So war Kitschkrieg Live mit Haiyti, Trettmann & Joey Bargeld in Berlin

Fotos & Video: Awhodat (awhodat.com)

Berlin-Kreuzberg, letzte Woche Donnerstag, kurz vor Nacht. Überall Grüppchen auf der Straße, die schon mal Anlauf für die letzten Amtshandlungen 2016 nehmen. Konkret bedeutet das, nicht mehr wirklich zu arbeiten und sich unter dem Tarnnetz „Weihnachtsfeier” ab jetzt jeden Abend die Kante zu geben. Keine Termine mehr und immer leicht einen sitzen, dieses Drecksjahr hat zum Ende auch nichts besseres mehr verdient, mein Freund. Oder? „Na und? Geh ich halt morgen nicht zur Arbeit! Wer soll denn noch was sagen??!! Hähähä!!”, schallt es aus einer Gruppe Dies-Das-Agenturmenschen in Ausgehmontur. Süß. Bisschen trist aber auch. Vor allem aber sehr normal. Der getretene Bordstein in der Oranienstraße zuckt müde mit den Gully-Achseln. Früher wurde in seiner Nachbarschaft unnormaler auf den Putz gehauen.

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Es ist schwer, das Unnormale zu finden diesen Abend, und ehrlich gesagt hatte man sich auch nur auf eine nette, kleine Absacker-Sause im Prince Charles Club mit den Kitschkrieg-Leuten, Trettmann, Haiyti und Joey Bargeld eingestellt. Mal nicht übertreiben, wer rechnet aufn letzten Drücker 2016 schon noch damit, Teil einer Jugendbewegung zu werden … ?

Und dann biegst du um die Ecke zum Club, die Schlange ist lang und unruhig mit hibbeligen Menschen, die da jetzt unbedingt rein müssen. Ernsthaft? Das satte Berlin ist hier anscheinend auf einmal wieder richtig hungrig auf das, was drinnen passiert, der Security-Mann muss sogar Sachen sagen wie, „Ey!” und „Hallo?! Mach ma ruhig, bitte!” Später wird im Club noch ein Besucher vom Barkeeper in die Waden geboxt, weil er vom Tresen runterkommen soll. Nur nebenbei: „Eskalationen” dieser Art sind entgegen der Legenden, die sich um das Berliner Nachtleben ranken, sehr selten geworden. Besonders selten eskaliert es noch dazu im Prince Charles, das inzwischen eher Charles, Prince of Wales als Prinz Ernst August—„Ich piss hier jetzt gegen und schlag euch mit Regenschirm”—von Hannover ist. 

Doch heute Nacht liegt ein anderer, wesentlich unruhigerer Geist in der Luft. Ein Geist, der sich nicht mit Begriffen wie Rap-Show, Trap, Cloud … All diesen Sammelvokabeln einfangen lässt. Man müsste mindestens noch Punk und Hardcore draufpacken, um der Kitschkrieg-Sache einigermaßen nahe zu kommen. Independent, anders, unnormal passt schon besser, auch wenn es hochtrabend klingt in unserer herrje so abgeklärten, post-sensationellen Zeit. Doch genau das ist die Stimmung, die einem von der Bühne und aus dem Publikum entgegenschlägt. Unnormale Energie von Independent-Künstlern-, Produzenten und DJs, die man alle grob unter Rap und HipHop zusammenfassen kann, deren Kunst aber mehr will und von einem schwer zu beschreibenden Rummel getrieben scheint. Diese Clique ist so rastlos, aber dabei so positiv gestimmt wie die Menschen in der Schlange vor dem Club. Heute treffen sie aufeinander, und die Bühne, die sie trennt, ist nichts weiter als Requisite. Es dauert nicht lange, bis sich das Gefühl von perfekter Fügung in der Bauchgegend ausbreitet: Zum Glück bin ich hier drin dabei und nicht da draußen unterm Alltags-Tarnnetz. Ein seltenes, besonderes Gefühl.

Kitschkrieg Live hat sich vorab mit den Worten angekündigt: „Trettmann, der based Adriano Celentano aus Leipzig. Haiyti, die Königin von Emo-Trap und G-Punk. Ihr kongenialer Widerpart Joey Bargeld.” Und dass keine von diesen Selbstbeschreibungen übertrieben ist, merkt man spätestens, wenn Trettmann mit „Skyline”-Charisma die Bühne küsst und Joey Bargeld in seiner Performance auch der kleine Bruder von NY-Hardcore-Punk Veteran Freddy Cricien sein könnte. Als Special Guests dabei: Megaloh und Carsten Chemnitz aka Felix Brummer von Kraftklub. Beide in gewohnter Hochform. Und dann kommt eine Haiyti, deren Emo-Trap-Adeligkeit so verquer und eigen ist, dass die Menge sofort auf die Knie ins Bühnengatter fällt. Alle „120 Jahre” wieder …  

Keine Ahnung, ob das jetzt schon Jugendbewegung ist, aber wer diese Nacht ein Teil von Kitschkrieg Live war, hat auf jeden Fall etwas Unnormales erlebt, während Rest-Kreuzberg ganz normal besoffen im Weihnachtsfeier-Netz hängengeblieben war. Da freut sich der getretene Bordstein vor dem Prince Charles—ein würdiger Abschluss für ein großes Kitschkrieg-2016. 


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Noisey präsentiert Haiyti, Trettmann und Joey Bargeld auf Ich Komm Aus Dem Club Nicht Raus Tour 2017. 

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