Dichte Rauchwolken steigen über dem Transitlager in Spielfeld auf. Es ist dunkel geworden und die Nächte werden bereits bitterkalt. Den ganzen Tag über kamen Busse an, die die Neuankömmlinge auf diverse Camps und Bahnhöfe in ganz Österreich verteilen sollten.
Zusätzlich war der Parkplatz vor dem Lager Stunden zuvor noch mit Taxis übersät, die eine neue Möglichkeit der Weiterreise boten, wenn auch—im besten Fall—zu normalen Konditionen und somit mit einem Kostenaufwand für die Flüchtlinge verbunden.
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Hinter einem der vielen Zäune lugt Ali hervor. Er ist einer von 12 Leuten, die sich gemeinsam aus dem Iran auf die Balkanroute begeben haben. Hinter ihm lodert bereits ein kleines Feuer, an dem sich seine Gefährten und er zu wärmen versuchen. „Es ist kalt in der Nacht. Heute wieder. Die Nacht davor auch schon und die davor auch.” In den kleinen Zelten sei es kalt und nass, die Schlange zur Essensausgabe zu lang. Eine Scheibe Brot hat er bis jetzt ergattert.
Ali fühlt sich nicht gut, hat alles zurück gelassen und wollte im Grunde nicht weg. Doch seine Regierung ließ nicht zu, dass er denkt und glaubt, wie er eben denken und glauben wollte. Er konnte sich einfach nicht den Mund verbieten lassen, so ein Mensch wollte er nicht sein. Im selben Atemzug spricht er davon, dass sie starke Männer seien. „Wir werden nicht weinen, denn würden wir weinen, wäre es ein Fluss”, erklärt er und versucht dabei tapfer zu lächeln.
Parallel dazu winkt eine Reihe Jugendlicher herüber, die aufgefädelt am Zaun stehen. „Pizza, Pizza! We don’t have food”, rufen sie und deuten dabei auf einen Pizzaimbiss, der sich lediglich 300 Meter von ihnen entfernt befindet. Doch sie dürfen nicht aus dem abgesperrten Areal. Als einer von ihnen über den Zaun steigt, eilt sofort die slowenische Polizei herbei und weist sie zurück. Anscheinend befinden wir uns in dem Teil des Niemandslandes, das sich wohl doch schon Slowenien nennt.
Von einer Anhöhe betrachtet, verwandelt sich das Areal in einen belebten Ameisenhaufen. Ali ist nun einer von vielen. Es herrscht reges Getümmel und Gewusel. Essensausgabe hier, Anstellen für den Bus dort. Die Schlangen sind lang, die Wartezeiten ebenso. Die Menschen wollen ihren Platz nicht verlieren und bleiben deshalb in Reih und Glied. Selbst in der Nacht.
Notfallfolien werden ausgeteilt, damit die Menschen nicht unterkühlen. Kinder erheitern sich daran, strecken ihre Arme in die Luft und laufen umher. Und so verwandelt sich der Warteplatz in ein Meer aus Lichtreflexionen und Geraschel.
Die Szenerie wirkt absurd, dazu kommen Hubschrauber, die das Areal umkreisen und das immer wiederkehrende Gefühl von Panik. Schlagartig wird es laut und ein Tumult bricht aus. Doch Polizei und Bundesheer sind sofort mit Dolmetschern zur Stelle, um die Situation wieder zu entschärfen.
Offenbar haben sie schon dazugelernt. Das Warten dauert lange, es herrscht Ungewissheit. Die Menschen sind übermüdet und unterkühlt. Es scheint bereits ein System zu geben und freiwillige Helfer geben alles. Und dennoch scheint das System Lücken aufzuweisen. Lücken, die die Flüchtlinge an ihre Grenzen bringen. Emotional und körperlich.
Wir wollen noch einmal nach Ali sehen, um uns zu verabschieden, doch als wir zurückkommen, ist nur noch ein qualmendes Häufchen Asche vorzufinden. Die Feuerwehr hat das kleine Feuer gelöscht. Ali und seine Freunde sind in der Masse verschwunden.
Auf dem Rückweg passieren wir ein grünes Herz, das uns sagt, dass wir in der Steiermark sind. Direkt davor wurde von der Identitären Bewegung eine Anweisung zum Umkehren auf die Straße gesprayt. Dabei fallen mir die Worte der Pensionistin Helga ein, die seit zwei Tagen immer wieder an der Straße in Wagna darauf wartete, dass wieder Flüchtlinge vorbeikommen, die sie versorgen könne: „Es waren ausschließlich nette Menschen dabei, die wir versorgt haben, alle sehr dankbar und freundlich. Allerdings wurden wir immer wieder von vorbeifahrenden Autos als Schweine oder sonst was beschimpft.”
Tags darauf geht es weiter an die slowenisch-kroatische Grenze, um zu sehen, ob die Nächte dort wirklich so kalt sind, wie Ali sie beschrieben hatte. Zirka 120 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt befindet sich Rigonce, wo es ein Feld geben soll, auf dem Flüchtlinge unter freiem Himmel und ohne Versorgung festgehalten werden, um dort auf die Weiterreise zu warten.
Auf dem Weg dorthin durchquert man Dobova, wo man bereits erste Vorboten des Zustandes an der Grenze zu Kroatien ausmachen kann, Straßensperren sind die ersten davon. Doch bevor die Zelte des Lagers in Dobova in unserem Blickfeld erscheinen, sind bereits Schreie zu vernehmen. Je näher man kommt, desto klarer werden sie und doch fließen sie in einem Strom aus hunderten zusammen. Schnell wird klar, dass es sich um von Unruhe durchzogene Menschenmassen handelt.
Hunderte Flüchtlinge warten auf Busse. Das Areal wird von schwer bewaffneten Soldaten bewacht. Die Kamera gezückt und schon wird ein Fotografieverbot ausgesprochen. Einzelne Freiwillige dürfen in das Zelt, um dabei zu helfen, die Menschen zu versorgen. Doch soeben kommt die Nachricht, dass das Brot ausgegangen sei. Nach längerem Überlegen brechen wir als Gruppe von Freiwilligen trotzdem Richtung Rigonce und somit zu besagtem Feld auf.
„Dort wird das Essen viel dringender gebraucht”, heißt es. Doch das Zögern war berechtigt. Die Lage ist angespannt. Freiwillige sprechen sich ab und versuchen eine Taktik zu entwickeln. Das Militär hat das Gelände um das Feld herum abgeriegelt. Auch, wenn Polizei und Müllwägen frei passieren dürfen, gilt dies noch lange nicht für Helfer. Es gibt kein Durchkommen, ohne Ausnahme. Es wird verhandelt und beratschlagt. Im Minutentakt ändern sich die Informationen. In der Ferne kann man bereits das Lodern von Feuern am Himmel vernehmen und Silhouetten von Menschengruppen erahnen.
Zu unserer Rechten sammeln sich vereinzelt Presseorgane, der Zutritt ist auch ihnen nicht gewährt. Einzig ein Seil, das dann und wann zu Boden schwebt, wenn Polizeiautos in die Sperrzone einfahren, dient zur Markierung der Abgrenzung. Immer wieder heißt es, man dürfe eintreten, doch es bleibt bei leeren Versprechungen. Und dennoch kann ein Deal ausgehandelt werden: Freiwillige, die es in den Tagen zuvor bereits in das Transitlager geschafft haben, dürfen mit ihrem Lieferwagen vorfahren, um all das Essen und die Decken ins Innere zu bringen. Sie müssen jedoch hinter der Absperrung bleiben.
Niemand darf raus, niemand darf rein. Mit Adleraugen werden wir beäugt, als wir doch unter dem Seil durchschlüpfen, um die Kisten selbst einzuladen. Und sofort müssen wir wieder raus. Einer der Helfer, der sich innerhalb der Absperrung befindet wird nach einem Interview gefragt und will kurz unter dem Seil durch. Doch sofort kommt von Seiten der beiden Polizisten: „Wenn du einmal draußen bist kommst du nicht mehr rein.” Und so sind wir froh, dass wir Essen und Decken hinein befördern konnten, während der Lieferwagen untersucht wird, damit bloß kein Mensch in das Camp geschmuggelt wird.
Gleichzeitig fühlen wir uns leer. Immer wieder kommen Meldungen, wie dringend Essen, Decken und helfende Hände gebraucht werden. Über 20 Freiwillige haben sich bereits vor der Absperrung versammelt, viele sind schon wieder gegangen, Autos voll mit Essen wieder gefahren.
Aus der Ferne hört man plötzlich ein Klappern. Kurz darauf kommen Polizisten auf Pferden angeritten. „Nun werden wieder welche weggebracht. Sie müssen zu Fuß durchs Feld bis zum nächsten Camp. Es sind einige Kilometer und der Weg ist schlammig”, sagt eine der Helferinnen und schaut den Pferden hinterher, die im Dunkel verschwinden.
An diesem Tag sollen 15.000 Menschen über die kroatische Grenze nach Slowenien gekommen sein. Diese Massen seien von solch einem kleinen Land nicht zu bewältigen, heißt es von Seiten der Regierung. Und dennoch bleiben Fragen. Warum dürfen Menschen nicht helfen, die über hunderte Kilometer Nahrung und Wärmendes angekarrt haben? Warum wird den Medien der Zugang verwehrt und somit jegliche Art von Öffentlichkeit schlichtweg verboten?
Die Nächte werden zunehmend kälter, die Zahl der Neuankömmlinge steigt dennoch. Entlang der Balkanroute muss etwas passieren und es muss schnell passieren, andernfalls ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Toten begraben werden müssen.