Ich habe eine Geruchstour durch Ottakring gemacht

Foto: Jeremy Fitzhardinge | Flickr | CC BY 2.0

Erzählt man von einer Stadt, spricht man schnell immer auch von ihrem Duft; pathetisch gesprochen ja gewissermaßen ihrer Seele. Ein Bukett aus beißendem Uringestank, einem Hauch von ungewaschenem Mensch gepaart mit einer feinen Note roher Zwiebel vom Kebapstand schlägt einem in Wien oft schon frühmorgens auf der Rolltreppe zur U-Bahn entgegen. Gerade also unserer Hauptstadt lastet immer wieder der Vorwurf an, nicht unbedingt die Wohlriechendste zu sein.

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Genau die dagegen so vielgerühmte Landluft soll es nun aber sein, über die sich die Bewohner der Seestadt Aspern jüngst echauffierten. Neben einer Gestankshotline wurden vom Bürgerdienst außerdem Geruchsdatenblätter an die Anrainer ausgegeben, um den Geruchsherd zu erörtern. Viel Drama um ein bisschen ungünstigen Wind und—das soll in einer doch recht ländlichen Umgebung schon mal vorkommen—Kompost und Gülle. Wien riecht?

Schon! Weil es aber doch nicht sein kann, dass meine Stadt immer nur in den olfaktorischen Negativschlagzeilen zu finden ist, habe ich mich bei einer geführten Geruchstour auf die Suche nach dem wahren Duft des Urbanen gemacht.

“Wer seiner Nase folgt und dem Duft der Großstadt einmal etwas mehr Aufmerksamkeit schenkt, wird nämlich durchaus belohnt” erzählt mir Eugene Quinn—ursprünglich Brite—der mit Hornbrille und zerzaustem Haar so gar nicht in mein Konzept eines klassischen Tourguides passen will, wenige Tage später.

Dieser assoziiert Wien im Gegensatz zu den Meisten nämlich nicht nur mit Grausigkeiten wie dem fauligen Geruch in der U-Station am Stephansplatz, sondern spricht überschwänglich viel mehr vom Wiener Duft als Lebensgefühl, Geschichtenerzähler und Erinnerungstrigger. (Beim Stephansplatz-Mief handelt es sich im Übrigen um eine chemische Reaktion der damals verwendeten Baumaterialien und nicht etwa um die schlechte Lüftung der Operntoilette. Ich habe aufgepasst.)

Eugene trägt an diesem Freitag bei 36 Grad im Schatten die signalorangene Hose der hiesigen Müllmänner und startet seine Tour skurrilerweise mit einem Besuch im türkischen Backwarengeschäft. Zu den Hosen kommen wir später noch—ich bin jedenfalls voll dabei, beiße in picksüße Kekse und stelle mir vor, wieviel Schweiß sich in seiner Plastikuniform schon jetzt gesammelt haben muss.

Als wir dann aber in praller Hitze und bei absoluter Windstille minutenlang nach einem Näschen Kaffee von der Meinl-Rösterei suchen, kommen bei mir Zweifel auf.


Leicht verkatert und am gefühlt heißesten Tag des Jahres kann ich Quinns Enthusiasmus zwar ehrlicherweise dann doch weniger verstehen, als sich unsere kleine Gruppe—zur Wiedererkennung mit glitzernden Hundepickeln beklebt—dicht an der Wand einer aufgelassenen S-Bahn-Station wiederfindet und verhalten daran schnüffelt, aber hey…wir haben ja auch gerade erst angefangen und ich bin guter Dinge. Das malaysische Pärchen in unserem Grüppchen wirft sich allerdings schon hier bei Station Nummer 2 vielsagende Blicke zu.

Als wir dann aber in prallster Hitze und bei absoluter Windstille minutenlang (und erfolglos) nach einem Näschen Kaffee von der Meinl-Rösterei suchen, fange ich an sie zu verstehen und auch bei mir kommen endgültig erste Zweifel auf.

Die Zwischenstation im Park inklusive Atemübungen, esoterischem Augenschließen und Rindenmulchduft stimmt mich dann kurz milde. Ich bin plötzlich wieder neun, habe aufgeschundene Knie und glaube noch immer fest daran, mit der Spielplatzschaukel irgendwann einmal die 360°-Umdrehung zu schaffen.

Das Tempo ist trotzdem weiter ähnlich rasant wie meine frühere Schaukelkarriere—sprich sehr. Nach einer knappen Stunde gibt dann der süße Opa, über den ich mir schon anfangs Sorgen machte w/o und bleibt vermeintlich unbemerkt, keuchend und kurz vorm Hitzschlag zurück.

Michelle Tribe | Flickr | CC BY 2.0

Eugene kennt jedoch kein Pardon. Seine Augen sind überall. Er schickt sofort einen seiner Helfer los, um den armen Mann wieder einzusammeln. Schon bald kann man seine humpelnde Gestalt in der Ferne erkennen—es geht weiter.

Ich und meine Begleitung überlegen uns mittlerweile wildeste Fluchtstrategien, während wir in einer Kirche mit schon fast kitschigem Vorplatz irgendwo mitten im Sechzehnten den Weihrauchduft einsaugen. Leider fühlen wir uns in diesem Teil der Stadt aber etwas verloren und haben zugegebenermaßen auch ein bisschen Angst vor den Aufpassern des Guides. Je näher wir jedoch der Ottakringer Brauerei kommen, desto heimischer fühle ich mich. Von hier aus würde ich zum Yppenplatz finden.

Dort riecht es auch nicht gut, aber zumindest gibt es Spritzwein. Wie eine Fata Morgana—bei Temperaturen wie in der Sahara ja nicht mal so abwegig—schwebt der Gedanke weiter vor uns, als wir vor der Mannerfabrik unser Riechorgan erneut testen sollen. Wieder will der Wind nicht so wirklich mitspielen, wir beobachten stattdessen Tauben, die sich an den Schokoresten im Container laben. Das Ganze nimmt mittlerweile tragischkomische Züge an.

Vorsichtig traue ich mich dann nach einer ausgedehnten “Tankstellengeruch—geil oder nicht?” Grundsatzdebatte zu fragen, wie lange unser Auflug denn noch dauern würde. “Sicher noch zwei weitere Stunden”, heißt es knapp.

Ich werde weiß um mein Näschen und schaue meinen Freund jetzt mit genau dem gleichen verschwörerischen Blick an, wie ihn die asiatische Lady bereits am Anfang hatte. Bei aller Liebe zum Wiener Duft—ich kann nicht mehr. Kurz vorm Yppenplatz trennt uns schließlich für Sekunden eine Bim vom Rest der Gruppe und wir rennen ohne nachzudenken los.

Und ja, ich fühle mich schlecht—Eugene, du warst ziemlich, ziemlich super und auch deine Hose war ziemlich fancy. Die trägt er im Übrigen, weil er als nicht offizieller Tourguide immer wieder Probleme mit der Stadt bekam, und das neonfarbene Teil das Ganze als Event rechtfertigt.

Wolfgang | Flickr | CC BY 2.0

Die Hitze, das Tempo, mein Hangover…und…wie gesagt…der Gedanke an Schanigarten und Spritzer machten es mir leider echt unmöglich weiter mitzuhalten. (An dieser Stelle nochmals Props an den Opi. Ich denke oft an ihn.) Trotzdem habe ich die nächsten Tage meine Nase bewusster eingesetzt als sonst. Schließlich hatte ich eine Mission.

Doch was ist er jetzt, der Signature Duft meiner Wahlheimat, der wahre Geruch des Urbanen? Was habe ich gelernt? Wien hat jedenfalls mehr zu bieten, als das vertraute Odeur ranzigen Würschtelfetts und dem kalten, bierschwangeren Zigarettenrauch, der dir schon in der Früh aus dem Tschocherl ums Eck entgegenweht.

Die Stadt hat viele Gerüche—gute und schlechte gehören dabei in gewisser Weise zusammen. Der türkische Zuckerbäcker, Kaffee und Schokolade, genauso wie Kebap, Kanal und die Speibrestln beim Bermuda Dreieck. Nicht zuletzt aber auch die vermeintlich schlechte Landluft in Aspern, die ich als Provinzkind—aufgewachsen zwischen Feldern und Kuhstall—nur zu gut kenne und ehrlichgesagt nicht selten ein bisschen vermisse.

Mein Tipp also: Nasenlöcher aufsperren und beim nächsten Mal vielleicht sogar genießen, wenn’s beim Heimkommen im Stiegenhaus wieder mal nach Fisch riecht. Es geht schließlich immer um die Herangehensweise, wie uns Eugene eingeimpft hat.

Mehr Infos rund um die Geruchstour, Eugene Quinn und den nächsten Termin findet ihr übrigens auf der offiziellen Seite von Smells like Wien Spirit.