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So abgefuckt ist der Krieg in Afghanistan wirklich


Specialist Christopher Saenz von der US Army lässt während einer Patrouille außerhalb des Dorfes Musa Qala in der Provinz Helmand den Blick über die Landschaft schweifen (AP Photo/Rodrigo Abd).

I ch musste mich bloß zu einem der vielen winzigen, abgeschiedenen Basiscamps aufmachen, die dort über die karge, sonnenverbrannte Landschaft verstreut sind, und mit den britischen Fußtruppen abhängen, um die chaotische Realität des Krieges am eigenen Leib zu erleben: tagelange Feuergefechte, Selbstmordattentäter, die hinter Marktständen hervorspringen, um sich auf ungepanzerte Jeeps zu stürzen, überall versteckte Sprengfallen und Bomben, die über afghanischen Häusern abgeworfen werden, in denen sich manchmal ganze Familien befinden.

2006, als die Truppen nach Helmand entsandt wurden, rechnete das britische Oberkommando nicht damit, dass es dort überhaupt zu nennenswerten Kämpfen kommen würde. Ihr Auftrag war einfach: „Wiederaufbau und Entwicklung fördern”. Der britische Verteidigungsminister John Reid sagte sogar, er hoffe, dass die Armee ihre Aufgabe erfüllen könne, „ohne dass ein einziger Schuss abgefeuert wird”. Doch mit jedem weiteren Jahr wuchs die Zahl der Opfer und Toten so stetig wie die Opiumernte. Tausende zusätzliche britische Soldaten wurden entsandt, dann Tausende von US-Soldaten, im Zuge einer sechsmonatigen Revision angefordert von General Stanely McChrystal nach der Amtsübernahme Obamas. Dennoch hielten das Blutbad und die Verwirrung unvermindert an. Die Zahl der Selbstmordattentate versiebenfachte sich. Jeder Schritt, den man tat, konnte eine weitere Sprengfalle zünden.

Im Februar 2013, an seinem letzten Tag an der Spitze der NATO-Truppen in Afghanistan, beschrieb General John R. Allen das, was er als das Vermächtnis des Krieges ansah, wie folgt: „Afghanische Truppen verteidigen das afghanische Volk und helfen der Regierung dieses Landes dabei, ihren Bürgern zu dienen. Das ist ein Sieg, so geht gewinnen, und wir sollten uns nicht scheuen, es auszusprechen.”

Die amerikanischen und britischen Streitkräfte bereiten nun ihren endgültigen Abzug aus Afghanistan vor (offiziell bis Ende 2014), und mein Aufenthalt in diesem Land in den letzten sechs Jahren hat mich überzeugt, dass unser Vermächtnis das genaue Gegenteil von dem sein wird, was Allen postuliert—kein stabiles Afghanistan, sondern eines, das erneut mit sich im Krieg ist. Hier ein paar flüchtige Eindrücke von meiner Zeit in diesem Land und dem, was wir zurücklassen.

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November 2012 – „Chai Boys”


Leutnant Will Felder, links, hat gerade mit einem Dorfbewohner im Baghran-Tal in Helmand gesprochen. (AP Photo/Rodrigo Abd)

Für den Großteil der Soldaten in Sangin, einer 14.000-Einwohner-Stadt und Hauptumschlagplatz für Opium im Süden des Landes, war der Krieg schon Ende 2012 vorbei. Die US-Marines hatten die Außenstützpunkte, die sie unter erheblichen Kosten in den letzten sechs Jahren errichtet hatten, bereits verlassen, um sich in die sichere Umgebung ihres Hauptquartiers nördlich des Stadtzentrums zurückzuziehen, das sie nur noch selten verließen. Sangin war fest in den Händen der afghanischen Regierung. Zwei Teams von je 18 Marineberatern besuchten noch gelegentlich die Außenposten, die von der afghanischen Polizei für ihre Zwecke umgebaut worden waren, was aber keineswegs als Zeichen des Erfolgs zu werten war.

Übergang ist das vierte und letzte Stadium der Aufstandsbekämpfungsmaßnahmen durch die NATO, das aber nicht eintreten soll, bevor die Taliban nicht von dort verschwunden sind, die Infrastruktur verbessert wurde und die afghanischen Sicherheitskräfte ausgebildet und ausreichend rekrutiert wurden, sodass sie das Land ohne äußere Hilfe übernehmen können.

Nach fünf Wochen in Sangin war mir klar, dass es mit der afghanischen Sicherheit längst nicht so gut bestellt war. Ich sah Polizisten, die so mit Heroin vollgepumpt waren, dass sie nicht mehr aufrechtstehen oder Sandsäcke aufschichten konnten, und Soldaten, die aufgrund der leisesten verdächtigen Bewegung Hunderte von Raketen, Kugeln und Granaten in die Wüste feuerten—„Scheiß auf die, das sind doch alles Taliban hier”, platzte es aus einem Soldaten heraus, als man ihn aufforderte, das Feuer auf einen Vater und seinen Sohn einzustellen. Auch Kindersoldaten sah ich bei mindestens sechs verschiedenen Gelegenheiten.

Die Taliban waren immer noch aktiv und entführten Zivilisten für Lösegeld oder nutzten sie als Tauschpfand, um Kameraden aus dem Gefängnis freizupressen. Waffen, Treibstoff und Equipment aus Lieferungen der NATO an die afghanische Nationalarmee wurden auf lokalen Märkten verkauft, und „Geister”—Beamte, die eigentlich gar nicht existierten—füllten die Gehaltslisten der Polizei. „Kennen Sie die Sopranos?”, meinte Major Bill Steuber, der für das Polizeiberaterteam zuständige Marine, und spielte damit auf die Korruption an. „Es ist unüberschaubar.”

Am schlimmsten ist die routinemäßige Entführung von jungen Männern, die als „Chai Boys” beschäftigt werden, Hausdiener, die nebenbei als Sexsklaven dienen. Unabhängig voneinander wurden drei dieser Jungs erschossen, als sie zu fliehen versuchten.

Der Polizeichef sagte zunächst, die Jungs hätten sich freiwillig entschlossen, auf den Stützpunkten zu leben: „Sie sind gern dort und lieben es, nachts ihre Ärsche hinzuhalten.” Er behauptete außerdem, der sexuelle Missbrauch durch die Soldaten sei notwendig. „Wen sollen meine Kommandanten denn vögeln, wenn nicht diese Jungs? Ihre eigenen Großmütter?”

Januar 2011 – „Die Taliban werden eine halbe Stunde nach eurem Abzug hier sein.”


Ein Soldat der Afghanischen Nationalarmee bereitet sich auf einen Einsatz in Taliban-Gebiet vor.

Der Mann, der aus der Moschee kam, erzählte den Marines auf der Straße, seine Tochter sei am Tag zuvor von einer verirrten Kugel in der Schulter getroffen worden. Die Familie habe sie selbst ins Krankenhaus gebracht, ohne jegliche Hilfe vonseiten der Marines oder der afghanischen Nationalarmee.

Einer der Marines machte die Taliban für die Schießerei verantwortlich und meinte, sie würden Zivilisten als Schutzschilde benutzen. Er fügte hinzu, dass das zum jetzigen Zeitpunkt ein gutes Zeichen sei, weil es darauf hindeute, dass sie die Kontrolle verlieren und verzweifelter würden.

Der Mullah, der den Mann aus der Moschee hinausbegleitete, lächelte, als sei sein Verdacht bestätigt worden, dann wendete er sich an einen Feldwebel der Afghanischen Nationalarmee, der ganz in der Nähe stand. „Jenseits der Straßen gibt es keine Sicherheit”, sagte er. „Sie sagen das nur, damit sie sich selbst gut fühlen. Die Russen haben das Gleiche getan. So Gott will, werden sie das gleiche Schicksal erleiden wie die Russen.”

„Mir ist klar, dass ihr uns nicht mögt, weil wir Kugeln auf uns ziehen und sehr viel Lärm machen und manchmal auch Menschen unseretwegen verletzt werden”, so der Marine. „Aber diese Dinge sind notwendig, damit euer Land friedlich werden kann, und wenn ihr uns helft und der ANA und wir gewinnen, werden wir uns nicht länger in euer Leben einmischen müssen.”

„Die Taliban werden eine halbe Stunde nach eurem Abzug hier sein”, meinte der Mullah mit einem Lächeln. „Die bringen uns nicht um. Bei ihnen haben wir keine Angst. Die lassen uns in Ruhe und wir sie.” Es war schwer auszumachen, ob der Mullah kurz davor war, einen Lachkrampf zu bekommen oder einen Wutausbruch. „Das Einzige, was ihr gemacht habt, war, einen halben Kilometer Straße im Bazar zu bauen. Aber dafür mussten mehr als 5.000 Menschen ihr Leben lassen. Männer, Frauen und Kinder. Und jetzt wägt das mal gegeneinander ab, was, meint ihr, ist besser?”

Nach dem Ende des Gesprächs wurde der Mullah wieder etwas sanfter. Er meinte, in der Moschee gäbe es ein kleines Gästehaus, und lud uns alle zum Tee ein. Der Marine sah auf die Uhr und antwortete: „Ich würde wirklich gern Tee mit euch trinken, aber ich muss meine Patrouille fortsetzen. Aber wenn wir das nächste Mal hier sind, würde ich mich gern mit euch auf einen Tee zusammensetzen und reden.” Das Lächeln des Mullahs verwandelte sich wieder in ein Knurren. Er verabschiedete sich schnell wieder von allem, was er sich von einem Gespräch möglicherweise erhofft hatte.

Januar 2010 – „Scheiße, Mann. Es war genau hier.”


Die Zentrale der afghanischen Polizei ist voller Jeeps, die von USPVs zerstört oder zerschossen wurden. Die amerikanischen oder britischen Soldaten fahren in mehrere Millionen Dollar schweren, bombensicheren Lkws umher, während die afghanischen Soldaten ungepanzerte Pick-ups erhalten.

Vor einem Haus in Sangin lagen mehrere große Felsbrocken verdächtig auf dem Weg verstreut. Der Hauptgefreite Jeff Payne lag auf den Knien am Boden und stocherte mit einem Messer vorsichtig nach Metall. Der Hauptgefreite Blake Hancock folgte ihm langsam, streckte die Beine weit vor und berührte zuerst mit den Zehen den Boden, bevor er den ganzen Fuß absetzte, wie jemand, der es vermeiden will, mit seinen besten Schuhen in eine Pfütze zu treten. Hancock dachte, die Gesteinsbrocken könnten so etwas wie Wegweiser für jemanden auf der anderen Seite einer Befehlsleitung sein. „Sie sehen jemanden vorbeigehen und wissen, jetzt müssen sie den Auslöser betätigen … Bum!” Er spreizte seine Finger, um die Explosion zu demonstrieren. „Siehst du das Loch da mit den Steinen?”, so Hancock. „Da gehe ich nicht hin. Sieht aus wie damals, als es McGuinness erwischt hat”, ein Kamerad, der einer Sprengfalle zum Opfer gefallen ist.

Wir näherten uns einer s-förmigen Kurve auf dem Weg, an der vier Gassen zusammentrafen. „An dieser Scheißecke müssen USBVs sein”, meinte Hancock.

Was zu diesem Zeitpunkt noch niemand wusste: Hancock hatte absolut recht. Unter unseren Füßen begraben befand sich eine Kette aus sieben Sprengfallen, dazu gedacht, einen ganzen Armeezug zu töten oder zu verstümmeln. Zwei Steuerdrähte führten jeweils eine Gasse hinunter; am Ende der einen Gasse wartete ein Beobachter darauf, dass die Bomben gezündet wurden. Diese Person hielt die Stromquelle, wahrscheinlich eine Batterie, in der einen und die Zündung in der anderen Hand. Er brauchte die beiden nur verbinden, um die Kette hochgehen zu lassen. Bei dieser Methode konnten die Soldaten kein Metall im Boden entdecken.

Ich hielt den Atem an, bis ich die Ecke passiert hatte. Hinter mir tauchten vier Marines auf, die durch die Visiere ihrer Gewehre in jede der Gassen spähten. Payne lehnte eine Leiter an eine Wand, um nach einer Möglichkeit Ausschau zu halten, den Weg zu umgehen—den „Scheißweg”, wie ihn alle hier jetzt nannten. Als er die Spitze der Leiter erreichte, ertönte hinter uns eine gewaltige Explosion. Ich drehte mich um und sah zwei braune Staubwolken in die Luft steigen. Steine und Geröll prasselte auf uns nieder.

„IST JEMAND GETROFFEN? IST JEMAND GETROFFEN?” schrien die Marines. Ich konnte nicht um die Ecke schauen, aber ein schreckliches Stöhnen hören.

Ich ging zurück, um zu sehen, was passiert war. Das Stöhnen klang mittlerweile entsetzlich. Als sich der Staub legte, sah ich einen Krater mit Bruchstücken eines gelben Plastikkrugs darin. Der Krug war groß genug, um fast 18 Kilo Sprengstoff zu fassen, genug, um mehrere Leute in Stücke zu reißen.

„Scheiße, Mann. Es war genau hier”, sagte einer der Marines. Er zeigte auf den Krater in etwa zweieinhalb Metern Entfernung. Ein anderer Marine kniete und versuchte, mit der rechten Hand nach etwas zu greifen, konnte aber mit der Handfläche nicht den Boden finden. In der Entfernung schrie ein Sanitäter, ob er hören könne? Ob er sehen könne? Ob er von der Ecke wegkriechen könne? Mindestens drei USPVs waren zusammen hochgegangen, aber alle waren überzeugt, dass da noch mehr waren.

Payne tauchte neben mir auf. Er beobachtete die Ecke eine Sekunde lang und ging dann ruhig weiter. Er stieg über den ersten Krater und beugte sich herunter, um den Verwundeten zu begutachten. Es war Corporal Christian Thomas, auch Big T genannt. Die anderen Marines zogen ihn gern damit auf, dass er bei jeder Explosion zusammenzuckte, selbst bei kleinen, kontrollierten.

„Kannst du aufstehen, kannst du sehen?”, fragte Payne.

„Er ist blind! Big T hat Priorität!”, schrie irgendjemand in ein Funkgerät. In weniger als einem Meter Entfernung von Big Ts Kopf befand sich ein weiterer Krater, voll mit einem zischenden dunklen Pulver, das klang, als würde eine Handvoll Streichhölzer gleichzeitig angezündet. Payne versuchte, Big T auf die Füße zu bekommen, aber dieser klopfte nur den Boden um sich herum ab und stöhnte. „Kannst du sehen? Kannst du aufstehen?”

„Häh?”

„Kannst du sehen?”

„Häh?”

„Er kann dich nicht hören, Mann”, rief der Sanitäter. Big T war blind und taub. Payne half ihm auf die Füße, aber er brach stöhnend zusammen. „Ahhh, fuck.”

„Folge mir, halte dich an meiner Schulter fest”, meinte Payne. Er legte sich Big Ts Arm um und stolperte den Weg zurück.

Plötzlich stand ich allein zwischen zwei qualmenden Kratern.

„Bleib, wo du bist, beweg dich nicht”, schrie ein Marine vor mir.

Big T wurde auf dem Boden abgelegt. Er stöhnte noch mehr, als seine Arme leblos am Körper herunterhingen, wie bei einer ausgestopften Puppe. Das schwarze Pulver im Krater brannte jetzt und knisterte beunruhigend.

Big T legte die Hände auf seine Ohren. Sein Mund stand weit offen und seine Brillengläser waren mit dickem Staub bedeckt und verdeckten seine Augen.

Ich rief dem nächsten Marine zu, dass das Pulver noch immer brennen würde. „Könnte es explodieren?”

„Ich weiß nicht, ich geh da nicht hin”, meinte er.

Wundersamerweise hatte sich keiner der Marines direkt auf einer der USPVs befunden, als diese explodierten. Einzig Big T war schwer verletzt worden. Die Leute im vorderen Teil der Patrouille—Payne, Hancock, vier weitere Marines und ich—hatten etwa zehn Minuten auf einem Teil der USPVs gestanden, bevor wir um die Ecke gingen. Payne kehrte zurück, um den Weg abzusuchen, bis wir auf ein Dach konnten.

Ein Marine wies in eine der Gassen. Er sagte, er sei sicher, dass sich der Bombenauslöser dort verstecken würde. „Geht in Ordnung”, meinte er. „Er wird bald tot sein.”

August 2009 – „Das ist die gleiche Scheiße wie in Vietnam.”


Ein afghanischer Polizist ist so mit Heroin vollgepumpt, dass er kaum noch aufrechtstehen oder Sandsäcke aufschichten kann.

Die Marines schliefen auf dem Betonboden eines langgestreckten, schmalen Gebäudes, das mal eine Schule gewesen war. Mir wurde gesagt, ich solle bei den Sanitätern schlafen, die einen Raum hatten, um Verwundete zu behandeln, einen für den Arzt und einen schlammigen Innenhof, den ich mir mit etwa 15 anderen teilen musste. Ich schlief auf einer Bahre, wenn diese von den Sanitätern gerade nicht benötigt wurde.

„Hast du nicht gesehen, was nebenan ist?” fragte ein Marine. „Eine Gynäkologenliege mit einem Abfalleimer am Ende. Wie passend für dieses Land.”

Auf der Krankenstation gab es einen Verwundeten. Es handelte sich um einen einheimischen Jungen mit Querschnittslähmung, der, obwohl er „irgendwo zwischen 16 und 30″ Jahren alt war, wohl kaum mehr als 30 Kilo wog. Man hatte ihn in einem nahegelegenen Haus gefunden, das von einer Hellfire-Rakete getroffen und in Flammen aufgegangen war. Seine Familie war zusammen mit allen anderen geflohen, als die Marines erstmals auftauchten. Der Junge, der sich nicht bewegen und kaum sprechen konnte, war fast verhungert. Er erzählte dem Übersetzer, er sei bei der Arbeit in der Landwirtschaft verletzt worden, was keiner der Marines glaubte. Sie gingen davon aus, dass jeder, der in dieser Gegend verletzt wurde, entweder am Kampf oder an der Herstellung von USPVs beteiligt war.

Das umliegende Gebiet wurde von den Marines täglich kontrolliert, aber die Taliban waren nahezu unsichtbar. „Das ist die gleiche Scheiße wie in Vietnam”, meinte einer. „Die meiste Zeit ist es, als würden wir von den Sträuchern beschossen.” Einer der Soldaten fühlte sich elend, weil ein Anruf daheim nicht gut gelaufen war. Bei der Einheizung für die Operation hatte es für Echo Company geheißen, dass die „Welt zuschauen” würde, aber seine Freunde zu Hause hatten ihm erzählt, dass die meisten Amerikaner nicht mal wüssten, dass es Kämpfe gegeben hatte. Er war gerade mal 21, hatte den ganzen Irak bereist und einige Zeit wegen tätlicher Gewalt im Gefängnis gesessen.

„Unsere Familien wissen, was passiert”, knurrt er. „Die Leute bei der Armee wissen es, aber die allgemeine Bevölkerung weiß es nicht. Amerika ist nicht im Krieg, Amerika ist in der Mall”, knurrt er weiter. „Niemanden interessiert es einen Dreck. Es geht um Paris Hilton hier—Britney Spears da … Der Durchschnittsamerikaner hat keine Scheißahnung, wenn hier Leute sterben.”

Ein anderer Marine stimmt zu. „Wir werden jeden Tag beschossen. Mir ist es heute endlich gelungen zu telefonieren, und ich habe so etwas erwartet wie: ‚Oh, du fehlst mir so.’ Nein. Stattdessen: ‚Alles in Ordnung. Ich mache Party und lasse es mir hier gut gehen.’ Fragt mich nicht einmal, wie es mir geht. Da wurde mir klar, dass die Leute sich einen Dreck interessieren. Selbst von 9/11 redet niemand mehr. Für mich ist das überhaupt der Grund, warum ich hier bin. Darum bin ich in den Irak gegangen. Jetzt sind wir hier und ich weiß nicht einmal genau, warum.”

Einige der Marines waren bei 9/11 gerade mal elf oder zwölf Jahre alt. Und je jünger sie waren, desto weniger schienen sie überzeugt zu sein, dass sie im Krieg gegen den Terror kämpften. Ein Gefreiter, der sich genau ein Jahr zuvor, fünf Tage nach seinem 18. Geburtstag verpflichtet hatte, sagte: „Ich weiß nicht. Dort, wo ich herkomme, ging es der Wirtschaft nicht sehr gut, es gab keine Jobs, meinem Stiefvater ging es schlecht, er konnte keine Arbeit finden. Ich wusste, dies ist eine gute Organisation mit regelmäßiger Bezahlung, die sich um einen kümmert. Jetzt, wo ich hier bin, kann ich meinen Eltern sehr helfen.” Sein Lohn betrug gerade mal etwas mehr als 20.000 US-Dollar im Jahr.

Ein anderer Marine streichelte mit seiner behandschuhten Hand über einen kleinen Strauch. „Schau dir dieses Scheißding an, nichts als Dornen. Es ist einfach nur zornig. Alles in diesem Land ist so verdammt zornig.”

Juni 2007 – „Dann sind sie unsere Könige.”

Der Finger des Polizeichefs von Gereshk zitterte, als er diesen hob, um das Gesagte zu unterstreichen. Er war ein kleiner Mann mit einem sauber gestutzten, grau werdenden Bart. „Die Operationen der ISAF [International Security Assistance Force] sind nicht hilfreich”, sagte er. „Sie gehen und die Taliban kehren zurück. Sie unterscheiden nicht. Sie sehen keinen Unterschied zwischen Frauen und Kindern und den Taliban.”

Ich dachte, dass er übertrieb, in dem Versuch, allen zu vermitteln, dass er mit ihnen fühlte. Aber dann wurde mir klar, dass auch er bei einem Luftangriff mehrere Familienangehörige verloren hatte, was außer mir niemanden überraschte. „Sie haben mich so schwer getroffen, dass ich betäubt bin. Was kann ich tun? Ich habe vier meiner Brüder verloren. Wie soll ich mich jetzt um ihre Familien kümmern?”

Als er geendet hatte, ereiferten sich die Älteren über die Bombenangriffe und meinten, die Taliban seien häufig bereits weit weg, wenn die Bomben fielen, dass die Sicherheitslage schlimmer würde und dass sich bald mehr Zivilisten den Taliban anschließen würden, wenn die Dinge sich nicht änderten. „Für mich hat das Leben keine Bedeutung mehr”, meinte ein Mann. „Ich habe 27 Familienangehörige verloren. Mein Haus ist zerstört. Alles, was ich in 70 Jahren aufgebaut habe, ist weg.”

Metallbehälter wurden hereingebracht, auf den Tischen vor der Gruppe abgestellt und geöffnet. Die Älteren erhielten dicke Bündel mit 500-Afghani-Scheinen, deren Empfang sie mit ihrem Daumenabdruck in Tinte quittierten. Sie erhielten rund 2.000 US-Dollar für jedes getötete Familienmitglied.

„Ich habe 20 Menschen verloren und 2 Millionen Afghanis [rund 36.000 US-Dollar] erhalten”, erzählte einer der Männer. „Es war kurz vor halb ein Uhr nachts, als eure Truppen in unsere Gegend kamen. Sie wurden in einen Kampf verwickelt, aber die Taliban zogen sich zurück. Später kam ein Düsenjet und warf Bomben über unserem Haus ab. Zwei Zimmer wurden zerstört. In einem der Zimmer befanden sich meine beiden Neffen und mein Sohn. Mein Sohn überlebte. Ich habe ihn aus den Trümmern gerettet. Sechs Angehörige der Familie meines Onkels waren in dem anderen Raum. Sie alle sind jetzt Märtyrer. Sie wurden unter der Erde begraben. Ich habe die Kinder fortgebracht und bin zurückgekommen, um die unter den Trümmern zu retten. Als wir dabei waren, bekamen die Kinder so große Angst, dass sie wegzulaufen begannen. Das Flugzeug hat sie eines nach dem anderen erschossen.”

„Alles, was wir wollen, ist Sicherheit, egal, ob von euch oder von den Taliban. Wir unterstützen den Krieg nicht. Wenn du Frieden und Sicherheit bringst, bist du mein König. Wenn sie Sicherheit bringen, sind sie unsere Könige.”

Noch mehr Elend und Hoffnungslosigkeit aus Afghanistan könnt ihr diesen Monat in Ben Andersons neuem Film Mission Accomplished auf VICE.com sehen.