Sommeliers sind ziemliche Arschlöcher

Willkommen zurück zu den Restaurant Confessionals, wo wir den Leuten aus der Gastronomie eine Stimme geben, die ansonsten viel zu selten zu Wort kommen. Hier erfährst du, was sich hinter den Kulissen in deinen Lieblingsrestaurants so alles abspielt. Dieses Mal erzählt uns ein Sommelier aus New York, welche schlechten Angewohnheiten Leute seines Schlags haben.

Neulich hatte ich ein Date, es war nicht das erste Mal, dass wir uns getroffen haben, aber unser erstes Date. Zum Glück brauchten wir auch keine App, um uns kennenzulernen. Sie machte schon von Anfang an einen ziemlich schicken Eindruck auf mich: Wir haben uns zum ersten Mal gesehen, als ich ihr eine gute Flasche Champagner serviert habe und kurz darauf habe ich herausgefunden, dass sie für diese Art Unternehmen arbeitet, mit dem ein armer Schlucker wie ich nie Geschäfte machen würde. Sie war noch ein paar Mal bei mir auf Arbeit, bis ich es dann irgendwann geschafft habe, sie nach einem Date zu fragen. Aber da hatte sie mir schon ihre Nummer auf die Rechnung geschrieben.

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In meinem Weinschrank lag noch eine Flasche 1996er Salon Champagner. Ich kam gerade von einer Verkostungstour mit einem Kollegen durch Upstate New York, der mir empfahl, ich soll sie doch in dieses Sushi-Restaurant ausführen, wo der Koch höchstpersönlich dein Menü zusammenstellt. Das gehörte übrigens einem Freund von ihm. Dort wurde vor allem laute Rap-Musik gespielt. Außerdem hat mein Sommelier-Kumpel neulich kein Korkengeld bezahlen müssen, als er mit einer Flasche Raveneau hereinspaziert ist (ein ziemlich teurer Wein aus dem Chablis, bei dem jeder Sommelier einen Steifen bekommt).

Ich kam also mit einem ziemlich süffisanten Grinsen dort an, das man eben so hat, wenn man mit einer Handtasche—also eigentlich nur einer Neoprenhülle—ankommt, in der sich eine 900-Dollar-Flasche Champagner versteckt. Man gab mir einen Platz am Ende der Bar, die Flasche wollte ich noch aufheben, bis sie kommt. Dann habe ich mir die Getränkekarte angeschaut und bin kreidebleich geworden.

Ich habe meine eigene Flasche mitgebracht, die es auch auf der Karte gibt. Damit habe ich quasi alles untergraben, was diese Leute hier ihr Leben lang gemacht haben.

Ich habe soeben ein Verbrechen begangen, das in Sommelierkreisen dem Verrat Judas’ gleichkommt: Ich habe meine eigene Flasche mitgebracht, die es auch auf der Karte gibt. Damit habe ich quasi alles untergraben, was diese Leute hier ihr Leben lang gemacht haben.

Zum Glück war mein Date spät dran, sodass ich mich wieder fangen konnte, mir ein japanisches Bier bestellte, mich beim Sommelier entschuldigte (und ihm auch ein Glas vom Salon anbot) und einfach darüber lachte.

Mit Bedauern mussten wir beide feststellen, dass Sommeliers ziemliche Arschlöcher sind, zumindest wenn sie irgendwo essen gehen, wo sie nicht arbeiten. Wir beide kannten diesen Typ Gast, aber viele Sommeliers sind in ihrer Freizeit doch genau dieser Typ.

Einen Monat vorher war ich zu einemJunggesellenabschied in Vegas, wo die Jungs plötzlich die glorreiche Idee hatten, eine „Negroni-Tour” zu machen. Am nächsten Morgen bin ich noch in meinen Schuhen aufgewacht und fühlte mich, als hätte ich einen Aschenbecher ausgeleckt. Da wusste ich, dass das eine beschissene Idee war, aber ich bin optimistisch an die Sache herangegangen. Zuerst ging es in ein Sternerestaurant an die Bar.

„Welchen Wermut haben sie?”, fragte ich.

„Ähh …”, meinte der nette, junge Barkeeper und drehte sich um. „Noilly Prat”

„Haben Sie den im Kühlschrank?”

„Ehm … nein?”

„Kann ich mal die Weinkarte sehen?”

Und da war er, „dieser Typ”. Ich wollte eigentlich einen Cocktail, aber habe etwas komplett anderes bestellt, weil ich nicht sicher war, ob der Wermut in meinem Negroni wirklich gut ist. Wer macht sowas schon? Frank Sinatra ist auch nicht überall hereinspaziert und hat die Leute danach ausgefragt, welcher französische Wermut eine geschützte Herkunftsbezeichnung vorweisen kann (Chambéry, FYI.). Er hat sich einfach einen verdammten Manhattan bestellt und ihn dann getrunken.

Manchmal erkennt man einen Sommelier sofort. Auch wenn ich gerne glauben möchte, dass das durch meinen Instagram-Account mit Bildern von teuren Flaschen und Weinbergen kommt, habe ich doch nur sieben Follower auf Twitter. Scheint so, als könnte man einen Sommelier auf drei Meter riechen.

Diese sektenähnlichen Wein- und Sommelierschulen waren mir nie so ganz geheuer. Aber wer das gemacht hat, der hat zur Belohnung zumindest schönen Nippes bekommen. Nachdem man den Test dort bestanden hat, muss man nämlich den einem verliehenen Pin immer unterwegs tragen, nur wenige meiner Sommelier-Freunde tragen die auch tatsächlich. Es ist immer wieder schön, solche Leute in freier Wildbahn zu sehen.

Einmal kam ein Typ bei mir rein, der nicht nur einen, sondern zwei Anstecker trug: den fleur-de-lis von Relais & Chateaux (ein ziemlich überholter Restaurantführer, ganz nach dem Geschmack von betuchten 70-jährigern Schweizern) und den Stufe-1-Pin von Court of Master Sommelier.

Ich dachte einfach nur, er war vorher noch beruflich unterwegs und hatte einfach vergessen seinen Anstecker abzumachen und fragte ihn deshalb: „Wie geht’s?”

Der Typ kam von außerhalb und machte hier Urlaub und hat jedes Mal, wenn er essen ging, seine Pins angesteckt. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, weil mir einfach so viele Fragen im Kopf herumschwirrten, allen voran eine: „Ernsthaft?”

Trotz meiner etwas gleichgültigen Haltung und obwohl ich keine Anstecker trage, wurde ich bei meinem letzten Besuch in Portland sofort als Sommelier erkannt. Vielleicht war es die (für mich zumindest) harmlose Frage nach der Weinkarte. Oder eines der anderen idiotenhaften Dinge, die Sommeliers nun mal tun, wenn sie versuchen normal zu sein.

Als sie mir allerdings das Glas vor die Nase gestellt haben und ich mich unbeobachtet fühlte, habe ich das leere Glas gerochen. Ich bin nicht stolz darauf.

Zum Beispiel sage ich manchmal, dass ich mich nicht entscheiden könnte. Das ist gelogen. Ich könnte, aber all die Weine kosten mehr, als ich es mir leisten könnte. Stattdessen stelle ich Fragen zu Weinen in meiner Preisklasse, zum Beispiel: „Ich dachte an den Chablis, aber wir sind ja hier in einem italienischen Restaurant. Wählen Sie einfach aus, Hauptsache unter 100 Dollar.”

Und es gibt auch Abende, die ich überstehe, ohne irgendjemanden zu beleidigen, wie neulich bei einem Date. Wenn ich allerdings mit anderen Sommeliers unterwegs wäre, hätten wir sicherlich erstens einen Wein mit einem so lachhaft niedrigen Preis gefunden, dass das ein Tippfehler sein musste, und ihn bestellt, zweitens hätten wir diesen Wein mit dem Personal geteilt, drittens mit einem oder allen von ihnen geflirtet und viertens Bier von der Bodega [dem Kiosk] auf der anderen Straßenseite für das gesamte Küchenpersonal gekauft.

Als sie mir bei diesem Date allerdings das Glas vor die Nase gestellt haben und ich mich unbeobachtet fühlte, habe ich das leere Glas gerochen. Ich bin nicht stolz darauf, aber ich wollte eben wissen, ob es an dem Glas liegt, das nach nassem Hund riecht, weil das Wasser im Gläserspüler mal gewechselt werden müsste, oder ob es der schlechte Naturwein ist, der mir gleich vorgesetzt wird.

Ich glaube allerdings, dass man mich enttarnt hatte, als ich den Wein verkosten sollte. Ich versuche immer, auch wirklich einen Schluck zu nehmen, aber wir alle wissen doch, dass man schon beim Geruch weiß, ob ein Wein verkorkt ist oder nicht. Aber weil ich keinen richtigen Schluck von meinem Arneis genommen habe, hat mich das verraten.

„Wer sind Sie?”, fragte mich der Sommelier in Portland.

Ich bin ein Arschloch.