„Also, Fisch kann man nicht reifen lassen. Ich muss immer lachen, wenn ich auf Räucherlachsprodukten diese Marketingtexte lese, à la Nachdem wir den Lachs räuchern, lassen wir ihn für drei Tage ruhen und schneiden ihn dann. Fisch reift nicht so wie Käse oder Wein, er wird einfach nur schlecht.”
Lance Forman will dir eines klarmachen: Der Räucherlachs, den du dir gönnst, ist nicht das, was du denkst.
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Forman gehört die Lachsräucherei H Forman & Son im Londoner East End, die älteste ihrer Art in Großbritannien. Man kann also schon mit Recht sagen, dass er Ahnung von Fisch hat. Immerhin hat er in den letzten 50 Jahren jeden Tag welchen gegessen, wie er mir erzählt. Doch in letzter Zeit beschäftigt ihn vor allem, was weniger angesehene Unternehmen in Massenproduktion herstellen, und dass die Menschen mittlerweile glauben, dass sie den rosa Fisch nicht mehr mögen.
„Bei Geschmackstest für den Räucherlachs lehnen viele Leute die kleinen Proben ab”, erzählt er. „Sie meinen dann: Nein danke, Lachs mag ich nicht. Der ist immer zu glitschig oder zu rauchig. Doch echter Räucherlachs ist weder das eine noch das andere.”
Wirklich? Also, ich dachte immer, darum geht es beim Räucherlachs.
„Nein!” Foreman wird plötzlich sehr lebhaft. „Warum soll ein schöner frischer Fisch denn wie ein Aschenbecher schmecken? Räucherlachs ist ein ganzer Prozess, nicht ein Geschmack—und genau darin liegt das Geheimnis.”
In den letzten Wochen (und in den nächsten Tagen vielleicht auch noch) hast du vielleicht genau so einen Fisch gegessen, vielleicht auf einem kleinen Canapé. Lachs gehört schon lange zu feierlichen und dekadenten Mahlzeiten dazu und wird gern als Höhepunkt bei gemeinsamen Essen und Partys von Weihnachten bis Neujahr serviert. Wie kann man also sichergehen, dass man auch wirklich geräucherten Lachs isst—und du nicht mit einem Lachs mit Raucharoma abgespeist wirst?
Ein Anfang wäre es, bei einer echten Räucherei einzukaufen, statt sich im Supermarkt eine Packung billiger Reststücke in den Wagen zu legen.
„In den letzten 20 Jahren hat sich Räucherlachs in die falsche Richtung entwickelt, das ist das Problem: Man hat mit der Lachszucht angefangen, Räucherlachs aus Massenproduktion wurde in den Supermärkten eingeführt und es gibt immer diesen Druck, noch billiger zu werden”, meint Forman. „Und dann habensie die Herstellung komplett verfälscht und das Produkt heute ist etwas ganz anderes als traditioneller Räucherlachs.”
„Wenn der Fisch nicht frisch ist, dann nutzen viele Raucharoma, um den Geruch und die schlechte Qualität des Fisches zu überdecken”, erklärt Forman.
Die Londoner können sich glücklich schätzen, noch einige traditionelle Fischräuchereien zu haben, wie zum Beispiel Hansen & Lydersen oder Secret Smokehouse. Das H Forman & Son behauptet jedoch, die älteste Räucherei nicht nur Londons, sondern ganz Großbritanniens zu sein. Seit mittlerweile 111 Jahren räuchern sie im Osten Londons: 1905 ist der Urgroßvater von Lance Forman, Aaron „Harry” Forman, aus Odessa nach London gekommen.
Er lebte damals im lebendigen jüdischen East End zwischen Whitechapel und Stepney, die Küche der Ausgewanderten wurde zum Herzstück einer engverbundenen Gemeinschaft. Damals hat Forman eingelegten Lachs aus Russland importiert, der nach einigen Monaten in London ankam, wo er ihn dann räucherte. Dann entdeckte er den frischen Lachs aus Schottland auf dem Billingsgate Market um die Ecke und entwickelte seine Spezialität, „London Cure”: Schottischer Lachs, der in London gepökelt und geräuchert wird.
Damals gehörte Lachs zu den Grundnahrungsmittelnder jüdischen Einwanderer im Londoner East End, sie aßen ihn mit Bagels und zu anderen traditionellen Dingen aus ihrer Heimat, eingelegtem Hering oder Latkes. Doch genauso wie auch Austern entwickelte sich aus diesem für die Arbeiterklasse alltäglichen Gericht nach dem ersten Weltkrieg etwas für exquisitere Anlässe.
„Anfangs hat mein Urgroßvater nur für seine Freunde und Familie Fisch geräuchert, doch irgendwann kamen die Räuchereien auf die Idee, dass auch die Leute in ihrem Viertel sich dafür interessieren könnten—und das haben sie”, erinnert sich Forman. „Die Kunden und die Köche liebten es, weil wir einen Weg gefunden hatten, den König der Fische haltbar zu machen. Bei großenFestessen war er am beliebtesten, die Fische nach ,London Cure’-Rezept waren das erste Gourmet-Essen aus Großbritannien.”
Forman erzählt weiter: „Und zur Weihnachtszeit fahren alle auf und wollen der Familie etwas Luxus bieten. Dann gönnen sie sich das Beste vom Besten. Man servierte es sehr einfach, ein Teller mit geräuchertem Lachs, dazu dunkles Brot und Butter und vielleicht noch ein Glas Champagner.
Dieses Jahr steht Formans „Gin & Tonic” Räucherlachs fest auf der Karte. Ursprünglich entwickelte er das Rezept für die Olympischen Spiele 2012 in London, mittlerweile ist der Lachs vor allem zur Weihnachtszeit sehr beliebt, weil hier zwei heißgeliebte Produkte des East Ends zusammenkommen: Fisch und Gin.
Von den drei Tonnen Lachs, die täglich in ihre Produktionsstätte in Hackney Wick geliefert werden, zweigt sich Forman etwas ab und beginnt mit der Herstellung des Räucherfischs—komplett in Handarbeit. Zuerst wird der Fisch filetiert und dann 24 Stunden lang in Salz eingelegt, sodass er Feuchtigkeit und insgesamt 10 Prozent seines Gewichts verliert. Dann kommt der Fisch bei 30° C für weitere 24 Stunden in die riesigen Räucheröfen und nimmt dort den Eichenrauch auf. Standard-Räucherlachs wäre jetzt fertig, doch der Gin-Tonic-Lachs bekommt noch für einen halben Tag lang eine Ganzkörpermaske aus Kräutern. Diese Marinade ist eine dunkle Paste aus Wacholderbeeren, Zitronen-, Orangen- und Limettenschalen und einem Schuss Wein.
„Im Gin-Tonic-Lachs ist eigentlich kein Gin”, sagt Forman.
Oh, denke ich mir und verabschiede mich schon gedanklich von meinem Gin Tonic.
„Na ja, der würde verdampfen. Stattdessen nutzen wir die Pflanzen, die auch für den Gin verwendet werden, damit wird es intensiver”, meint er. „Die Aromen sind wunderbar ausbalanciert. Wie auch bei den anderen Varianten wollen wir aber auch immer, dass die Leute die Qualität des Laches schmecken können. Die sollte nicht übertüncht werden.”
Ich probiere ein paar der geräucherten Lachse von H Forman & Son und muss sagen: Das stimmt. Der Unterschied zum Supermarktlachs ist gewaltig. Dieser Lachs ist fast schon wie Butter, ein bisschen fest und ohne die enttäuschende Glibberigkeit. Und der Rauch deutet sich nur an, der Fisch schmeckt nicht nach einem riesigen Lagerfeuer.
Und der Gin-Tonic-Lachs? Er ist kräuterig mit einer leichten Zitrusnote—darauf kann man definitiv ein Glas Gin trinken.