Die Stürmerfrage bei der DFB-Elf ist ein ermüdendes Thema, bei dem sich mehr als ein Stürmer von Jogi Löw hintergangen fühlt—oder im Fall von Mario Gomez fühlte. Nach seinem Doppelpack gegen Köln (und die bis dato beste Abwehr der Liga) brachte sich Sandro Wagner selbst für den Posten ins Gespräch. „Ich bin in meinen Augen seit einiger Zeit mit Abstand der beste deutsche Stürmer”, meinte Wagner nach den Bundesliga-Treffern sieben und acht mit seiner ihm typischen gesunden Portion Selbstbewusstsein gegenüber der Bild. Zumindest der schmeichelhafte Gesang der Hoffenheimer Fans gab ihm Recht: „Ob die Sonne scheint oder es schifft, wenn der Sandro Wagner wieder trifft, dann ist jedem Hoffenheimer klar, Europacup im nächsten Jahr!” Wenn die Mannschaft weiterhin so spielt, ist das keine allzu mutige Prognose. An den jüngsten Erfolgen hatte Wagner schließlich einen großen Anteil. Deswegen muss man dem exzentrischen Stürmer bei der Aussage auch bedingt Recht geben—was aber nicht allein seine Schuld ist.
Bei den deutschen Neunern—bzw. den Spielern, die dem Löw’schen Anforderungsprofil entsprechen—läuft es alles andere als rund. Thomas Müller wartet weiterhin auf seinen ersten Bundesligatreffer, Mario Gomez kann bei den kriselnden Wolfsburgern ebenfalls nicht glänzen, Mario Götze ist auf der Neun verschwendet und Stefan Kießling wurde von Chicharito aus der Startelf verdrängt. Insgesamt hat Wagner mit seinen sieben Treffern fast doppelt so viele erzielt wie die oben genannten Spieler zusammen.
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Schaut man sich die aktuelle Form an, befindet sich momentan nur ein Stürmer vor Wagner. Auch wenn es nach seiner Schwalbe niemand hören möchte: Die Rede ist von Timo Werner. Der weist nämlich in fast allen Kategorien bessere Werte als der 29-Jährige Angreifer von den Kraichgauern auf: Der Leipziger hat nicht nur einen Treffer mehr erzielt und aufgelegt, sondern auch mehr Großchancen kreiert. Außerdem hat er eine bessere Passquote und verhalf seinem Team auf den ersten Tabellenplatz.
Wenn man die Spielweisen der beiden vergleicht, findet man jedoch wenig Gemeinsamkeiten, abgesehen davon, dass beide regelmäßig treffen. Während Werner eher von seiner wuseligen Spielweise und seiner Geschwindigkeit profitiert, ist Wagner mehr der Typ kantiger Strafraumspezialist, der—wenn nötig—auch zur Brechstange mutiert. Ein weiterer Vorteil ist seine kämpferische Mentalität, die Verteidiger zur Weißglut treibt: Er teilt auch mal gerne aus und scheut keinen Zweikampf. In seiner Darmstädter Bundesligasaison waren es alleine 1002—absoluter Spitzenwert. Daher kann man die Debatte um den besten Strafraumknipser nicht ohne den 1,94 Meter großen Hoffenheimer führen.
Das „bedingt” kann man an dem Zusatz „seit einiger Zeit” festmachen: Denn ja, auf der einen Seite hat im Kalenderjahr 2016 kein deutscher Spieler mehr Tore erzielt als Wagner, der in Darmstadt auch nicht die beste Offensivreihe hinter sich hatte und dennoch zehn Tore erzielen konnte. Auf der anderen Seite gab es in der vergangenen Saison einen Mario Gomez, der in Istanbul nach Belieben traf, und einen starken Thomas Müller—aber eben keinen Timo Werner, der momentan leicht die Nase vorne hat. Auch wegen seines Alters wird der Anruf von Löw wohl nicht kommen, verdient hätte er ihn allerdings trotzdem.