Kobayashi, der womöglich beste Schnellesser aller Zeiten, ist bereit, mich in die Geheimnisse des Hochgeschwindigkeitsessens einzuweihen—aber ich habe die falschen Hotdogs gekauft.
Der Weltrekordhalter (in sechs Ess-Kategorien: Pizza, Hotdogs, Twinkies, Hamburger, Fleischbällchen und Nudeln) hat das professionelle Essen mit seiner „Salomon-Methode” revolutioniert. Diese ist vielleicht nach dem biblischen König benannt, beinhaltet aber kein Zerschneiden von Babys. Stattdessen zieht Kobayashi die Würstchen aus dem Brot und isst sie separat. Diese Technik wurde seitdem in der Welt des Schnellessens oft kopiert und Kobayashi ist kurz davor, sie mir beizubringen—wenn ich nur die richtigen Würstchen gekauft hätte. Kobayashi schwört auf die „Bigger-Than-the-Bun”-Sorte von Nathan’s Famous und die von mir gekauften, normalgroßen Frankfurter bringen’s nicht.
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„Die sind zu dick”, sagt Kobayashi immer wieder, halb auf Englisch, halb auf Japanisch (das mir seine Managerin, eine süße und hippe Japanerin namens Maggie, übersetzt). „Die brechen nicht richtig auseinander.”
Das Auseinanderbrechen ist wichtig. Das Auseinanderbrechen machte Kobayashi zu dem Champion, der er heute ist. Das Auseinanderbrechen ermöglichte es ihm bei Nathans berühmten Hotdog-Esswettbewerb aufzutauchen und den 90 Jahre alten Weltrekord zu brechen. Dieser lag bei 25,5 Hotdogs in zehn Minuten. Kobayashi aß 50.
Also mache ich mich Montag morgens zusammen mit Kobayashi auf, um in den Lebensmittelläden von Williamsburg nach dem perfekten Würstchen zu suchen.
Das erste Geschäft auf der Bedford Avenue war noch vor wenigen Monaten ein schmuddeliger Tante-Emma-Laden. Jetzt funkelt es dort an allen Ecken und Enden und es wird auf gesunde Lebensmittel gesetzt. Dort wird nicht mal Fleisch verkauft. Kobi und ich ziehen weiter.
„Die letzten sechs Monate habe ich für den Hotdog-Esswettbewerb”, erzählt mir Kobi. „Dabei trinke ich jeden Tag etwas mehr Wasser, um meinen Magen zu weiten.”
„Wie viel Wasser wirst du diesen Nachmittag trinken?”, frage ich.
„Gut 11 Liter in 90 Sekunden.”
Es geht darum, über das Brötchen hinaus zu denken. Kobayashi—ein schlanker, witziger und sehr modebewusster Typ in seinen 30ern—hat die Welt des Schnellessens an dem Tag verändert, als er auf die Bühne trat und die Würstchen von ihren Brötchen trennte.
Kobayashi zerbrach die Würstchen in der Hälfte und nahm einen großen Bissen, gefolgt von einer Handvoll nassem Brötchen. Dieses in heißem Wasser getränkte Brötchen ließ das Würstchen geschmeidig seinen Hals hinuntergleiten, während Kobi schon die nächste mundgerechte Portion vorbereitete.
Die Wassertemperatur ist bei Kobayashis Methode sehr wichtig—kaltes Wasser verengt den Magen, warmes Wasser macht ihn größer. Das Wichtigste sind jedoch die richtigen Hotdogs, die ich natürlich nicht besorgt habe.
Unser nächster Supermarkt ist größer und besser sortiert, die Würstchen aber trotzdem plump, bio-zertifiziert und voller Zeug wie Apfel- und Knoblauchstücken. Kobayashi achtet vielleicht in seiner Freizeit auf eine abwechslungsreiche Ernährung, aber bei bei der Arbeit braucht er das köstliche, luftige und geheimnisvolle Fleisch der „Bigger-Than-the-Bun”-Frankfurter von Nathan’s.
Ich schicke Kobayashi zurück ins VICE-Büro und renne so schnell es geht zu einer großen Supermarktkette im angrenzenden Greenpoint, wo ich mir sicher bin, dass ich das perfekte Würstchen für den Japaner finde.
20 Minuten später bin auch ich wieder im Büro, im Gepäck eine Packung 20 Zentimeter lange Hotdogs. Mein Gesicht ist rot angelaufen, ich ringe um Atem und mein Shirt ist durchgeschwitzt … aber zumindest habe ich jetzt Appetit.
Wir setzen uns und Kobayashi stellt einen Plastikteller aus der Küche vor sich hin. Seine Managerin wirft die „Bigger-Than-the-Bun”-Würstchen zum Aufwärmen in eine Plastikschüssel voll heißem Wasser. Er holt sich dann noch vier große, 0,7 Liter-Becher mit Regenbogenaufdruck, stellt zwei davon links neben seinen Teller und reicht mir die anderen beiden.
Bevor er alle vier Becher zu Dreiviertel mit heißem Wasser auffüllt, erklärt er mir: „Das sind die Becher zum Eintauchen.”
Seine Managerin gibt uns zwei Flaschen Wasser, Kobi öffnet eine und gießt langsam noch etwas davon in den Becher, um das Wasser darin auf die perfekte Temperatur zu bringen. Er taucht zwei Finger ein, rührt kurz um und nimmt dann einen kleinen Schluck. Ich mache das selbe.
Kobayashi erzählt mir, dass das Wasser für die Finger fast zu heiß, aber fürs Trinken geeignet sein muss. Die Nerven im Finger sind empfindlicher als die Nerven im Mund—also wird Wasser, das sich zu heiß anfühlt, dir nicht deinen Mund und Rachen verbrennen.
Als wir die perfekte Temperatur hinbekommen haben, stapeln Kobi und ich vier Würstchen und vier Brötchen auf jedem unserer Teller. Es kann losgehen.
Kobayashi studierte Wirtschaft in Japan, als er sein Talent für das Runterwürgen von unmenschlichen Essensmengen entdeckte. Eines Tages gingen er und seine Freunde für ein kleines Curryreis-Wettessen in ein All-you-can-eat-Restaurant. 11 Pfund Reis später sah sich Kobayashi umringt von seinen fassungslosen Freunden sowie einer Restaurantbelegschaft, die jede Sekunde mit seinem Platzen rechnete. Kobi aber fühlte sich hervorragend. Er hatte seine wahre Berufung gefunden.
Danach hat Kobayashi mehrere hunderttausend Euro in verschiedenen Wettessen in Japan und Amerika gewonnen. In Amerika war es auch, wo der hagere junge Mann mit den zurückgegelten Haaren 2001 die Konkurrenz bei Nathan’s im Hotdog-Wettbewerb vernichtet hat. Er war sogar schon im Fernsehen, wo er ein Eins-gegen-eins-Duell mit einem Grizzlybären im Hotdog-Wettessen verlor. Das war eines der wenigen Wettessen, die er nicht für sich entscheiden konnte.
Ich schaue auf die vier Hotdogs auf meinem Teller, blicke dann rüber zu Kobis Berg an Hotdogs und muss an das Bärenvideo denken. Ich spreche ihn darauf an, aber noch bevor er antworten kann, geht seine Managerin dazwischen.
„Kobi war sehr enttäuscht darüber, dass er verloren hat”, meint sie.
„Na ja, wir reden hier von einem ausgewachsenen Grizzlybären”, erkläre ich. „Du bist vielleicht der beste Esser der Welt, Kobayashi, aber ich bitte dich. Der Bär war einfach riesig.”
„Während der Generalprobe habe ich ihn noch besiegt”, antwortet er.
Dann beginnen wir zu essen.
Bei Kobayashi sieht alles so mühelos aus. Seine Hände tänzeln über den Teller und trennen zwei Würstchen auf einmal von ihren Brötchenhälften. Dann reißt er die Würste in zwei Teile und schiebt sie sich mit seiner rechten Hand in den Mund.
Mit nur einem Bissen verschwinden sie fast im selben Moment in seinem Rachen. Mit seiner linken Hand taucht Kobi zur gleichen Zeit zwei Brötchen in die riesige Wassertasse und stopft sie sich in seinen vor Würsten überquellenden Mund.
Er ist eine Maschine. Er hat schon die ersten zwei Hotdogs eingeatmet, bevor ich überhaupt verstehe, wie ich das Eintauchen der Brötchen mit dem gleichzeitigen Runterwürgen von halbgekauten Wienern am besten koordinieren soll.
Da ich noch kurz zuvor von Supermarkt zu Supermarkt gehetzt bin und auch das Frühstück ausgelassen habe, bin ich ziemlich hungrig und genieße die erste Ladung Würstchen. Sie sind zwar nur lauwarm und ich esse sie eigentlich lieber gegrillt, aber schlecht schmecken sie nicht. Vielleicht bin ich ein Naturtalent. Aber als dann die ersten zwei feuchten Brötchenhälften in meinem Mund ankommen und sie die Hotdogs meinen Rachen runter schieben, muss ich sofort würgen.
Ein zehförmiges Hotdog-Stück fällt mir aus dem Mund und landet auf meinem Schoß, während triefend nasse Brötchenstücke bedrohlich zwischen meinen Lippen hervorragen. Langsam komme ich mir vor Kobis attraktiver Managerin ziemlich blöd vor—nicht weil mein Gesicht wie ein einziges Schlachtfeld aussieht, sondern weil mich der weltbeste Wettesser dermaßen abzieht. Ich muss schon wieder würgen, kann das meiste aber irgendwie runterschlucken.
Jahr für Jahr hat Kobayashi seine Konkurrenz beim Wettessen auf Coney Island zerstört, bis Nathan’s 2010 versucht hat, Kobi zu einem Exklusivvertrag zu drängen, der seiner Teilnahme bei anderen Wettbewerben einen Riegel vorgeschoben hätte. Er lehnte ab, woraufhin er von einer weiteren Teilnahme bei Nathan’s ausgeschlossen wurde. Sogar sein Bild wurde dort von der „Wall of fame” entfernt.
Am 4. Juli 2011 machte sich Kobi auf den Weg zu einer Rooftop-Bar in Manhattan, um zeitgleich mit der Live-Übertragung vom Wettessen bei Nathan’s, von der er ausgeschlossen worden war, sein eigenes Wettessen auszutragen. Er verputzte 69 Hotdogs und stellte damit einen neuen Rekord auf—er schaffte einen mehr als beim „offiziellen” Weltrekord bei Nathan’s und sogar sieben mehr als Joey Chestnut, Sieger des Wettbewerbs bei Nathan’s desselben Jahres.
Am 4. Juli dieses Jahres wird Kobayashi auf der 230 Fifth Rooftop-Bar in Manhattan zeitgleich gegen die Konkurrenz bei Nathan’s antreten.
Als wir wenige Minuten zuvor von Supermarkt zu Supermarkt getingelt sind, bot er mir eine Wildcard für sein Wettessen an. Ich habe mit dem Gedanken gespielt, zuzusagen. Jetzt aber, wo mir nasse Brocken aus dem Mund purzeln, muss ich meine Entscheidung wohl noch mal überdenken.
Ich würge mir die Reste meiner ersten beiden Hotdogs runter und stelle fest, dass Kobi derweil geduldig auf mich gewartet hat.
Mir schießen Tränen in die Augen und mein Gesicht ist übersät mit klebrigen Brötchenstücken. Außerdem ist meine Kleidung patschnass davon, dass ich beim Eintunken der Brötchen meinen Schoß geflutet habe. Kobi hingegen sieht aus wie aus dem Ei gepellt. Sein Teller ist bis auf ein paar einzelne Krümel sauber geblieben.
Ich atme einmal tief durch und greife nach den nächsten zwei Hotdogs. Mit der rechten Hand breche ich sie in der Mitte durch und nehme mir im Anschluss die Brötchen vor. Ich schaue rüber zu Kobayashi. Seine zwei Hotdogs sind längst schon wieder Geschichte.