß ein Spektakel erleben – ein Schaufenster in eine Welt, die nicht meine ist. Und vielleicht wird dieses mit der Vorstellung, der Sänger sei auf jeglichen Drogen, irgendwie noch außergewöhnlicher.
Lou Reed (Velvet Underground)
Lou Reed ist so etwas wie ein Synonym für Drogenkonsum. Ein Typ, der zwar die meiste Zeit seiner Karriere clean war, aber während seiner Drogenphase genug für zwei Rockstar-Karrieren konsumierte. Das fing schon ziemlich früh an. Mit 16 hatte er bereits seine ersten Erfahrungen, im Alter von 22 schrieb er den Song “Heroine” mit The Velvet Undergound.
Heroin, be the death of me
Heroin, it’s my wife and it’s my life
Because a mainer to my vein
Leads to a center in my head
And then I’m better off than dead
Because when the smack begins to flow
I really don’t care anymore
Sein Soloalbum Berlin ist eine tragische Rock-Oper, das von einem drogenabhängigem Pärchen handelt. Berlin zählt mit Transformer zu Reeds Höhepunkten in seiner Solo-Karriere. Nach diesen Alben schwor Reed den Drogen ab. Den darauffolgenden Platten wie New York oder Magic And Loss fehlte es nicht an Qualität, aber ein bisschen an dem Wahn und dem Chaos, die Lou Reeds Frühwerk so interessant gemacht hatten. Wo war dieses Chaos hin? Hatte es etwas mit der Nadel zu tun?
Aufgrund der Beispiel oben und weiterer – spontan fallen da Nick Cave, Iggy Pop, Elton John oder John Frusciante ein – ist man leicht geneigt, den Einfluss von Drogen auf Rockstars höhere einzuschätzen als er vielleicht ist. Vor allem, weil man dabei ja auch die Gegenbeispiele vergisst: Von Prince, Frank Zappa, Mike Patton oder KISS-Mitgliedern Paul Stanley und Gene Simmons kennt man zwar einige Storys von Experimenten, aber keine wirklich wilden, dauerhaften Drogen-Geschichten. Außerdem muss man sich immer fragen, wie das Leben eines Artists ohne Drogen ausgeschaut hätte. Das Leben ist kein Labor, also ist es nicht möglich, darauf eine konkrete Antwort zu haben. Aber vielleicht war die Drogenzeit ja ein Schöpfungshoch, das von Drogen begleitet wurde? Außerdem ist es schon auffällig, dass diese Phase von erhöhtem Konsum immer der cleanen Phase vorausging. Vielleicht waren die Künstler in ihren jungen Jahren einfach energiegeladener und später abgeklärter. Die Drogenphase meiner Lieblingsmusiker übt auf mich eine gewisse Faszination aus. Dass Drogen die Brücke zwischen Talent und Genialität darstellen, könnte eine reine Wunschvorstellung sein. Oder auch nicht. Ihren Platz in den Mythen des Rock’n’Roll haben sie auf jeden Fall sicher.
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