Hat sich SoundCloud von seinen Usern abgewandt?

Die SoundCloud-Gründer Eric Wahlforss (links) und Alexander Ljung (rechts)

„Wir haben die Möglichkeit, Verhaltensweisen zu formen und neue Sachen zu machen, die es noch nie gab.“

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Das sind die Worte von Alexander Ljung und Eric Wahlforss, den Gründern von SoundCloud, die sie 2011 auf YouTube in einem Video-Feature von Adidas geäußert haben. Der Rest des gut dreiminütigen Clips besteht aus Gedanken wie: „Es gab so viele nicht funktionierende Dinge im Web, die du verbessern und zehnmal besser machen konntest. Und du konntest neue Sachen machen. Auf gewisse Weise ist das, wie alles anfing.“ Im Prinzip sind das die üblichen 08/15 Weltverbesserungsaussagen von Unternehmern, aber das alles passiert in einer Welt, die vielen von uns wirklich etwas bedeutet: Musik. Doch acht Jahre nachdem sie SoundCloud ins Leben gerufen haben, sind die beiden Geschäftsmänner aus Berlin bzw. Stockholm anscheinend an ihre Grenzen gestoßen.

Diese Grenze wird durch den folgenden Kommentar unter dem Adidas-Clip deutlich, der seit 2013 nicht mehr kommentiert wurde: „Dann beeilt euch und repariert SoundCloud! ;)“. Das ist eine knappe und wirksame Nachricht, die direkt an Ljung und Wahlforss gerichtet ist, zwei Typen, die so erpicht darauf waren, ein defektes System zu reparieren, dass sie anscheinend nicht gemerkt haben, dass sie dazu beitragen könnten, die Kreativität in der Musikindustrie zu unterdrücken.

Im letzten Monat hat eine wachsende Zahl an Produzenten und DJs ihren Unmut gegenüber SoundCloud zum Ausdruck gebracht, nachdem sie Nachrichten erhalten haben, dass Remixes, Edits, Mashups und Mixes von der Seite genommen wurden—oft ohne jegliche Warnung. Die Universal Music Group wurde bei diesem ganzen Debakel als einer der größten Übeltäter angeprangert, da sie anscheinend Accounts lahmgelegt und Tracks gelöscht haben, wenn sie das Gefühl hatten, dass durch diese das Urheberrecht verletzt wird. Mixmag berichtet, dass SoundCloud einem User gegenüber gesagt habe, dass Universal seine Songs entfernt und „SoundCloud keine Kontrolle darüber hat“. Als der Produzent wissen wollte, warum das passiert ist, wurde ihm gesagt, dass „sie (Universal) uns (SoundCloud) nicht sagen, welcher Teil des Uploads welches Recht verletzt hat“.

Die Produzenten äußern sich


Lakim

LAKIM, Produzent aus Lynchburg, Virginia, war besonders deutlich bezüglich der Entfernung eines seiner Tracks, einem Remix von Kanye Wests „New Slaves“. Die Mitteilung, dass der Track runtergenommen wurde, kam mit der Nachricht, dass bis jetzt zwei seiner Songs entfernt wurden und sein Account gelöscht werden würde. Als Folge davon hat LAKIM schnell reagiert und zehn ähnliche Remixes herunter genommen, die laut eigener Aussage über 700.000 Plays hatten (du kannst alle bei Bandcamp finden). Diese Zahl ist nicht überraschend, wenn man bedenkt, dass sein Remix von Dweles „Lady“, den er zusammen mit Produzenten-Kollegen Sango gemacht hat, beim Entstehen dieses Artikels bei 220.000 Plays stand.

In einer knappen Diskussion über das Herunternehmen der Songs hat LAKIM seinem größten Ärger Luft gemacht—und der hat nichts damit zu tun, dass seine Arbeiten entfernt wurden. „Was mich stört, ist, dass SoundCloud die Community, die ihnen zu diesem Status verholfen und sie zu dem gemacht hat, was sie sind, missachtet“, sagt er mir. „Ich habe das Gefühl, dass sie diese Deals mit den Majors machen, um ihr Gesicht zu wahren und ihren Arsch vor riesigen Gerichtsverfahren zu retten.“

Er sagt weiter, dass das Problem nicht nur Soundcloud, sondern Majorlabels generell sind, da „sie schon immer Angst hatten, sich anzupassen und ich denke, dass sie diese Remixes falsch sehen.“ Produzenten bekommen durch Remixes ganz klar mehr Aufmerksamkeit, aber sie führen auch zu „erhöhter kostenloser Publicity und Promotion für die Künstler, die wir remixen.“

„Wir machen einen extrem kommerziellen Mainstream-Song schmackhafter für den normalen Hörer, dessen Hauptquelle für Musik nicht das Radio ist“, sagt LAKIM. Mit „wir“ meint er in diesem Fall die gesamte Produzenten-Riege, aber auch eine Gruppe an Künstlern, die er seine Brüder nennt: Soulection. Dahinter verbirgt sich sowohl ein Kollektiv als auch ein Label für Künstler, die sich hauptsächlich auf instrumentelle Musik spezialisiert haben—der aufstrebende DMV-Rapper GoldLink ist nun auch Teil davon—und die ein paar wirklich erwähnenswerte Remixes vorzuweisen haben. Einer der bekanntesten Künstler aus dem Soulection-Umfeld ist Kaytranada, dessen Remixes erst Bootlegs waren und jetzt als offizielle Veröffentlichungen erscheinen (Disclosure, AlunaGeorge usw.), nachdem viele Leute bei—ihr ahnt es—SoundCloud auf ihn aufmerksam geworden sind.

Auch der House-DJ/-Produzent Kaskade ist unter den frustrierten SoundCloud-Künstlern—er hat die Nachricht, dass sein Song runtergenommen wurde, von einer Piraterie-Gruppe, die von Sony engagiert wurde, bekommen—und ist als einer der ersten großen Produzenten aufgestanden, um seine Frustration über die Fülle an Entfernungen von Songs zum Ausdruck zu bringen. Diese Frustration begann mit der Entfernung seines Bootlegs von Calvin Harris’ „Summer“ und wurde schnell größer, als er über 30 Mahnungen in seinem Email-Postfach hatte. Zusätzlich zu der Drohung, seine SoundCloud-Seite zu löschen—sie ist noch gesund und munter und hat fast 800.000 Follower—hat Kaskade in einem eloquenten Tumblr-Post argumentiert, dass Labels (in seinem Fall Sony) in diesem Fall wirklich Scheiße bauen. Er hat den Punkt angebracht, dass ein frei downloadbarer (und teilbarer) Bootleg-Remix wie dieser doch zu so viel potenziellem Gewinn für Labels führen kann:

„Sie (die SoundCloud-Hörer) lernen den Künstler kennen und suchen nach anderem Material von ihm. Vielleicht kaufen sie das. Vielleicht sprechen sie online darüber. Vielleicht gehen sie auf ein Konzert. Vielleicht werden sie einfach Fan und erzählen es einem Freund.“

Wenn du in den letzten Jahren eine Unterhaltung über Urheberrechtsfragen und Musik geführt hast, dann stehen die Chancen gut, dass du diese Punkte auch angebracht oder zumindest zu hören bekommen hast. Und sie sind auf jeden Fall auffällig, aber es gibt noch mehr. Es ist nicht die Aufgabe von jemandem wie Kaskade oder den tausenden Bedroom-Producern/-DJs, die zukünftigen gewinnbringenden Ideen für Labels herbeizuzaubern. Das ist die Aufgabe der Labels selbst, die anscheinend einfach nicht die richtigen Leute einstellen (oder auf die richtigen Leute hören). Oder, noch schlimmer, nicht von ähnlichen Geschäftsmodellen lernen, die einige woanders bereits installiert haben!

Die geschäftliche Seite

Bloomberg hat am 10. Juli berichtet, dass der „lebhafte digitale Musikservice“ nah dran ist, Deals mit den verbleibenden drei Majorlabels abzuschließen: der Universal Music Group, Sony Music Entertainment und der Warner Music Group. Die Deals bringen SoundCloud „Lizenzen, um weiter Songs von den größten Labels zu spielen und potentielle rechtliche Auseinandersetzungen zu umgehen“, berichtet Bloomberg, während die Labels einen 3-5 prozentigen Anteil an SoundCloud und einen Teil der zukünftigen Erlöse bekommen.

Später wird in dem Artikel die größte Herausforderung für das Berliner Start-Up deutlich: „SoundCloud hat nicht wirklich ein Geschäftsmodell entwickelt.“

Das stimmt. Abgesehen von nicht öffentlichen Deals ist die Haupteinnahmequelle der Abo-Service. Du kannst zwar einen kostenlosen Account erstellen, aber dann kannst du nur zwei Stunden an Musik hochladen. Wenn du den „Pro“-Account (3 Euro pro Monat oder 29 Euro pro Jahr) nimmst, bekommst du vier Stunden Musik; wenn du den „Pro Unlimited“-Account (9 Euro pro Monat oder 99 Euro pro Jahr) nimmst, kannst du unbegrenzt Musik hochladen. Es ist nicht klar, wie viel SoundCloud an diesen Abos verdient, doch verschiedene Wirtschaftsseiten berichten, dass die Firma mindestens 700 Millionen Dollar wert ist—diese Zahl basiert jedoch wahrscheinlich auf ihrem Potential, nicht auf ihrem Gewinn.

Es ist wichtig, anzumerken, dass diese Lizensierungsgespräche zwischen SoundCloud, den Majorlabels und Verlagen (unseres Wissens jedenfalls) im März begannen.


Was SoundCloud verbessern kann

Sieh dir YouTube an, so etwas wie SoundCloud 1.0, wenn es darum geht, dass Majors herausfinden müssen, wie man mit Kreativen arbeitet und gleichzeitig das bekommt, was ihrer Meinung nach ihr gerechter Anteil ist. Es gibt haufenweise (soll heißen: zu viele) Fan-Videos, die Musik von Majorlabels nutzen, aber es darf sie geben, da die Labels diese Videos zu Geld und mit den Clips Kasse machen können. Wirklich.

In einem Interview mit dem Toronto Star hat Francis Keeling, globaler Leiter des Digital Business bei der Universal Music Group, verraten, dass diese von Fans gemachten Videos „tatsächlich mehr Geld für Plattenlabels einbringen, als die offiziellen Musikvideos, die von den Labels selbst gepostet werden.“ Deine erste Reaktion mag vielleicht „heilige Scheiße!“ sein, aber das ist gar nicht so überraschend—ein originelles, kurzes Video, in dem ein Schnipsel eines populären Songs verwendet wird, geht viel eher viral als ein vierminütiges Musikvideo.

Ein Autor bei Gigaom argumentiert, dass SoundCloud YouTube wahrscheinlich nur dadurch nachahmen wird, dass sie Geld durch die „urheberrechtlich geschützten“ Inhalte verdienen. Er schreibt, dass „die Labels mit einem YouTube-ähnlichen Ansatz anfangen könnten, jedes Mal, wenn ein Heim-DJ-Mix einen neuen Hörer findet, Geld zu verdienen.“ Sollte SoundCloud tatsächlich diesen Weg gehen, hieße das dann, dass wir vor jedem Remix, Mash-Up, Mix usw. Werbung hören? Ist das nicht besser, als sie gar nicht zu hören? Vielleicht.

Die Sache ist, dass diese Benachrichtigungen, dass Inhalte entfernt wurden, nicht gerade erst aus dem Nichts aufgekommen sind, wie ein Post auf dem Serato-Messageboard von 2011 verrät. Der User, der den Thread gestartet hat, wollte wissen, ob noch jemand anderes über diese Anmerkungen zum Urheberrecht und Entfernung von Musik gestolpert ist und fragte: „Ist SoundCloud nicht hauptsächlich für DJs?“ Die Antworten zeigten, dass selbst eine wachsende Zahl der SoundCloud-Jünger von diesen Angelegenheiten genervt war und zu Konkurrenten übergegangen ist, nämlich MixCloud. Für Remixer bietet außerdem Legitmix ein schlaues Geschäftsmodell, bei dem der gesampelte Künstler UND der Produzent/DJ profitieren. Der Remix wird für 2,29 Dollar verkauft, wovon 1 Dollar 70/30 zwischen dem Remixer und Legitmix geteilt wird, während die verbleibenden 1,29 Dollar den Preis des Originalsongs bei iTunes decken.

Warum ist diese SoundCloud-Sache also so ein großes Ding? Aufgrund der Auswirkungen für so viele Künstler, die im Prinzip geholfen haben, die Seite bzw. das Angebot zu dem zu machen, was es heute ist. Wenn du auch nur eine Sekunde denkst, dass SoundCloud so weit gekommen ist, weil Majorlabels es nutzen, dann täuschst du dich. Natürlich hilft es, dass sie jetzt ihren Vorteil herausziehen, aber was ist mit den Produzenten und DJs, die die aufstrebende Seite mit Bootlegs, Covern und Mash-Ups dominieren?

Und wo soll das alles enden? Wenn Labels wirklich so realitätsfern sind, dass sie darauf bestehen, DJ-Mixes/Podcasts von der Seite zu nehmen, wie ist es dann, wenn der DJ live auflegt und einen Song spielt, für den er oder sie nicht das Urheberrecht hat? Haben wir irgendeine Art Polizei gegen Musikpiraterie zu befürchten, die sich dieser Sache auf den Straßen annimmt? Ich weiß, dass das theoretische und sehr überspitzte Fragen sind, aber so ist dieses gottverdammte Durcheinander eben. Es ist ein glitschiger Abhang, der darauf wartet, noch glitschiger zu werden.

Wenn man sich noch einmal das Adidas-Video ansieht, dann scheinen Alexander Ljung und Eric Wahlforss zwei nette Kerle zu sein, die versuchen, im Internet etwas zu bewirken: „Wir wollten eigentlich einen Ort im Internet erschaffen, der es den Leuten einfach macht, ihre Sounds zu teilen. Wir wollten Klänge im Internet so alltäglich machen wie Bilder, Videos und Text.“

Und jetzt, wo sie das geschafft haben? Wir werden sehen was passiert.

Andrew Martin lebt in North Carolina und ist der Mitbegründer und Chefredakteur von ‚Potholes In My Blog’. Er ist bei Twitter—@Andrew_J_Martin

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