Als ich mich mit Tom Whipple treffe, um mit ihm über Brettspiele zu reden, sage ich: “Es kommt nicht darauf an, zu gewinnen, sondern mitzumachen.” “Blödsinn!”, antwortet er mir. “Das ist das Motto von Verlierern. Bei Brettspielen geht es nicht um den Spaß. Nein, Brettspiele sind ausgetragene Konflikte und eine gute Möglichkeit, jemandem eins auszuwischen. Und wenn es sich bei diesem Jemand um die eigene Oma handelt, dann ist das halt so.”
Natürlich ist das nur ein Scherz. Zumindest teilweise.
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Tom Whipple ist auf jeden Fall ein Mann, der das Thema Brettspiele sehr ernst nimmt. So hat der 34-jährige Wissenschaftsredakteur der Times jetzt auch ein Buch darüber veröffentlicht. In How to Win Games and Beat People geht es um die Geheimnisse hinter dem Erfolg bei verschiedensten Spielen—egal ob nun bei Dame, Schiffe versenken, Scharade, Scrabble, Risiko oder Blackjack. Whipple hat sich jedoch auch noch mit exotischeren Dingen wie etwa Trinkspielen oder Kissenschlachten auseinandergesetzt.
Bei seinen Nachforschungen hat der Autor dann unter Anderem herausgefunden, welches Wort bei Galgenmännchen am schwersten zu erraten ist oder welche Straßen bei Monopoly das meiste Geld einbringen. Und andere Highlights seines Buchs sind der Chirurg, der Tipps für das Spiel Dr. Bibber gibt, der ehemalige Formel-1-Rennfahrer, der sich mit einer Carrera-Rennbahn auseinandersetzt, sowie der ehemalige britische Elitesoldat, der die beste Kissenschlacht-Taktik erläutert.
VICE: Zuerst die wohl wichtigste Frage: Wie reagiert ein ehemaliger Elitesoldat, wenn man ihn anruft und fragt, wie man am besten eine Kissenschlacht gewinnt?
Tom Whipple: Bei dem Elitesoldaten handelte es sich um Andy McNab und er war wirklich kooperativ. Als ich ihm erklärte, was ich vorhatte, nahm er die ganze Sache sofort total ernst und meinte: “Eine Kissenschlacht? OK, um aus einer solchen Situation als Sieger hervorzugehen, darf man keine Faxen machen und muss sofort drauflosgehen. Schnell und hart zulangen und den Auftrag erledigen.” Brilliant.
Und mit einem weltbekanntem Chirurgen hast du über Dr. Bibber gesprochen?
Ja, mit Professor Roger Kneebone vom Londoner Imperial College. Ich habe ihn schon ein paar mal im Auftrag der Times interviewt und wusste deshalb, dass er sofort dabei sein würde. Bei den Herangehensweisen an das Operations-SimulationsspielDr. Bibber und an eine tatsächliche Operation gibt es aber tatsächlich Überschneidungen. Bei beiden geht es vor allem darum, eine ruhige Hand zu haben. Natürlich ist eine richtige Operation viel komplexer, aber auch bei einer einfachen Blinddarmentfernung darf man nicht zittern. Genau deshalb haben Chirurgen auch diverse Techniken entwickelt, die ihnen helfen. Sie stützen ihren Ellbogen zum Beispiel am Körper ab oder halten ihr Handgelenk mit der freien Hand fest.
Mit dem ehemaligen Formel-1-Piloten Johnny Herbert lief es ähnlich. Eigentlich würde man nicht annehmen, dass ein Rennfahrer bei einem Carrera-Rennen großartig weiterhelfen kann. Herbert ist jedoch fest davon überzeugt, dass es da Verbindungen gibt. So liegt der Schlüssel für beide Aktivitäten darin, zu antizipieren, ein gutes Gefühl für das Gaspedal zu haben und aus den Kurven heraus zu beschleunigen.
Gab es auch potenzielle Gesprächspartner, die deinen Witz nicht verstanden haben oder keine Lust auf eine Zusammenarbeit hatten?
Ich wollte eigentlich mit James Blunt über das Kindergeburtstagsspiel “Einfrieren” sprechen, weil er ja auch mal eine Wache vor dem Buckingham Palace war. Er hat jedoch nie auf meine Tweets geantwortet. Wahrscheinlich hat er sie bei geschätzten 3 Millionen Followern einfach nicht gesehen.
Ab und an haben Akademiker auch nicht wirklich verstanden, was an meinem Projekt so witzig sein sollte. Es gibt in dem Buch ja auch ein Kapitel über Trinkspiele, dessen Entstehung ganz schön kompliziert war. Viele der Leute, mit denen ich über dieses Thema reden wollte, haben mir nämlich vorgeworfen, wie unverantwortlich es sei, über so etwas zu schreiben. Einer meinte auch zu mir, dass Trinkspiele töten und man sie verbieten sollte.
Verstehe. Aber wie gewinnt man jetzt bei einem Trinkspiel?
Ein klassischer Tipp geht immer: Vor dem Trinken etwas essen. Interessanterweise haben Forschungen aber auch ergeben, dass die Wirkung des Alkohols stärker ist, wenn man irgendwo trinkt, wo man sich nicht auskennt. Wenn man also wirklich lange durchhalten will, dann sollte man sich den Ort des Besäufnisses ein paar Tage vorher schon mal anschauen und dort einige Bierchen kippen.
Guter Ratschlag! Welche Tipps hast du sonst noch auf Lager?
Früher habe ich immer gedacht, dass Monopoly ein langwieriges Spiel wäre, bei dem es nur aufs Glück ankommt. Dabei ist es in Wirklichkeit ein langwieriges Spiel, bei dem es nur aufs Können ankommt. Wichtig ist, sich die orangen Felder zu schnappen, denn auf diesen Straßen landen die Gegenspieler am häufigsten. Der Grund dafür ist, dass man diese Felder vom Gefängnis aus mit einem Pasch sehr wahrscheinlich erreicht. Und das Gefängnis ist bei Monopoly das Feld, auf dem man am meisten steht. Zwar haben viele Leute da schon ein instinktives Gefühl dafür, aber es existieren auch akademische Wahrscheinlichkeitstheorien, die das alles beweisen.
Noch etwas?
Ich habe mich auch mit dem berühmten Brettspiel Risiko beschäftigt. Die perfekte Herangehensweise ist eigentlich nur mit einem unendlichen Wirrwarr an Mathematik und auf der Markow-Kette basierender Statistik zu erklären. Als Spieler muss man sich im Grunde aber nur eins merken: Angriff ist alles. So hat man die besten Chancen, einen Sieg einzufahren. Nicht verstärken, nicht verteidigen, keine Kompromisse eingehen. Nur angreifen.
Ich habe auch schon oft über Schere, Stein, Papier nachgedacht, weil es dabei ja eigentlich nur um den Zufall gehen soll. Du schreibst aber, dass man sich auch bei diesem Spiel einen gewissen Vorteil schaffen kann.
Ja, das haben chinesische Wissenschaftler bewiesen. Sie haben Leute analysiert, die Schere, Stein, Papier spielten, und dabei herausgefunden, dass die Wahl der “Waffe” oft davon abhängt, was in der vorangegangenen Runde passiert ist. Der Spieler, der gerade gewonnen hat, wird dann nämlich mit großer Wahrscheinlichkeit wieder auf die gleiche Wahl setzen. Der Verlierer tendiert jedoch dazu, zur “stärkeren” Waffe zu greifen—beispielsweise vom Stein zum Papier. Wenn man sich diese Informationen im Hinterkopf behält, dann kann man in etwa einschätzen, wie der Gegner agieren wird—und ihn schlagen.
Neben deinen Tipps haben mich in deinem Buch vor allem die Interviews mit den Menschen fasziniert, die einen Großteil ihres Lebens dafür aufgeopfert haben, augenscheinlich simple Spiele zu “lösen”. Ein Beispiel wäre der Vier-Gewinnt-Mann.
Victor Allis. Ein ganz außergewöhnlicher Mensch. Bei einem Vier-Gewinnt-Spiel gibt es 4,5 Billionen verschiedene Situationen und er hat ein Computerprogramm geschrieben, das den perfekten Zug für jede dieser Situationen berechnet. Das Programm ist quasi unschlagbar. Er erlangte schließlich Berühmtheit, als Beyoncé Kanye West neun Mal bei Vier Gewinnt schlug und anschließend davon erzählte, dass sie Allis’ Abschlussarbeit zu dem Spiel gelesen hätte. Es wäre also auch möglich gewesen, Beyoncé zu diesem Thema zu interviewen, aber ich bin direkt zur Quelle gegangen.
Aber was genau inspiriert einen Menschen dazu—Allis war damals sogar erst Mitte 20—, sich so eingehend mit so etwas zu beschäftigen? Ich meine, das ist ja nur Vier Gewinnt oder Galgenmännchen.
Nun, oftmals handelt es sich dabei um Akademiker. Victor Allis hat Vier Gewinnt ja auch im Zuge seiner Master-Arbeit untersucht. Das Spiel war dabei wohl ein guter Aufhänger für die Forschung im Feld der Computerwissenschaft. Andere beschäftigen sich im Job vielleicht mit der Spieltheorie und verbringen dann so ihre Freizeit.
Ein Beispiel hierfür ist der Mann, der bei Galgenmännchen für wirklich jede Situation herausgefunden hat, welchen Buchstaben man als nächstes wählen sollte. Das kommt nämlich immer auf die Länge des Wortes sowie die bereits bekannten Buchstaben an. Besagter Mann ist eigentlich Datenanalyst bei Facebook. Diese Tätigkeit ist richtig kompliziert, denn man muss dabei Verhaltensmuster in einem uneingeschränkten System erkennen. Deshalb war es für ihn wahrscheinlich sehr befriedigend, zu Hause nach einer Lösung für ein so definiertes Problem zu suchen. Als er Galgenmännchen entschlüsselte, hat er sich bestimmt so gefühlt, als würde er ein nur Sudoku-Rätsel machen.
Hattest du eine ähnliche Motivation, als du dein Buch geschrieben hast?
Spiele sind meine Leidenschaft und in meiner Familie hat es schon immer einen großen Konkurrenzdruck gegeben. Deshalb ist es für mich auch so wichtig, das Spiel zu gewinnen. Das ganze Projekt hat jedoch als Artikel für die Weihnachts-Ausgabe der Zeitung begonnen. Damals hatte ich noch einen Agenten, weil ich mich für einen großen Intellektuellen hielt und große Visionen hatte. Als daraus nichts wurde, schlug ich besagtem Agenten meine Spiele-Idee vor. Und plötzlich hatte jeder Interesse.
Jetzt ist das Buch fertig. Bedeutet das auch, dass du in jedem Spiel unschlagbar bist?
Eigentlich ist mein Werk für mich mehr Fluch als Segen, denn immer wenn ich jetzt ein Spiel spiele, geht man sofort davon aus, dass ich auch gewinne. Dabei bin ich immer noch mehr als fähig, am Ende als Verlierer dazustehen.