Die Sonne knallt auf die Miniramp im Vorgarten eines kleinen Hauses in der ghanaischen Hauptstadt Accra. Sandy Alibo schwitzt aber nicht auf ihrem Skateboard, sondern hinter dem Gasherd in ihrer Küche. Die Ghanaerin kocht gerade frittierten Bananen-Crumble für ein Dutzend Mitglieder von Skate Gal, einer ghanaischen Skate-Crew für Frauen. Sandy hat das Kollektiv 2019 gegründet, zusammen mit ihrer Freundin Kuukua Eshun.
Sandys Haus ist der Treffpunkt der Skate-Gals. Er liegt mitten in Osu, einem vielschichtigen und kreativen Viertel im Herzen von Accra. Hier haben Sandy und Kuukua den wohl wichtigsten Spot für ghanaische Skaterinnen geschaffen. In fast jedem Zimmer findet sich ein Hinweis auf die Crew, von Postern bis zu Kühlschrankmagneten. Jeden Tag trifft sich eine Handvoll Mitglieder der Skate-Gals, sitzt am Küchentisch und diskutiert über Skateboard-Themen – oder auch über die #MeToo-Bewegung.
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Kuukua erzählt, es gehe bei Skate Gal darum, Selbstvertrauen aufzubauen. Die Skaterinnen lernen, auf einem Skateboard immer besser zu werden, und zeigen, was alles ein “Sport für Frauen” sein kann. Selbstvertrauen schaffe sie aber auch, indem sie in einer offenen Atmosphäre über Sex, Arbeit und die eigene Identität als afrikanische Frau in einem schnell wachsenden und nie stillstehenden Land wie Ghana rede. So will Sandy auch das Bild verändern, das von Frauen in der Sportwelt existiert.
Der Skate-Gal-Stein geriet 2016 ins Rollen, als Sandy als ehemalige Extremsport-Eventmanagerin Surf Ghana gründete. Das Kollektiv sollte Surfen und Skateboarden im ganzen Land promoten. So kam sie mit der ghanaischen Skate-Crew Skate Nation in Kontakt. Zwei Jahre später, 2018, starteten sie eine landesweite Tour. Damals waren nur wenige Mädchen und Frauen am Start. Sandy merkte oft, wie eingeschüchtert Frauen von den großen Menschenmengen waren. Vor all den Männern trauten sie sich nicht, aufs Skateboard zu steigen. Das will Skate Gal ändern.
Und es funktioniert. Skate Gal hat es geschafft, etwa 200 Frauen und Mädchen grundlegende Skateboard-Skills beizubringen. Neue Mitglieder finden dabei auf verschiedenen Wegen zum Club. “Für manche ist das hier einfach ein Ort, an dem sie sich wohlfühlen”, sagt die 22-jährige BWL-Studentin Sarah Nyarko. Sie trat Skate Gal bei, nachdem sie vergangenen August bei einer Skate-Demo anlässlich des jährlichen Street-Art-Festivals Chale Wote dabei war. “Zu Hause bekam ich dann kaum mehr ein Auge zu, weil mich das Ganze so beflügelte”, erzählt sie.
Die 24 Jahre alte Datenanalytikerin Harmonie “Blue” Bataka war früher eine von zwei Frauen bei der Crew Skate Nation. Durch Instagram wurde sie auf Skate Gal aufmerksam und zögerte keine Sekunde: “Skate Gal ist jetzt so etwas wie ein zweites Zuhause für mich”, sagt sie. “Wenn ich mit den Mädels skate, motivieren wir uns gegenseitig und lernen voneinander. Ich habe drei Monate gebraucht, bis ich Ollies konnte. Das war eine frustrierende Zeit. Aber egal, wie oft du hinfällst und dir weh tust, der Spaß geht nie weg.”
Skate Gal schafft es, eine gute Balance zwischen Spaß am Skaten und offenen Diskussionen über das Leben als junge Schwarze Frauen in Ghana zu finden. Oft geht es um die Rechte von Frauen. Einige Mitglieder von Skate Gal wurden früher sexuell missbraucht und tragen heute zur ghanaischen #MeToo-Bewegung bei, indem sie offen fordern, dass man die Täter zur Rechenschaft zieht. Im September zog der Skateboard-Club mit Dutzenden Frauen durch Accra, um gegen sexuelle Gewalt zu protestieren.
Ria Boss erzählt, sie sei von einem guten Freund und von einem Ex-Partner sexuell missbraucht worden. Heute sei Skate Gal das ideale Support-Netzwerk für sie. “All diese wunderbaren Frauen haben einen Ort geschaffen, an dem ich nicht das Gefühl habe, etwas verstecken zu müssen. Ich muss mich auch nicht für das schämen, was ich durchgemacht habe”, sagt sie. “Das Ganze ist mehr, als sich nur einmal im Monat zu treffen und coole Tricks auf dem Skateboard zu lernen. Für mich hat sich der Club zu einer Frauenvereinigung entwickelt, dank der ich jetzt immer jemanden zum Reden habe.”
Vergangenen Dezember nahmen Ria und Kuukua bei einer von den Vereinten Nationen unterstützten “Stand Against Rape”-Demonstration teil. Der Marsch endete mit einem Feuer vor der Polizeihauptwache der Stadt. Dazu organisierte Ria eine “Healing-Session”, bei der Frauen ganz offen über den ihnen widerfahrenen Missbrauch sprechen konnten. “Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, diese Mauern der Scham einzureißen”, sagt sie. “Auch bei mir hat es ja eine Weile gedauert, bis ich ich mir eingestehen konnte, dass ich vergewaltigt wurde.”
“Das Schweigen macht es nur noch schlimmer”, sagt Akpene Hoggar, die als Beraterin arbeitet und sich bei Skate Gal engagiert. “Mir war gar nicht bewusst, dass einige meiner Freundinnen sexuelle Übergriffe erlebt haben. Und sie wussten nicht, dass auch ich einen Übergriff erlebt habe.”
Kuukua erzählt von einem Zwischenfall, bei dem Sandy und einige andere Skaterinnen im Süden Accras angegriffen worden seien – nur weil sie an einem der wenigen Orte skateten, wo das überhaupt möglich ist. “Deshalb hat es für mich derzeit oberste Priorität, dass ein Skatepark gebaut wird”, sagt Sandy.
Derzeit versucht Skate Gal mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne, den Bau des ersten richtigen Skateparks von Accra zu organisieren. So sollen regelmäßige Auseinandersetzungen mit der Polizei oder mit den Anwohnern vermieden werden, die sich oft von den Skateboarderinnen gestört fühlen.
Skate Gal will auch in Zukunft weiter zeigen, was es heißt, eine afrikanische Frau zu sein. “Überall auf der Welt müssen wir als Schwarze Frauen doppelt so hart arbeiten, um überhaupt wahrgenommen zu werden, um unsere eigenen Geschichten erzählen zu können und um den Umgang mit uns zu verändern”, sagt Kuukua.
“Unsere Generation hat schon viel geschafft. Meine Großmutter hatte in meinem Alter zum Beispiel nicht die gleichen Möglichkeiten”, sagt Akpene. “Letztendlich geht es darum, eine Community aufzubauen, in der sich die Leute sicher genug fühlen, um neue Dinge auszuprobieren und dazuzulernen.”