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Drogen

So geht es der 'Trainspotting'-Generation der Heroin-Konsumenten heute

Zwar ist die Droge zwischenzeitlich verschwunden, aber sie scheint nun eine Art Comeback zu feiern.
Max Daly
London, GB

Kotverschmierte Wände. Flackernde Leuchtstoffröhren. Ein bis oben hin vollgeschissenes Klo. Die durch den Kultfilm Trainspotting bekannt gewordene "schlimmste Toilette Schottlands" hat es so nie gegeben. Das Wettbüro, das Ewan McGregor vor der berühmten Szene durchläuft, war allerdings echt. Genauso wie die vielen Drogenabhängigen, die "Trainspotting-Generation" der Heroin-Konsumenten.

Der Film spielt in Muirhouse, einer der heruntergekommendsten Gegenden von Edinburgh. Dort wuchs auch Irvine Welsh auf, der Autor des ursprünglichen Buchs. Zwei Jahrzehnte nach der Veröffentlichung von Trainspotting kommt nun der zweite Teil in die Kinos. Die Schauspieler waren dafür erneut in Muirhouse unterwegs, das man inzwischen zumindest oberflächlich aufpoliert hat. Laut den hilfsbedürftigen Anwohnern ändert das aber nichts an den eigentlichen Problemen.

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Wie steht es heutzutage um die oben erwähnten echten Abhängigen von Edinburgh, Glasgow, Liverpool, Manchester und dem Rest Großbritanniens? Was wurde aus den Menschen, die Ende der 80er Jahre am meisten von der landesweiten Epidemie betroffen waren – eine Epidemie, ermöglicht durch eine unglaublich hohe Arbeitslosenquote sowie qualitativ hochwertiges, rauchbares Heroin aus dem Iran und Pakistan?

Viele haben es im Laufe der letzten Jahre in den Kurznachrichten-Teil der Zeitung geschafft. Die Zahl der Drogentoten hat in Großbritannien nämlich immer wieder neue Rekorde erreicht. Diese Menschen gehören zu einer alternden Gruppe von Oldschool-Heroin-Konsumenten, die in den 80ern und 90ern angefangen haben, sich Spritzen zu setzen. Ihr schlechter Gesundheitszustand und Überdosen raffen sie jetzt dahin.

Foto: Kitron Neuschatz

Roy Roberston arbeitet als Professor of Addiction Medicine an der Edinburgh University und ist außerdem seit 1980 als Arzt in Muirhouse tätig. Er half bei einer Studie, bei der rund 800 Heroinkonsumenten aufgesucht wurden, die seit 1980 in seiner Praxis behandelt wurden. So wollten die Forscher herausfinden, was aus den Patienten geworden ist.

Im Zuge der Studie wurde klar, dass einer von vier Heroin-Konsumenten gestorben war – und die Todesursache ließ sich fast immer auf den langzeitigen Drogenkonsum zurückführen. Einer von drei spritzte sich immer noch Heroin und zwei Drittel hatten ein Methadon-Rezept. Weniger als ein Fünftel hatte sich hingegen von den Drogen losgesagt. Die meisten führen ein unscheinbares Leben in Edinburgh – und das entweder vom Staat oder durch Billigjobs finanziert.

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"Leider nehmen die meisten noch lebenden Rentons und Sick Boys heutzutage immer noch Opiate. Dazu leben sie in Sozialwohnungen, beziehen Sozialhilfe und leiden wahrscheinlich an Hepatitis C sowie einer Leber- oder Lungenkrankheit", erzählt Robertson.

Ein Heroin-Konsument, der in Muirhouse und Leith aufwuchs, wurde in einer Sozialwohnung in Newcastle ausfindig gemacht. Er sagte zu Robertson, dass er Trainspotting hasse, weil er sich in der Hauptfigur wiederfindet. Inzwischen ist er Ende 50 und meinte über die Zeit damals: "Das waren die besten zwei Jahre meines Lebens. Ich hatte unglaublich viel Spaß. Ich war ständig unterwegs und dabei total drauf. Der Heroin-Nachschub riss aber auch nie ab. Und niemand machte sich Sorgen – von HIV war damals noch nicht die Rede!" Ihm sollten jedoch schon bald die Augen geöffnet werden, denn er fand später heraus, dass er sich mit dem HI-Virus infiziert und dazu noch Diabetes entwickelt hatte.

"Er ist älter als erwartet. Zwar muss er antivirale Mittel nehmen, aber immerhin lebt er noch. Er ist verheiratet, hat Kinder und arbeitet für einen Kurierdienst", meint Robertson. "Im Allgemeinen erinnert sich die Trainspotting-Generation so an diese Zeit zurück, wie sich andere vielleicht an ihr erstes Studienjahr zurückerinnern. Das Ende der 80er war für sie total aufregend und spaßig – so nach dem Motto 'Wow, damals war alles möglich'. Heutzutage sieht das komplett anders aus und sie haben es nicht leicht."

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Anfang der 80er Jahre kamen die ersten Jugendlichen mit Heroin-Problemen in Robertsons Praxis. Sie hatten keine Ahnung, welche Droge sie da nahmen: "Da waren Teenager, die alle die Schule geschmissen hatten und nun mit unzähligen Einstichstellen hilfesuchend zu mir kamen. Als ich sie fragte, welche Droge sie nahmen, sagten sie, dass sie auf 'Smack' seien. Ich wollte wissen, ob sie damit Heroin meinten. Ihre Antwort: 'Nein! Smack!'", erzählt Robertson.

"Rückblickend war das eine sehr erschreckende Zeit. Es gab noch keine wirklich großflächigen Gegenmaßnahmen und Drogenabhängige waren überall unerwünscht. Niemand nahm sie ernst. Hier starben Kinder an AIDS. Das Ganze erinnerte sehr an die Pest", meint der Arzt.

Robertson lernte Welsh – der übrigens wie die Trainspotting-Gang mit Ende 20 von Heroin abhängig wurde – im Zuge der Buchveröffentlichung im Jahr 1993 bei einem Radiointerview kennen. Obwohl man dem Buch oft die Verherrlichung von Drogen vorwirft, stellt es laut dem Arzt die damalige Heroin-Szene sehr akkurat dar und setzte außerdem viele Leute über die Situation in Kenntnis. Vielen Politikern war das Problem nämlich relativ egal.

Als dann schließlich der Film in die Kinos kam, hatte Robertson schon seit 16 Jahren täglich mit Heroin-Konsumenten zu tun gehabt. Für den Arzt stellte die filmische Umsetzung der Geschichte einen wichtigen Schritt für die öffentliche Wahrnehmung der immer schlimmer werdenden Drogenprobleme Schottlands dar. "Den Leuten wurde klar, dass nicht nur alte Hippies, Schauspieler und Promis Drogen nehmen, sondern auch viele Teenager von der Straße. Dafür sind wir Irvine Welsh einiges schuldig."

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In unserer Dokumentation "Swansea Love Story" begleiten wir junge Drogensüchtige, die sich im Heroin-Teufelskreis befinden:

Obwohl es in Trainspotting um Heroin-Süchtige geht, traf der Film in ganz Großbritannien einen gewissen Nerv. Das Jahr 1996 markierte aber auch einen wichtigen Zeitpunkt in der britischen Drogenkultur. Ecstasy und Kokain wurden immer beliebter und die Rave-Szene befand sich auf dem Höhepunkt. So sagt auch Rentons Teenager-Freundin Diane gegen Ende des Films: "Die Welt verändert sich, Musik verändert sich, selbst Drogen verändern sich."

Dennoch erfuhr Heroin Mitte der 90er einen zweiten Frühling: Es verbreitete sich auch außerhalb der Großstädte und feierte später in der britischen Musikszene – angeführt von Pete Doherty – ein kurzes Revival. Im Jahr 2000 hatte die Heroin-Epidemie allerdings ihren Zenith erreicht. Während Ende der 90er gut 400.000 Menschen in Behandlung waren, begann die Zahl der neuen Heroin-Konsumenten zu fallen. Heutzutage gibt es um die 300.000 Patienten, die meisten davon mittleren Alters.

Warum nehmen junge Leute kein Heroin mehr? Laut Harry Shapiro, dem Vorsitzenden der gemeinnützigen Organisation DrugWise, ist die Zahl der Konsumenten aus drei Gründen nach unten gegangen: Man hat in Behandlungsmöglichkeiten investiert, es kam ein wirtschaftlicher Aufschwung und alle Epidemien dauern eben nur eine gewisse Zeit lang an.

Der Drogenforscher Dr. Russell Newcombe erklärt weiter, dass Heroin-Epidemien auf den sogenannten "empfänglichen Teil der Bevölkerung" beschränkt sind. Dabei handelt es sich um die Menschen, die angebotene Drogen tatsächlich nehmen und so wahrscheinlich zu regelmäßigen Konsumenten werden. Sobald dieser Teil der Bevölkerung jedoch erschöpft ist, gibt es weniger potenziell heroin-anfällige Menschen und dementsprechend auch keine neuen Süchtigen mehr.

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Dazu kommt noch der Faktor, den Michael Linnell von UK DrugWatch als den "Vogelscheuchen-Effekt" beschreibt: Seiner Aussage nach ging die Zahl der Heroin-Konsumenten zurück, weil die Droge und die Süchtigen immer häufiger als "dreckig" galten. Und da die Konsumenten mit zunehmendem Alter immer kranker und verzweifelter wirken, sehen viele junge Menschen in ihnen eine Art Warnung vor den Gefahren der Droge.

Würde die Trainspotting-Crew im Anbetracht der heutigen Drogenszene Edinburghs also immer noch zu Heroin greifen?

"Vielleicht würden sie sich eher für Spice entscheiden?", meint Gary Sutton von der Organisation Release. "Im Vergleich zu den 80ern und 90ern herrscht heute ein ganz anderer gesellschaftlicher Kontext. Die schlimmste Toilette Schottlands ist inzwischen bestimmt gut in Schuss und an den Kacheln hängt ein Hinweis auf die Drogen-Nulltoleranz. Die Studenten, die die Toilette benutzen, beschweren sich über das fehlende WLAN und bevorzugen eher Ketamin, Spice oder Nootropika."

Laut Dr. Newcombe herrscht Heroin in den sozial benachteiligten Teilen Edinburghs aber immer noch vor – in Kombination mit anderen Drogen wie Methadon, neuartigen psychoaktiven Benzodiazepinen wie Etizolam, synthetischen Opioiden wie Tramadol und verschiedenen verschreibungspflichtigen Beruhigungsmittel wie Diazepam, Zopiclon und Gabapentin. Runtergespült wird das Ganze mit billigem Schnaps und einer Dosis Spice.

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Ein Ausschnitt aus 'Trainspotting 2'

Da uns bald Trainspotting 2 ins Haus steht, könnte es dann auch zu einem Heroin-Comeback kommen (so wie gerade in Nordamerika)?

Was in den USA und in Kanada passierte, ist einzigartig. Heroin erlangte dort erneute Popularität auf der Basis einer Opioid-Epidemie. Diese Epidemie wurde durch ein außer Kontrolle geratenes Gesundheitssystem ermöglicht. Große Pharmakonzerne bezahlten Ärzte dafür, Opioide zu verschreiben. Gleichzeitig versprachen flächendeckende Werbekampagnen, dass diese Pillen die Schmerzen beenden würden – und die Patienten glaubten das. Ein solches Szenario ist unter dem britischen Gesundheitssystem allerdings unwahrscheinlich.

Linnell zufolge gibt es aber dennoch Anzeichen für eine neue Generation von jungen Heroin-Konsumenten: Sie sind über den Mephedron- und Cannabinoid-Weg zum Heroin gelangt. Dr. Newcombe hat von mehreren Heroin-Dealern aus Liverpool gehört, dass es immer noch viele junge Kunden gibt. Viele von denen rauchen die Droge jedoch nur ab und an, anstatt sie sich täglich zu spritzen. So bleiben sie unter dem Radar.

Sutton bezweifelt, dass die jungen Menschen von heute noch die gleichen nihilistischen Züge haben wie die jungen Leute in den Post-Punk-Ären der 80er und 90er. Laut ihm lauert Heroin allerdings ständig im Hintergrund.

"Der Film spielt in einer Zeit, in der Heroin eine Fluchtmöglichkeit vor der düsteren Realität des Großbritanniens nach Margaret Thatcher bot", erklärt Sutton. "Heroin hat etwas Extremes an sich und scheint 'Mir ist alles egal' förmlich zu schreien. Damals wurde uns bewusst, dass die Arbeitsmöglichkeiten der Vergangenheit nicht mehr existierten. Wir stellten plötzlich in Frage, warum wir so werden sollten wie unsere Eltern. Deren Werte lehnten wir ja rigoros ab. Der berühmte Monolog am Anfang von Trainspotting passte da wie die Faust aufs Auge."

"Heutzutage ist es aber schwierig, regelmäßig Heroin zu konsumieren: Es gibt kaum mehr besetzte Häuser, die Sozialleistungen sind schlecht und der Staat zwingt einen zur Suche nach niederen Jobs, die sonst niemand machen will. Die süchtigmachendste Droge aller Zeiten wird definitiv auch in Zukunft anfällige und unglückliche Menschen verführen."

Muirhouse ist das perfekte Beispiel dafür, dass Heroin immer noch fest in den unterprivilegierten Communitys verwurzelt ist. So erzählt mir Robertson, dass die Zahl der Drogentoten in Edinburgh stark ansteigt – aber nicht alle gehören zur Trainspotting-Generation: "Eine 28-Jährige kam aufgrund einer Überdosis bei sich zu Hause um. Dann war da die 37-Jährige, mit der ich vor zwei Wochen noch über ihre Gesundheit gesprochen habe. Ihr Tod kam für mich total unerwartet. Neben ihrer Leiche hat man zwei leere 400ml-Flaschen Methadon gefunden."

Robertson sagt, dass sich die schottische Regierung nicht mit dem festgefahrenen Problem der Heroinsucht in benachteiligten Gegenden auseinandersetzen will. So wird auch weniger Geld in die staatlichen Drogen-Hilfsprogrammen gesteckt.

"Ich glaube nicht, dass es in Trainspotting 2 so abgehen wird", fügt er hinzu. "Derzeit ist die Situation dennoch unglaublich traurig. Ich habe das Gefühl, wieder in den 80er Jahren zu sein."

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