Stavroula Sichelschmidt—Kurzform: Wula—sitzt im Gras. Die Wiese und Wula wollen nicht recht zusammenpassen. Die Wiese: bürgerlich, fast etwas vornehm und gemäht. Wula: abgewetzte Chucks, angewinkelte Beine, Zigarette im Mund, blonde Haare im Gesicht. Es ist allerdings nicht zwingend ihr Auftreten, das die Frau aus Solingen so ungewöhnlich macht—es ist ihr Job. Wula ist Geisterjägerin.
Die 43-Jährige ist Teil eines Ghosthunter-Teams, der „Ghosthunter-NRWup & RLP”, bei denen Betroffene von Spuk fachmännischen Rat und auch Soforthilfe bekommen. Kostenlos. Es gibt sogar eine Hotline, an die man sich wenden kann. Meist versuchen Wula und ihr Team, andere Ursachen für vermeintlich paranormale Phänomene zu finden. Erst wenn keine mehr in Betracht kommt—oder die Zeichen zu eindeutig sind—rücken sie aus. Dann gibt es Hausbesuche. Diskret, versteht sich.
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Die deutsche Geisterjäger-Szene, wenn man so will, besteht hierzulande aus etwas über 30 Teams mit je 2 bis 10 Mitgliedern, erklärt Alexa Waschkau. Zumindest war das der aktuelle Stand, als sie 2013 mit der Arbeit an ihrem Buch Ghosthunting begann, zusammen mit dem Psychologen Sebastian Bartoschek. Sie gilt als eine Expertin im Bereich des Fantastischen, in ihrem Podcast „Hoaxilla” beschäftigt sie sich mit urbanen Mythen.
Wula hat frei. Die Kinder sind beim Papa, wie jedes zweite Wochenende. „Meine Älteste ist 13″, sagt sie und dreht vorsichtig die Asche ihrer Zigarette an einem Stein ab. „Klar hab ich ihr erzählt, was ich mache. Aber dem Kleinen natürlich nicht, der ist ja erst vier. Das geht jetzt noch nicht.” Wenn die Kinder aus dem Haus sind, ist Mama unterwegs. Geister jagen und in alte Häuser einsteigen. „Meine Aufgabe im Team ist es, Kontakt zu den Geistern herzustellen”, sagt Wula. „Das bedeutet nicht, dass ich mit ihnen rede oder so. Es bedeutet, dass ich versuche, das aufzunehmen, was sie hinterlassen und mir senden. Jeder Ort hat eine Geschichte.”
Medien sind in der Geisterjäger-Szene durchaus umstritten. Sie arbeiten nicht fehlerfrei. Seien anfällig. „Daher ist es bei uns so”, erklärt die 43-Jährige, „dass—wenn ich ein Gebäude betrete—mir oft vorher gar nicht gesagt wird von meinem Team, was dort wirklich passiert ist. Denn wenn ich nicht eingeweiht bin, dann habe ich auch keine Erwartung. Und das ist wichtig, damit ich möglichst unvoreingenommen an einen Ort komme und ihn auf mich wirken lassen kann.”
Ich stehe—so gesehen—in einer Reihe mit den anderen Messgeräten.
Was sich Wula zunutze macht, ist einzig ihr Gespür, reine Intuition. „Und es ist nicht so, dass das Team dann sagt: Wow. Wula hat was gemerkt! Das muss ein Geist sein!”, sagt sie. „Ich stehe—so gesehen—in einer Reihe mit den anderen Messgeräten.” Sie lächelt und zieht an ihrer Zigarette ohne Filter. Filter sind was für Anfänger.
„Als ich klein war”, sagt Wula. „Da waren wir in Griechenland, ich bin ja Griechin. Meine Eltern, Großeltern, drei Schwester, die jüngste war noch nicht geboren.” Ihre Großeltern besaßen dort ein sehr schönes und sehr altes Haus, in dem sie eine Art gespenstischen Erweckungsmoment hatte. „Wir haben gespielt und es gab nur in einem Raum eine Steckdose. Den sollten wir nicht betreten. Aber wir waren noch sehr klein und hatten diesen Kassettenrekorder und weil wir Mädchen tanzen und Musik hören wollten, haben wir ihn in die Steckdose gehängt. Der Rekorder in dem einem Raum, das Kabel durch die Tür in den anderen mit der Steckdose. Dann ging der Kassenrekorder plötzlich mittendrin aus”, sagt Wula. „Ich dachte mir nichts dabei. Meine Schwestern auch nicht. Wir waren ja noch Kinder. Also ging ich rüber und guckte durch die Tür und da lag das Kabel abgezogen neben der Steckdose. Ansonsten war der Raum leer.”
Sie steckte ihn ein. Die Mädchen tanzten wieder. Dann ging der Kassenrekorder aus.
„Ich dachte so: Häh? Das ist jetzt aber merkwürdig”, erzählt sie. „Meine Schwestern haben langsam ganz schöne Angst gekriegt, der Raum war auch so dunkel und schattig”, sagt Wula. Sie guckte und der Stecker lag wieder neben der Dose. Als habe ihn jemand im Vorbeigehen gezogen. „Und in einer Ecke stand nur diese Papiertüte.”
Da bekamen die Schwestern Angst und liefen davon. Als Wula so alleine in dem Raum stand, schwört sie, habe sie eine Lichtkugel bemerkt, die sich in die Papiertüte zurückzog.
„Später habe ich erfahren: Die Tüte gehörte einer alten Frau, die mit meiner Oma in dem Haus wohnte. Es war ihr Zimmer gewesen, die Frau war schon länger gestorben. Ich denke, sie möchte einfach keine Musik—und hatte das unterbinden wollen”, sagt Wula. Das Interesse war jedenfalls geweckt.
„Als ich dann älter war, begleiteten mich solche Phänomene weiter: Irgendwann wusste ich, dass diese Lichtkreise Orbs heißen. Ich hörte Schritt im Haus, im Obergeschoss, aber da war niemand. Irgendwann kam es bei einem Bekannten von mir zu solch einer Begebenheit, und er sagte: Dann holen wir eben die Geisterjäger! Und ich so: Pah! Geisterjäger? Was soll das denn bitte.” Die anfängliche Skepsis wich allerdings reger Begeisterung, als sie „Claudia und Tom” im Einsatz erlebte. „Die haben da keinen Mist erzählt oder rumgequatscht”, meint sie. „Die hatten Equipment dabei, um elektromagnetische Felder zu messen, Kameras und Diktiergeräte. Außerdem haben sie sich rührend um meinen Bekannten gekümmert, haben alles erklärt”, sagt Wula. „Die wollen sich nicht profilieren oder so. Diese bodenständige Art, diese Demut, das hat mir auf Anhieb sehr gefallen.”
Irgendwann brach ich zusammen und habe nur noch geheult.
Sie kamen in Gespräch. Wula erzählte ihre Geschichte. Wenig später war sie Teil des Teams. Angst davor, sich kopfüber in die Welt des Paranormalen zu stürzen, hatte sie nicht. Zumindest „nicht vor Geistern. Vor den Lebenden habe ich mehr Angst als vor den Toten.” Sie drückt die Zigarette aus, entsorgt sie akkurat und wechselt in den Schatten des großen Hauses, das hinter ihr steht.
Wenn die Geisterjäger im Einsatz sind, beginnt alles mit den Vorgesprächen: Was machen wir heute? Welche Räume sind interessant, welche nicht? Erwartungen werden zurückgesteckt, Pläne geschmiedet, Schaulustige, die nur den Kopf schütteln, freundlich gegrüßt. Man ist als Geisterjäger natürlich angreifbar. Deshalb sind sie sehr auf ein professionelles Image bedacht: Keine unnötigen Ghostbusters-Anspielungen, was hiermit auch erledigt wäre, und das Wort „Medium”, obwohl es auf Wula schon zutrifft, mögen sie auch nicht.
Beginnt die Untersuchung, werden Überwachungskameras aufgebaut, Tonbandgeräte ausgepackt, um vermeintliche Stimmen aus dem Jenseits aufzuzeichnen. Die Geisterjäger stellen dazu, in dem Raum, wo es spuken soll, Fragen an die Seelen—und im besten Fall antworten diese, was selbst, wenn man an Übernatürliches glaubt, nicht sonderlich oft „passiert”. Alle 30 Sekunden etwa löst irgendwo eine Fotokamera aus, die den Raum beobachtet.
Neben dem Abscannen von elektromagnetische Feldern und Temperaturschwankungen turnt Wula durch die Gegend. Manchmal ganz unauffällig. Manchmal aber geht sie auch einen Schritt zu weit.
„Wir waren mal auf einer alten Ritterburg, das Team und ich”, sagt Wula und blinzelt in die Sonne, vertreibt ein paar Mücken, kramt den Tabak raus. „Ich ging die alten Treppen hoch und merkte dabei, wie ich immer schwächer wurde. Stufe um Stufe. Fast oben, dachte ich: Mein Leben hängt davon ab, den Treppenabsatz zu erreichen. Ich fühlte mich verletzt. Später sagte mir das Team: Es gab hier einen Mord, jemand habe sich die Treppe hochgezogen.”
Ein anderes Mal waren sie am Grabowsee, einer ehemaligen Lungenheilstätte nahe Berlin. „Da waren wir im so genannten Piano-Zimmer”, erzählt Wula und macht eine kurze Pause. „Und da hatte ich plötzlich so Bilder, so Schnappschüsse vor den Augen. Spielende Kinder. Aber ihre Kleider sahen merkwürdig alt aus. Greise Frauen in Schwarz. Wir spielen dabei oft alte Musik ab, die zur der Epoche passt, um zu sehen, ob etwas darauf reagiert. Plötzlich war die Luft dick und ich spürte Angst, Wut, Trauer. Das waren aber nicht meine Gefühle. Irgendwann brach ich zusammen und habe nur noch geheult.” Irgendwann waren da Schreie und Stimmen in ihrem Kopf, die immer lauter wurden mit der Musik. „Die schrien: Macht das aus! Mach es aus!”, sagt Wula. „Und irgendwann rief ich selbst: Tom, macht die Musik aus! Da musste ich abbrechen.”
Ich bin froh, dass mein Verstand stark genug ist, mich rechtzeitig wieder aus solchen Situationen herauszuholen.
„Später”, sagt Wula und zieht die Zigarette gerade, „habe ich über den Ort recherchiert. Es waren damals Kinder tatsächlich dort, die sich kurieren sollten. Und ihre Aufpasser, das waren Nonnen. Vielleicht daher das Schwarz. Das macht mir dann aber schon ein wenig Angst”, fügt Wula hinzu. „Ich bin nur froh, dass mein Verstand stark genug ist, mich rechtzeitig wieder aus solchen Situationen herauszuholen.”
„Es ist schon so, dass die Gruppendynamik während der Untersuchungen eine nicht unerhebliche Rolle spielt”, sagt Alexa Waschkau, die derartige Situationen von einer eher skeptischen Warte aus betrachtet. „Es ist denkbar, dass man sich entweder gegenseitig in dem Gefühl bestärkt, dass man ein übernatürliches Phänomen erlebt hat oder sich auffangen kann, wenn es tatsächlich unheimlich wird.”
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Für Wula sind diese Situationen hingegen real. Auch wenn sie es für wichtig hält, sich zwar die Möglichkeit einer paranormalen Aktivität offenzuhalten, aber nicht zu sehr daran zu glauben, etwas zu finden. „Sonst bildest du dir schnell Dinge ein”, sagt Wula und macht etwas Platz auf ihrer Mauer im Schatten. „Das verselbstständigt sich—und das ist eine Gefahr für die gesamte Untersuchung.”
Eines Tages, erzählt Wula, wolle ihre Tochter unbedingt mal mit. Die Begeisterung für Geistererscheinungen scheint sie von ihrer Mutter geerbt zu haben. „Klar werde ich dann erwartet”, erklärt Wula, als ich Frage, wie es so ist, wenn sie von einer Geisterjagd nach Hause kommt. „Meine Tochter will dann natürlich wissen: Wo wart ihr? Wie war’s? Habt ihr was gefunden?” Sie lächelt. Kinder, sagt sie, können noch sehr stark an diese Dinge glauben. „Sie sind nicht sehr schreckhaft”, sagt Wula. Aber manchmal, wenn sie unruhig sind oder Angst haben, kommen sie schon zu ihr ins Bett. Das ist ja auch praktisch, so eine Geisterjägerin in der Familie.