Politik

So spießig ist die Letzte Generation

Ein Mann mit roten Haaren und roter Jacke steht vor einer Kirche

Wann wird Terror zu Spießbürgertum? Und wann andersrum? Die Letzte Generation kann es niemandem recht machen. Den Rechten, Liberalen und Autofahrern ist sie zu radikal, den Linken noch zu wenig radikal und wenn man mich fragt, wundere ich mich vor allem über den spießigen Habitus dieser jungen Leute.

Dabei wirken sie auf den ersten Blick so wild. Wie sie da in Brunnen stehen und schwarze Schlacke über ihre Körper kippen. Oder auf der Straße sitzen und dem Hass der Menschen trotzen, die in arbeitsethischer Nibelungentreue lieber jungen Menschen Schmerzen zufügen, als ihrem Arbeitgeber eine halbe Stunde Verspätung erklären zu müssen. Oder sich bei Gerichtsverfahren an Richtertische kleben, um dem Rechtsstaat zu zeigen, wer da der Boss ist.

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Denn, eine Sache machen die jungen Wilden deutlich. Sie tun das nicht, um sich zu profilieren, sie tun es, um die Gesellschaft wachzurütteln und aufmerksam zu machen auf den wahren Boss, den Endgegner der Zivilisation. Die Klimakrise.

Aber: Während die Aktivistinnen und Aktivisten sich also in ihren Aktionen präsentieren wie geile Punks, denen deine Meinung von ihnen scheißegal ist, zeigen sie sich jenseits der prolligen Protestaktionen fast schon züchtig und bieder. So züchtig und bieder, dass ich mich fragen muss, ob der spießige Habitus der “Klimaterroristen”, wie verschiedene Politiker und der Boulevard gegen sie hetzte, mir überhaupt Freude machen würde.

Kürzlich luden die Aktivisten zum offenen Brunch-Treffen in einer Kirche. Brunch. Anschließend wollte man gemeinsam protestieren. An sich nett, oder? Klar, Kirchen wirken immer etwas kalt, altbacken und spießig, aber sie bieten halt auch genug Platz für viele Menschen, die im Zweifelsfall kein Geld haben, um den Festsaal der BP-Deutschland-Dependance zu mieten. Weniger nett war die Uhrzeit, zu der all das begann: 9 Uhr. 

Wer um 9 Uhr isst, frühstückt. Das ist Gesetz. Und wenn der preußische Tugendwahn behauptet, die Jugend verweichliche, wenn sie vormittags bruncht, dann sollen die Boomer boomern, wir schlafen trotzdem aus. Also die Punker mit ihrer punkigen Attitüde. 

Doch es wird noch spießiger. Am kommenden Mittwoch, den 10. Mai, lädt die Letzte Generation von 13:30 Uhr bis 16 Uhr in den Treptower Park in Berlin. Coole Kids würden jetzt Dosen stechen, Pillen poppen oder den Maulwürfen die Erdlöcher wegrauchen. Die Letzte Generation? Bietet Kaffee und Kuchen als wäre sie meine Oma. Oder fast, die ist nämlich nicht nur tot, sondern hätte sicher noch einen Kirschlikör dazu geboten. 

Und hey, ich verstehe schon, was sie da machen will: Sie will anschlussfähig wirken, nahbar, harmlos. Aber ganz ehrlich: In ihrem Aktionsplan steht, dass sie gewaltlos demonstrieren will, sich lieber angreifen und beschimpfen, eine zweite Wange hinhalten will, statt der FDP den Mittelfinger zu zeigen. Aber muss sie sich, wie vergangene Woche, dafür mit Bundesverkehrsminister Volker Wissing treffen und anschließend für das gute Gespräch bedanken? 

Schon die Forderungen der Gruppe sind so weichgespült, dass man sich fragen muss, ob der ganze Lärm das Ziel überhaupt wert ist. Tempolimit und 9-Euro-Ticket? Ein Bürgerrat, der die Politik beraten soll? Rosa Luxemburg wollte noch den Generalstreik, Martin Luther King immerhin Gleichberechtigung. Ein Tempolimit durch Hinsetzen – Rosa Parks würde cringen vor Fremdscham.

Dann wiederum würde ein Tempolimit auf Tempo 100 jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen, schreibt das Umweltbundesamt. Das wäre schon eine ganze Menge, etwa ein Zehntel der Biomasse aller Deutschen, also wenn man alle Menschen gemeinsam wiegen würde. Die binden auch ein bisschen CO2, aber nur etwa 80 Jahre lang.

Ein günstiges Ticket für alle würde immerhin die Kosten für ärmere Menschen senken und Mobilität ermöglichen. Und CO2 würde es auch sparen, das hat das Experiment im vergangenen Sommer gezeigt, bei dem viele Menschen auf Autofahrten zugunsten von Bahnfahrten verzichtet haben.

Vielleicht sind die Ideen der Letzten Generation also doch OK. Und durch ihren harmlosen Anschein werden sie auch weniger Menschen verprellen als, sagen wir, die Forderung nach dem Wiegen aller Deutschen. Oder nach einem Verbot von Inlandsflügen. Wahrscheinlich ist es eine sinnvolle Strategie, als soziale Bewegung mit großen Zielen anschlussfähig zu bleiben, um nicht zu enden wie die Punker auf dem Bürgersteig, um die man lieber einen Bogen macht, auch wenn ihre strubbeligen Hundis super lieb gucken.

Und dann muss ich mich fragen, ob nicht ich es bin, der mit seiner Kritik an der Letzten Generation der langweilige Spießbürger ist. “Als Spießbürger oder kurz Spießer wird in abwertender Weise eine engstirnige Person bezeichnet, die sich durch geistige Unbeweglichkeit, ausgeprägte Konformität mit gesellschaftlichen Normen und Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung auszeichnet”, schreibt Wikipedia. 

Vielleicht ist es heute cool, um 8 Uhr aufzustehen, um um 9 Uhr pünktlich beim Brunch in der Kirche zu sein. Und vorher kein Erdloch geraucht zu haben. Denn der Letzten Generation kann man zumindest eins nicht vorwerfen. Und das ist geistige Unbeweglichkeit. Und ihre Abneigung gegen Veränderungen der gewohnten Lebensumgebung meint nun mal das, was uns alle betrifft, nämlich die Klimakatastrophe.

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