Foto: djandywdotcom | Flickr | CC BY-SA 2.0
Die Diskussion um Gewalt in Videospielen ist eine ebenso endlose wie schwierige. Ist es moralisch verwerflich, wenn es mir Spaß macht, Menschen in Sniper Elite in den Kopf zu schießen? Machen mich stundenlange Coop-Sessions in Borderlands zu einem schlechteren Menschen und sollte ich mir Sorgen um womögliche soziopathische Tendenzen machen, wenn ich meine Figuren bei Sims mutwillig und möglichst sadistisch umbringe? (Wir alle haben schon mal eine Art Verschlag gebaut, unseren Sim reingehen lassen und anschließend die Tür entfernt. Gebt es zu!)
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Gewalt in Games ist vor allem deshalb so ein heißdiskutiertes Thema, weil man sie aktiv—und zum Teil eben auch selbstinitiiert—ausübt. Während der Großteil der Spiele diese Handlungen in eine Story, so unglaubhaft sie mitunter auch sein mag, einbetten und somit zumindest oberflächlich legitimieren, wurde mit Hatred vor einigen Tagen ein Shooter vorgestellt, der nichts anderes sein möchte als die bloße Freude am hasserfüllten Amoklauf. „Ehrlich” nennt das Jaroslaw Zielinski vom polnischen Entwicklerteam Destructive Creations, schwierig bis geschmacklos fanden es beispielsweise die Kollegen von Motherboard.
Doch wie ernst kann man den Massenmord an Pixelfiguren wirklich nehmen und was sagt unser Hang zu überinszenierten Schlachten mit ordentlich Blutvergießen wirklich aus? Zeit, mit einem Experten zu sprechen. Wir haben den Diplom-Psychologen Dr. Michael Jäger angerufen, der zum Thema Gewalt in neuen Medien unter anderem Vorträge an Hochschulen hält, und ihn gefragt, wie viel Sorgen wir uns wirklich um unser GTA-infiziertes Seelenheil machen müssen.
VICE: Geht man davon aus. dass der Spieler sich die ganze Zeit darüber im Klaren ist, dass er da gerade etwas vermeintlich moralisch Verwerfliches tut?
Dr. Michael Jäger: Ich glaube, das unterstellt eine sehr hohe Reflexionsfähigkeit. Das unterstellt, dass Menschen zu jeder Zeit darüber nachdenken, was sie gerade tun, und die Distanz zwischen Computer- und normaler Welt ist für viele dann eben doch sehr offensichtlich. Nehmen wir zum Beispiel Postal, ein Spiel, in dem es nur darum geht, Tabus zu übertreten und Gewalt anzuwenden. Da liegt für viele Spieler die Faszination einfach nur darin, genau das zu tun—ohne dass es irgendwelche Konsequenzen hat. Deswegen gehe ich nicht raus auf die Straße und übe das aus.
Es gibt nur äußerst wenige Personen, die durch die Wechselwirkung aus psychischen Problemen und gewalttätigen Computerspielen nach außen hin irgendwelche Veränderungen zeigen.
Ich habe mal gelesen, dass es keine wirklich fundierte Studie gibt, die nahelegt, dass Videospiele mit Gewaltinhalten auch wirklich zu realer Gewalt führen.
Das ist eine etwas verkürzte Darstellung. Prinzipiell gibt es nach derzeitiger Forschungslage zwei Strömungen: Die eine Strömung ist sehr daran interessiert nachzuweisen, dass es diesen Zusammenhang gibt—und es gibt auch einige gut untersuchte Studien, die zeigen, dass Gewaltgedanken, also das Denken an gewalttätige Inhalte, zunimmt. Stellen Sie sich vor, ich spiele GTA und werde danach zu Handlungen, Worten, Szenen, Schlussfolgerungen befragt, die mir spontan in den Kopf kommen. Und das sind doppeldeutige Situationen, ich könnte also einen gewalthaltigen und einen nicht-gewalthaltigen Gedanken haben.
Die Schlussfolgerung bei diesen Studien ist, dass die gewalthaltigen Gedanken nach dem Spielen zunehmen. Das wiederum heißt aber nicht, dass die gewalttätige Handlungsbereitschaft steigt. Das ist ein bisschen so wie diese Geschichte mit dem rosa Elefanten. Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass Sie nicht an einen Elefanten denken sollen, dann werden Ihre Gedanken definitiv darum kreisen. Das bedeutet aber nicht, dass Sie sich deswegen einen rosa Elefanten kaufen oder auf ihm reiten wollen. Es gibt also klare Hinweise dafür, dass Gewaltgedanken vermehrt auftreten, dass wiederum ist aber eine zeitlich begrenzte, kurzfristige Geschichte.
Und die andere Strömung?
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen abwertend, aber die andere Seite besteht vor allem aus Menschen, die mit dem Medium aufgewachsen sind. Die versuchen, auch in der Forschung nachzuweisen, dass alles gar nicht so schlimm ist. Dort gibt es klare Hinweise, dass es sich bei den Ergebnissen, nach denen Computerspiele richtig schlimm seien, um selektive Forschung handelt. Da wird wirklich rausgepickt, welche Studie denn jetzt das zeigt, was man erwartet. Zweitens zeigt sich, dass dieser Übergang vom Denken ins Handeln ein so großer Schritt ist, dass der von allen möglichen anderen Faktoren beeinflusst ist. Das heißt: Gewalt in der realen Welt ist viel mehr von sozialen Bedingungen, der Familiengeschichte oder realen Gewalterfahrungen im persönlichen Umfeld beeinflusst. Das Schwierige aus der Forschungssicht ist jetzt, das Ganze auseinanderzuhalten.
Anders betrachtet: Delinquente Jugendliche, die in der Realität Gewalt anwenden, spielen mit hundertprozentiger Trefferquote auch Gewaltspiele. In diese Richtung gibt es also einen Zusammenhang, daraus darf ich aber nicht schließen, dass Gewaltspiele die Ursache dafür sind.
Es gibt ja nun Spiele, die einem eine bestimmte Richtung vorgeben. Man muss zum Beispiel jemanden töten, um jemand anderen zu retten. Andererseits hat man aber häufig auch einen gewissen Handlungsspielraum und es wird beispielsweise niemand gezwungen, in GTA Passanten zu überfahren oder bei Die Sims seinen Charakter vorsätzlich zu ertränken.
Alle Menschen lösen gerne Effekte aus. Das merkt man schon bei Säuglingen, die im Liegen gegen ihr Mobile schlagen und sich freuen. Die Freude am Effekt ist eines der grundlegendsten Motive, das die Menschen haben. Sie sind effektiv, sie erreichen etwas, sie verändern etwas. Später differenziert sich das dann und es geht zusätzlich auch noch darum, Macht auszuüben und somit andere zu beeinflussen. Das ist bei Computerspielen besonders interessant, weil ich dort Effekte in einer virtuellen Welt auslöse, die mir bis hin zu Allmacht alles Mögliche geben kann—zum Beispiel die Möglichkeit, über Leben und Tod virtueller Figuren zu entscheiden.
Dieses Beispiel bei den Sims, dass Leute ihre Figuren in den Pool schmeißen und anschließend eine Mauer drum rum bauen—das hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht. Vor allem, dass es bei den verschiedenen Todesarten auch noch unterschiedliche Farben und Grafiken gibt. Das heißt, das Spiel selber legt eine gewisse Belohnungsstruktur an, bei der das Motiv auch reine Neugier sein könnte. Explorationsverhalten nennt man das—man erforscht die Gegend und findet raus, was man alles machen kann. Vom Grundsatz her ist das Spielen kein zielgerichtetes Verhalten, sondern immer erst einmal explorativ und eigentlich auch sinnfrei.
Dementsprechend muss es gar nicht darum gehen, dass die jeweilige Person irgendeine psychische Störung hat und an Soziopathie leidet, also mangelndem Mitgefühl gegenüber anderen, dass dann in gewalttätigem Verhalten mündet. Da kann auch einfach jemand sitzen, der das sehr reflektiert und aus reiner Neugier macht, weil er ja weiß, dass das nur simuliert ist. Ausprobieren zu wollen, was sich die Entwickler alles ausgedacht haben, wäre also eine völlig gesunde Reaktion.
Muss man da auch noch mal einen Unterschied machen zwischen Spielen mit einer sehr realitätsnahen und denen mit einer äthetisierten Darstellung von Gewalt?
Das ist tatsächlich eine Frage, die mich momentan auch etwas zum Nachdenken bringt, inwieweit die Realitätsnähe der Darstellungen eine Auswirkung hat. Da denke ich noch nicht mal an mittlerweile vorhandene HD-Auflösung, sondern daran was passiert, wenn ich das ganze inversiv gestalte—mit 3D-Brillen. Wenn die Umgebung nicht mehr flacher Bildschirm ist, sondern man wirklich (zumindest optisch) Teil dieser Umgebung ist. Inwieweit die Tatsache, dass die Abstraktionsfähigkeit fehlt, das Verhalten stärker beeinflusst. Einer der grundlegenden Mechanismen, die diese virtuelle Barriere bilden, ist, dass ich abstrahieren kann zwischen der Realität und dem, was auf dem Bildschirm passiert. Es gibt momentan nur wenige Studien dazu, was passiert, wenn man diese Barriere einreißt oder verkleinert.
Neben der Darstellung finde ich es auch immer ziemlich wichtig, welche Motivation dem Spieler für die ausgeübte Gewalt gegeben wird. Deswegen finde ich die Diskussion um Hatred so interessant. Ein Spiel, das mehr oder weniger offen sagt, dass es nicht mehr ist als ein unreflektierter Amoklauf. Eine Offenheit und „Ehrlichkeit” auf die die Entwickler ziemlich stolz sind.
Tabubrüche sind natürlich schön, um solche Sachen zu vermarkten. Das wurde ja schon bei Doom und Castle Wolfenstein gemacht. Die Frage, die ich mir bei diesem Spiel jetzt stelle, ist aber: Was ist die Motivation für Personen, das zu spielen?
Es gibt eine sehr gute Studie zu dem Thema, was Menschen beim Spielen hält—auch wenn die schon wieder vier Jahre alt ist. Da geht es dann um irgendwelche Belohnungssysteme, die in einem Spiel aufgebaut werden. Seien es Punkte oder irgendein außergewöhnliches Ereignis, was dann stattfindet. Entweder man sammelt also Punkte oder Level, oder es geht um irgendetwas Negatives, von dem ich vermeiden will, dass es der Spielfigur passiert. Und wenn ich das jetzt alles auf ein Spiel übertrage, dessen einziger Inhalt es ist, auf Menschen zu schießen: Was ist da dann motivierend? Das ist, unabhängig davon, ob es jetzt verwerflich ist oder nicht, rein von einer nüchternen Reiz-Reaktions-Betrachtung her, nicht motivierend und widerstrebt dem, wonach Menschen in Spielen eigentlich suchen.
Das heißt, an allererster Stelle, losgelöst vom moralisch fragwürdigen Inhalt, wäre Hatred erst einmal ein schlechtes Spiel?
Es wäre ein schlechtes Spiel, weil ich keine Faktoren habe, die langfristig motivieren. Wenn Sie GTA jetzt nicht nur vom Verkaufserfolg sehen, sondern von der Spielmechanik, die dahintersteckt, gibt es ja Dutzende Anreize. Da gibt es Menschen, die sich im Spiel einfach nur ins Auto setzen, rumfahren und den Radiosender hören. Warum? Weil es immer wieder was Neues ist, weil es interessant ist, was da für abstruse Kommentare kommen. Die Vielfalt der Möglichkeiten,die ich habe, reizt schon extrem. Beim Menschen erschießen habe ich nicht viel zu explorieren.
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