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Reisen

​Spaghettimonster, Nudelgate und die christliche Verschwörung von Templin

Wir haben Bruder Spaghettus besucht, um der Nudelmesse der Kirche des fliegenden Spaghettimonsters beizuwohnen. Stattdessen gab es Nazimagazine, Flucht vor der Presse und eine leichte Prise Blairwitch Project.

​Templin ist ein ziemlich kleiner Ort irgendwo da in Brandenburg, wo man sich gut Wölfe vorstellen könnte. Wenn man in letzter Zeit von religiös motivierten Eskalationen zwischen zwei Parteien gehört hat, ging es um Salafisten und Hooligans. Im ostdeutschen Templin hingegen sieht sich die örtliche evangelische Christenheit einer anderen extremistischen Gruppierung ausgesetzt: den Pastafari. Einer Gruppe Piraten, die sich der Anbetung des fliegenden Spaghettimonsters verschrieben hat.

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Was war passiert? Die Nudelmonster-Anhänger wollten ihren Wirkungskreis im beschaulichen Brandenburg deutlich erweitern und fragten beim Straßenverkehrsamt nach, ob sie ihre „Nudelmesse" unter den Schildern anderer Religionsgemeinschaften bewerben könnten. Dem Antrag wurde stattgegeben. Die Spaghettimonster-Lobpreisung, bei der Nudeln und Bier statt Obladen und Messwein gereicht werden, wurde somit zumindest optisch mit den Messen der christlichen Kirchen gleichgesetzt. Die Gottesvertreter vor Ort waren erbost, Templin plötzlich zu einem Medienstandort größeren Ausmaßes geworden und das Schild wurde—zumindest für kurze Zeit—erst einmal abgenommen.

Foto: Rüdiger Weida

Ein fliegendes Spaghettimonster, das die ​Piraten als auserwähltes Volk lobpreist, und ihnen nach rechtschaffenem Leben eine ​Stripperfabrik im Himmel verspricht? Und wir dachten immer, der Scheiß, den sich ​Scientology ausdenkt, wäre abstrus! Tatsächlich verstehen sich die Pastafari aber viel mehr als bewusst religionskritische Weltanschauung und weniger als eine tatsächliche, erzfromme Religionsgemeinschaft. Der Ursprung der Gruppierung liegt in den USA—sie ist 2005 als satirischer Protest gegen den ​Kreationismus, eine göttlich verschwurbelte Version der Evolutionstheorie, entstanden. Von da aus verbreitete sich die Lehre der heiligen Teigwaren vor allem über das Internet in die ganze Welt.

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben: Grey Hutton

Jeder mag Piraten, jeder mag Nudeln und wenn es bei einer Messe Bier gibt, müsste man schon einen Flammenwerfer zur Hand haben, um die gierige Journalistenmeute auf Abstand zu halten. Kein Wunder also, dass Redaktionsteams, von BILD bis Regionalblatt, nach Templin pilgerten, um über die ganz große Story, die wütenden Kleinbürger, die keinen Spaß verstehen und genau so religiös wie konservativ sind, zu berichten. „Sat.1 war kürzlich auch hier mit einem Kamerateam, für die sollten wir eine unserer Nudelmessen nachstellen", erklärt mir der Vorsitzende des Nudelvereins, Rüdiger Weida. Der Rentner lebt am Rand Templins auf einem großen Grundstück mit mehreren Schuppen. In einem von ihnen hält er jeden Freitag um zehn Uhr morgens seinen etwas anderen Gottesdienst ab.

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In den kleinen Raum dürften nicht mehr als die regelmäßigen Vereinsmitglieder passen—insbesondere dann, wenn jeder in der traditionellen Piratenkluft samt Säbel gekleidet ist. Auf die Wand ist ein Bildnis des heiligen Spaghettimonsters gemalt, auf einem „Altar" thronen die Reliquien des Nudelkults. Darunter auch eine leere Bierflasche, in der eine ungekochte Spaghetti und eine Zahnbürste stecken. „Wir haben die mal draußen auf der Wiese gefunden und dachten, dass das ein Zeichen sein muss. Das Spaghettimonster möchte, dass wir uns regelmäßig die Zähne putzen!"

Die angekündigte Messe findet heute nicht statt. Vor uns soll ein Fernsehteam deswegen wieder enttäuscht abgereist sein. Einige Vereinsmitglieder wollten nicht mehr kommen, als sie gehört hatten, dass die Presse anwesend sein wird. Sie fürchten laut Weida um ihren Ruf und ihre Jobs, wenn die Kirche mitbekommt, an welchen heidnischen Ritualen sie sich beteiligen. „Die Kirche ist nach dem öffentlichen Dienst der größte Arbeitgeber in Templin", erklärt der Vorsitzende, der seit Kurzem auch dem italienischen „Schutzorden der bissfesten Lochnudel des saftigen Glaubens" angehört. „Hier kann sich niemand erlauben, sich mit der Kirche dumm zu stellen. Hier wurden ganze Kindergärten von der Kirche übernommen und anschließend Druck auf die Angestellten ausgeübt, der Kirche beizutreten."

Derweil soll Ralf-Günther Schein, der christliche Pfarrer in Templin und ein offener Gegner des Nudelmessen-Schilds, Gerüchte über seinen religiösen Widersacher in Umlauf bringen. Gegenüber anderen Medienvertretern soll er ausgesagt haben, dass Rüdiger Weida ein persönliches Problem mit ihm habe und das jetzt auf dem Rücken einer vermeintlichen Satire-Religion austrage. Grund für das angespannte Verhältnis der beiden Männer ist ein Vorfall, der schon einige Zeit zurück liegt, an dem Gottesvertreter allerdings zu nagen scheint, als sei es gestern gewesen.​

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„Ich hab hier 15 Jahre lang Jugendarbeit gemacht. Jeden Tag in einem anderen Dorf ringsum Templin", erklärt Weida. „Sein Vorwurf ist, dass wir unsere Abende immer genau so gelegt hätten, um die Kinder von ihren Christenlehren abzuhalten, und außerdem auch nicht davor zurückgeschreckt hätten, Ballerspiele wie Counterstrike an die Kinder rauszugeben. Gegenüber den Medien hat Pfarrer Schein auch Dinge über meine Familie gesagt, die einfach nicht stimmen. Das hat mich wirklich getroffen."

Plötzlich schien es also gar nicht mehr um die Ernsthaftigkeit der Nudelreligion als solcher zu gehen. Die neue Dimension des Konflikts schien aber ungleich interessanter. Es war Zeit, sich von Weida und seiner improvisierten Kirche irgendwo zwischen den Feldern des brandenburgischen Hinterlands zu verabschieden. Wir mussten in den Stadtkern von Templin und den Vorwürfen der christlichen Instrumentalisierung sowie den Ursprüngen der Fehde auf den Grund gehen.

Sozialer Mittelpunkt des kleinen Ortes ist der Marktplatz, auf dem man neben jeder Menge Wurst auch äußerst günstigen Kaffee (50 Cent pro Becher) und alte Nazimagazine (Landser) kaufen kann. Nach ein paar ergebnislosen Gesprächen weist man uns den Weg zur Kirche.

Als wäre der Gedanke einer christlich kontrollierten, seelenlosen Dorfbevölkerung nicht gruselig genug, bekommt der neblige Mittag eine leichte Prise Blairwitch Project, als wir auf der Suche nach dem Pfarrer um die örtliche Kirche schleichen. Ich denke an das Fernsehteam, das vor uns bereits in der Stadt gewesen sein soll, und stelle mir erstmals die Frage, wo die eigentlich abgeblieben sind. Die Straßen in diesem Teil des Ortes scheinen komplett verwaist, das Gotteshaus abgeriegelt. Auf die Tür des nahegelegenen christlichen Jugendkellers ist erschreckend oft „YOLO" gekritzelt. Schließlich stoßen wir doch noch auf einen Menschen, den Sohn des Pfarrers. Lächelnd geleitet er uns zum Wohnhaus seines Vaters, der gerade im Aufbruch begriffen ist. „Ich muss aber in zehn Minuten zu einer Beerdigung", sagt er, während er uns in sein Arbeitszimmer führt. „Wenn Leute zum Mittagessen kommen, haben wir aber nicht genug!", ruft seine Frau aus dem Hintergrund. Die christliche Nächstenliebe wird hier groß geschrieben.

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„Ich will doch einfach nur, dass sie das Schild abnehmen oder zumindest an einem eigenen Mast aufhängen. Die machen keinen Gottesdienst und das ist keine Kirche. Was die machen, ist eine Gegenveranstaltung, die sich über unser kirchliches Leben lustig macht", seufzt er. „Wir haben hier in Templin zur Adventszeit wirklich anderes zu tun. Das sieht der Bürgermeister so und das ist den Leuten in der Stadt auch klar. Dieser Ulkverein gibt sich nach außen hin sehr lustig, dahinter steckt aber eine ganz scharfe Religionskritik." Woher diese Ablehnung kommt, versteht Schein nicht.

Warum er den Konflikt dann gegenüber der Presse auf Privatgeschichten seines Kontrahenten hinuntergezogen habe, fragen wir. „Ich habe darum gebeten, dass das privat bleibt, deswegen bin ich entsetzt, dass das jetzt doch öffentlich geworden ist", sagt er. „Ich habe nur versucht zu erklären, dass er durch seine Erfahrungen mit kirchlichen Dingen wahrscheinlich frustriert ist." Über die früheren Auseinandersetzungen zwischen ihm und Weida spricht er nicht. Welchem der beiden Männer hier wirklich etwas an einer offen ausgetragenen Fehde liegen könnte, wird zunehmend unklarer.

Wir überlassen Pfarrer Schein seinen Aufgaben und machen uns wieder auf den Weg zum Marktplatz. Zeit, sich mit den Templiner Bürgern zu unterhalten. Es regnet und wird von Minute zu Minute kälter, trotzdem ruft uns einer der Verkäufer gutgelaunt zu, ob wir noch einen Kaffee wollen. Wir entscheiden uns für eine Bratwurst („Ist das wirklich genug Senf für Sie?") und fragen, wie er den religiösen Kleinkrieg zwischen Nudelanhängern und Kirche mitbekommen hat. „Da habe ich mal nur was in der Zeitung zu gelesen", grummelt er. „Und die Christen hier haben doch auch eine komische Vorstellung von der Welt. Mir total egal, warum die sich streiten."

„Ich weiß gar nicht, was die ganzen Kamerateams hier wollen", pflichtet ihm der Obsthändler bei, der am früheren Morgen bereits vom RBB interviewt worden war. „Ich habe das überhaupt nicht mitbekommen und ich kenne hier auch niemanden, der sich für diese Nudelmesse interessiert. Ich dachte erst, es geht um Kartoffeln, weil wir die hier auch Nudln nennen." Und ein rotnasiger Mützenverkäufer, dem das Wetter nach mehreren Stunden Marktaktivität offensichtlich zusetzt, versichert mit energischem Kopfnicken: „Soll doch jeder an das glauben, an das er glauben will!" Keiner von ihnen wirkt von der Kirche indoktriniert. Stattdessen scheinen die Templiner ausgesprochen uninteressiert an Religion im Allgemeinen und religiösen Brennpunkten im Besonderen. Auch wenn ein alter Bekannter Rüdiger Weida wegen Nudelgate bereits die Freundschaft gekündigt haben soll.​

Wir machen uns im dichten Nebel auf den Rückweg nach Berlin—nicht viel schlauer als zuvor, aber deutlich ernüchtert. Es geht in Templin nicht um freie Auslebung seines Glaubens, Straßenschilder, superkonservative Christen oder einen Religionskrieg mit verhärteten Fronten. Eigentlich geht es nur um zwei Männer, Rüdiger Weida und Ralf-Günther Schein. Vorher war es die Kids Company und sich überschneidende Veranstaltungszeiten, jetzt ist es eine satirisch zu verstehende Nudelmesse und ein Schlagabtausch auf überregionaler Ebene—möglich gemacht durch die Presse. Eine Aussage Weidas vom Morgen kommt mir in den Sinn: „Unser Glaube verpflichtet uns dazu, an allem zu zweifeln." Eigentlich ganz schön clever, diese ​Schildbürger.

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