Sommer in Mogadischu

Der Film Der Weiße Hai kam im Sommer 1975 heraus und verbreitete sich dann langsam durch die Strandorte der Welt, wo er Albträume auslöste und Sonnenbadende fest an den Sand zementierte. Als der Film schließlich in Mogadischu, Somalia, ankam, müssen die Leute angenommen haben, dass New England ganz in der Nähe lag oder dass der Film gar in ihrer eigenen Stadt spielte.

Zwischen 1978 und 1987 wurden rund um Mogadischus berühmtem Lido Beach 30 Haiattacken dokumentiert. Bis auf zwei endeten alle tödlich. Beim Bau eines neuen Hafens waren Korallenriffe durchbrochen worden, sodass Bullen- und Tigerhaie näher an die Küste schwimmen konnten. Die meisten tödlichen Angriffe ereigneten sich während der Monate des Sommermonsuns, weil dann der Salzgehalt des Wassers noch mehr Haie als gewöhnlich anzog. In diesen Jahren fielen die Regenzeiten mit dem Ramadan zusammen, der Zeit also, in dem die Schlachthöfe entlang der Küste auf Hochbetrieb arbeiteten und die Gedärme von Ziegen, Kamelen und Rindern im Meer entsorgten.

Videos by VICE

Mogadischu war in den 80er Jahren eine Hauptstadt mit breiten, von Bäumen gesäumten Straßen, Häusern aus Korallengestein und der berühmten Meeresbrise des Indischen Ozeans. Seit ihrer Gründung vor 1.000 Jahren hat die Stadt einen Platz am Schnittpunkt der Welten des Mittelmeers, Afrikas, Asiens und Arabiens inne. Die Offenheit ihrer Menschen, eine typische Tugend von Küstenbewohnern, zeigt sich an den Stränden, insbesondere am beliebten Lido, einem im Stadtzentrum gelegenen Strand. Damals traf sich hier einmal in der Woche ein Joggingclub und Somalis und Ausländer gingen zusammen in Shorts laufen, die Frauen ohne Schleier. Hinter dem Strand reihten sich Verkaufsstände aneinander, wo junge Leute Meeressouvenirs und Elfenbein verkauften. Der Strandstreifen war von Beachclubs übersät, wo man auf Terrassen Mittag essen und den Menschen dabei zusehen konnte, wie sie ins Wasser wateten.

Wie 5 junge Somalier mit dem Nachkriegstrauma leben: unser Videoporträt zur Ausgabe

Das ein Stück die Küste hinauf gelegene Schlachthaus lief immer auch Hochtouren. In der somalischen Gesellschaft dreht sich alles um Vieh, insbesondere Kamele; und obwohl ihnen der längste Küstenstreifen des Kontinents gehört, essen die Somalis kaum Fisch. Präsident Siad Barre, der 1969 bei einem Militärcoup an die Macht kam, machte sich daran, Fischereikooperativen zu gründen, und erklärte zwei Wochentage zu Fischtagen, um der Nahrungsknappheit beizukommen.

Irgendwann hatten die Somalis genug von Barres spezieller Form des Wissenschaftlichen Sozialismus, der sich zunehmend auf das extravagante Zurschaustellen der eigenen staatlichen Macht konzentrierte—wozu man Dutzende Monumente und regelmäßige Paraden organisierte—anstatt sich um das tatsächliche Funktionieren des Staates zu kümmern.

Seine Art, die Dinge zu organisieren, hatte zu wenig mit den Gepflogenheiten der Bevölkerung zu tun, die er kontrollieren wollte, die aber immer Wert auf Eigenständigkeit und private Initiative gelegt hatte. Schließlich kam die Regierung, die in Korruption versunken und durch mehrere clanbasierte, bewaffnete Oppositionsgruppen geschwächt war, 1991 zu Fall. Barre floh aus dem Land und die nationale Armee löste sich auf. Und so begann ein Krieg, auf dessen Ende wir immer noch warten. Die auf Claninteressen ausgelegte Politik ließ die somalische Gesellschaft auseinanderfallen und der Zusammenbruch des Staates ging mit einer katastrophalen Hungersnot einher. Mehr als 300.000 Menschen starben in dem darauffolgenden Jahr an Hunger, wodurch es zur ersten von vielen fehlgeschlagenen internationalen Interventionen kam.

An einem Morgen im Dezember 1992 warteten 100 ausländische Journalisten vor Anbruch des Tages an einem Strand ein Stück südlich des Lido. Sie starrten auf den dunklen Ozean und hielten nach Zeichen einer vermeintlich geheimen Operation der US Marines Ausschau, die den Weg für die Verteilung von Nahrungsmitteln ebnen sollte. Eine Crew von CBS erspähte mithilfe von Nachtsichtgeräten die Vorhut eines Erkundungsteams und strahlte die Bilder live aus. „An diesem Strand geht es zu wie in einem Affenzirkus“, schrie ein Captain dem Pressecorps zu. Für die nächsten 20 Jahre wurde es an den Stränden Mogadischus um einiges ruhiger. Die Leute blieben zu Hause, weil sie Angst vor den sporadisch ausbrechenden Gefechten hatten, die die Wände aus weißem Korallengestein mit Narben überzogen und die Straßen voller Schutt hinterließen. Unterbrechungen in den Kämpfen hielten nie lange an.

Als ich im Januar dort war, kam mir der Frieden am Lido nicht wie eine Fata Morgana vor. Den Blick aufs Meer gerichtet und mit dem Rücken zu den Ruinen war er greifbar nah. Überall waren dichte Menschentrauben und als ich durch sie hindurch lief, hatte ich das Gefühl, dass es unmöglich sein musste, sich in dieser Stadt einsam zu fühlen, schon allein wegen des Strandes. Es war ein Freitag, ein Feiertag, und die ganze Stadt war hier. Seit die al-Shabaab-Miliz vor drei Jahren von Friedenssicherungstruppen der Afrikanischen Union aus der Stadt getrieben wurde, ist der Lido Beach zu einem Sinnbild des Friedens geworden und zur Bühne des Wiederauflebens der Stadt. Journalisten verzieren ihre Berichte mit Beschreibungen des azurblauen Wassers und der wiedereröffneten Cafés. Im vergangenen Jahr ging in einem der Strandrestaurants eine Bombe hoch—ein Hinweis auf al-Shabaabs sich wandelnde Strategie in Mogadischu, wo sie nun mit guerillaartigen Anschlägen mit selbst gebauten Sprengsätzen und Selbstmordattentaten arbeiten.

Heute sind rund um die Cafés Wachleute platziert. An den Armen der Männer baumeln Kalaschnikows, die sie ihr Leben lang, teils schon als Kinder, im Dienste der einen oder anderen Miliz getragen haben. Hinter ihnen sitzen junge Angehörige der somalischen Diaspora aus Kanada, Schweden und Großbritannien an Tischen und trinken Caffè Latte. Viele von ihnen arbeiten jetzt für die neue Regierung. Bevor sie zurückkehrten, hatten sie die Bilder des Lido von vor dem Krieg im Kopf, die ihnen ihre Eltern vermittelten.

Wir waren gekommen, um am Strand Porträtfotos zu machen, und stellten auf dem Balkon eines Restaurants unsere Lampen auf. Das Securityteam, das wir angeheuert hatten, fiel hier nicht auf. Um unseren Tisch zu behalten, hatten wir einen Krug Mangosaft bestellt—den niemand wirklich trank und der stattdessen zwischen den Objektiven und Batterien im Weg herumstand. Alle beobachteten uns. Unsere Ausrüstung und unsere hektischen Vorbereitungen zogen viele englischsprechende Neugierige an, die uns fragten, was wir hier machten. Im Schutz des restauranteigenen Sicherheitsteams und der hohen Stacheldrahtzäune fanden sie die Idee, wie sie erklärten, toll. Sie wollten der Welt die positive Seite Somalias zeigen. Aber selbst wollten sie sich nicht fotografieren lassen.

Die Leute am Strand waren bereitwilliger.

Gruppen von Jungs schlugen sich gegenseitig als Fotomotive vor. Ein paar von ihnen streuten sich Sand auf den Kopf, um unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bald mussten wir Leute abweisen.

Die Fotos verfolgen keine bestimmte Absicht, außer der, eine Normalität zu zeigen und Bilder des alltäglichen Lebens eines Landes vorzustellen, in dem genau das Alltägliche für Außenseiter etwas kaum Vorstellbares ist. Wenn ihnen dennoch ein politisches Statement über die Zukunft Somalias innewohnen sollte, dann vielleicht jenes, die turbulente Vergangenheit des Landes vergessen zu machen. Die Bilder dokumentieren, wer an einem bestimmten Tag im Januar am Lido Beach war, was er oder sie trug und ob sie lächelten.

Nach einer Reihe tödlicher Anschläge in Mogadischu und im benachbarten Kenia diesen Winter hat al-Shabaab gedroht, die Angriffe während des Ramadan zu intensivieren. Die ­somalische Polizei hat den Strand daraufhin erneut abgeriegelt. Wieder einmal ist der Strand menschenleer.

ROOPA GOGINENI