Stefanie Sargnagel am Opernball

Als ich gestern nach einem geselligen Abend in meinem neuen Lieblingstschocherl Café Jara aufwachte, bekam ich die Benachrichtigung vom VICE Heft, dass es tatsächlich wahr ist. Dass ich tatsächlich auf den ersten Ball meines Lebens geschickt werden würde, den Wiener Opernball. Ich hatte im Café Jara schon damit angegeben, dass es eventuell passieren könnte, aber die Gäste glaubten mir irgendwie nicht. Sie glauben mir ja auch nie, dass ich eine weltberühmte Autorin bin. Selbst an meinem Geburtstag glaubte mir niemand dort, dass ich Geburtstag habe. Ich werde dort toleriert als eine von vielen seltsamen Figuren, die sich manchmal nachts dorthin verirren, um an der Bar noch einen gemütlichen Schlummertrunk zu sich zu nehmen und ein paar Scheiben in die grandiose Jukebox zu werfen, deren CD-Sammlung von Gabalier-Alben zu „Tocotronix” Samplern überhaupt keinen Sinn ergibt, aber wirklich ernst genommen werde ich offenbar nicht. Das gefällt mir.

Ein sensationeller sozialer Aufstieg innerhalb weniger Stunden also—vom klebrigen Fliesenboden auf roten Teppich, vom Schankwein zur Champagnerbar. Ich als Teil der Elite des Landes, unter Blitzlichtgewitter und Pelzmänteln, pompösen Roben und Geschmeide, während das schmutzige Fußvolk hinter Gitterstäben mit Polizeiaufgebot von mir und meinen neuen Freunden achtsam ferngehalten wird, so stelle ich mir das vor. Eigentlich sollte ich völlig aus dem Häuschen sein, aber der Jara-Wein hatte mir ordentlich zugesetzt und die Vorstellung, völlig allein stundenlang auf einem Ball zu verbringen, war etwas überfordernd, außerdem besaß ich weder ein Kleid, noch Schuhe, noch Make up.

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Nach einer kalten Dusche begab ich mir also erstmal auf die Reinprechtsdorferstraße, um ein Kleid zu finden, mit dem ich der Star auf jeder Romahochzeit sein würde. Um 25 Euro wurde ich im Chinashop fündig, ein mit Diamanten besetztes Polyesterkleid und Diamanten-Ohrringe um 2 Euro. Hinter meinem Regal fand ich auch die alten Ballerinas, die ich mal für eine Hochzeit gekauft hatte. Sie waren etwas zerknautscht, aber nachdem ich den Staub und die Mottenpuppen abgekratzt hatte, waren sie wie neu. Ich malte mir noch die Lippen mit den roten Rüben aus dem Kühlschrank an und sah aus wie eine Prinzessin aus einem Prinzessinnen-Film, atemberaubend schön.
Am Karlsplatz musste ich den Polizisten meine Opernballkarte zeigen, um durchzukommen. Ein surrealer Moment, nie fühlte ich mich privilegierter, nie erhabener über die Justiz, eine feine Opernballperson auf dem Weg zur Austernbar, den hochindustriellen Bekannten Bussis geben, dem Streicheltürk einen freundschaftlichen Klaps und im Schlumbergerrausch mit Häupl in der Opernball-Disco Petting machen.

Screenshot von der ORF Berichterstattung zum Opernball

Dann war ich tatsächlich da. Am Red Carpet, ich fasste es nicht, die Euphorie schoss mir ins Hirn, rund um mich nur Promis in archaischen Kostümen aus toten Tieren, viele hatten noch extra Vogelfedern auf den Kopf gebunden wie schwarze Magier einer mysteriösen Naturreligion. Arabella Kiesbauer schmiegte sich an mir vorbei und Kathrin Nachbaur strahlte mich an. Larissa Marolt wirkte viel hagerer als im Fernsehen. Die mollige Frau mit der Kasperlstimme, die ich so gern in den Seitenblicken sehe und deren Name mir nie einfällt, stand zum Anfassen vor mir und hat ihre ganze Frisur dabei. Ich habe mal ein Gedicht über sie geschrieben, es geht so:

Eine Frau wie eine staubige, alte, etwas klebrige Likörflasche in einer Biedermeieranrichte.
Wie Tafelspitz in glibbrigen Aspik.
Eine Frau wie ein starkes Parfüm, wie eine sich ringelnde Krampfader gefüllt mit gestocktem blauem Blut,
wie eine Scheibe Leberkäse aus Lipizzanerfleisch in der Sommerhitze.


Als ich mit meinem bisschen von einer Wanderung schmutzigen Mantel dastand, mir eine Tschick wuzelte und mit einem kleinen Schnapsfläschchen selber zuprostete “Aufn Opernball, Steffel”, kam ein Security zu mir und wollte meine Karte kontrollieren. Ich zeigte sie ihm und gab mich empört und er entschuldigte sich unterwürfig. Wusste er denn etwa nicht, mit wem er es zu tun hatte? Prinzessin vom Julius-Popp-Hof?!
Die Eröffnung begann und damit auch der langweiligste, zachste, schleppendste, zermürbendste, ödeste Abend meines Lebens. Ich hatte mich so gefreut auf eine rauschende Ballnacht, diese mir normalerweise unzugängliche Welt auszukosten bis zum letzten Stückchen, Feierei und Action zu erleben, die mir in ihrer Art fremd waren, aber ich muss leider gestehen: Am Opernball zu sein ist nicht mal ein Zehntel so dynamisch wie die Zusammenfassung im Fernsehen vorzugeben scheint. Die Menschen, die vor der Kamera plötzlich aufblühen und sich inszenieren, stehen den Rest der Zeit wie leere Duracell-Hasen bewegungslos im Raum, sie lümmeln trübe in ihren Logen und starren mit hängenden Schultern leise murmelnd ins Leere. Nichts regt sich, alles wirkt welk und traurig und tot.

Selbst das Tanzen wirkte bei den meisten Paaren wie Arbeit—verkrampft, der Blick wirkte angestrengt nach außen gerichtet, man könnte ja fotografiert oder gefilmt werden, einen wirklich gelösten Eindruck machten die wenigsten, ständig rempelte man einander und wenn sie aufhörten, wirkten sie verschwitzt und erschlagen. Der Frack schnürte die Kehle zu, das Kleid musste zurecht gerückt werden. Am glücklichsten schienen mir asiatische Touristen, die sich wohl in einer Art Disney-Märchentraum wiederfanden.

Zum ersten Mal wird mir klar, warum Richard Lugner das meiste Interesse auf sich zieht, denn es passiert wirklich wenig.

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Von der Eröffnung und den künstlerischen Darbietungen sah ich nur die Bilder auf den Smartphone-Displays der Menschen, die dicht gedrängt vor mir standen. Ich beobachtete die Menschen rund um mich, überdurchschnittlich viele sehr kleine Männer fielen mir auf, die mich kaum überragten in Begleitung großgewachsener hübscher Frauen. Viele alte Männer waren in Begleitung ihrer Töchter da. Die unschuldigen DebütanntInnen tanzten in ihren weißen Kleidern, um in die Gesellschaft eingeführt zu werden wie Tampons.

Die meisten Räumlichkeiten, die verschiedenen Bars und kleinen Bühnen abgesehen der Tanzfläche wirkten halb leer, die Stimmung war ständig wie um drei Uhr früh kurz vor Ende einer Hochzeitsfeier, nur ohne lustige stockbesoffene Onkels oder ähnliches.
ES WAR SO FAD OH GOTT. Mir war so scheiß fad, dass ich mich sogar hinreißen ließ, mir eine Bierflasche um 8 Euro zu kaufen.

Ich ging alleine die Logen auf und ab, schaute die dasitzende Prominenz aus Wirtschaft, Politik und Kultur an, wie sie blutleer darauf warteten, in die nächste Kamera zu sagen, wie großartig und lustig dieser Abend sei. Ich berührte Industriegiganten und Sozialminister, erblickte leider kein einziges Mal Lugner oder Häupl. Ich sah Janine Schiller zu, wie sie sich emotionslos ein Lachsbrötchen zwischen die Wulstlippen schob und die Botoxboys. Irgendwie deprimierte es mich, dass diese Menschen, die ich eigentlich für ausgedachte Figuren aus einer fiktiven realsatirischen Fernsehwelt hielt, tatsächlich existieren. Eine seltsam bornierte Groteske.

Noch ein Screenshot von der ORF Berichterstattung zum Opernball

Ich spielte etwas Roulette, versuchte vor die Kamera zu kommen, um meine Existenz aufzuwerten, streifte stundenlang durch das Gebäude und die halbgare Stimmung. Die meisten Karten, erfuhr ich später, sind angeblich Firmenkarten und überall sah man Männer in Gesprächen vertieft, deren O-Ton „Schön, dass wir das mal in einem lockeren Rahmen besprechen können.” war.

Eine ältere Dame deutete auf meine Schuhe und sagte laut zu ihrem Mann „Schau da das an, das is ja ein Wahnsinn, schau dir die Schuhe an!” Irritiert blickte ich nach hinten in ihr wütendes Gesicht, zu verwirrt, um zu reagieren. Insgesamt sah ich mehr Konfliktsituationen als Gelächter, es war so öde, als würde man gemeinsam ewig und genervt auf den Bus warten. Einzig die DebütantInnnen waren aufgekratzt vom Adrenalin ihres Auftritts, sie waren mittlerweile alle in der Opernballdisko und twerkten.

Ich schaute mir aufgespritzte Lippen an und in kitschigen Stoff eingezwängte alte Haut, die mir wie ein Sinnbild des ganzen Balls erschien.
Viele sehr alte Frauen hatten hier richtig gutes Duttel.
Ich stand neben einem österreichischen Volksmusikstar und ein paar Damen und hörte ihn gerade darüber witzeln, dass die Chinesen nicht nur Schlangen, sondern sogar ihre eigenen Kinder essen würden.
Niemand forderte mich zum Tanzen auf, dabei war ich mit Abstand die Schönste vom ganzen Ball.

Foto: Wiener Staatsoper/Michael Pöhn

Die Mitternachtsquadrille wurde abgehalten, und Roman Svabek diktierte die Tanzschritte wie ein strenger Professor und lobte das Richtigmachen. Ich sah einem älteren Mann dabei zu, wie er seine drei Köpfe kleinere Frau immer wieder erzieherisch an der Schulter packte, wenn sie etwas falsch machte. Fun.

Als ich schließlich fragte, ob man irgendwo drinnen rauchen könne, wurde ich auf die Kantine verwiesen und entdecke dort ein kleines Paradies. Während draußen ein kleines Wasser 8 Euro kostete, bekam ich drinnen ein Gulasch und ein Krügerl für 10 Euro. Hier war es laut und lebendig, die Leute saßen zusammen am Tisch, schrien herum, soffen und tschickten und ich hob ein paar Bier mit ORF-Technikern—auch hier trug man Abendkleidung. Ein Beleuchter wunderte sich, dass ich überrascht darüber war, dass ein Fest mit lauter reichen Snobs öde sei und ich musste ihm Recht geben. Ich verließ diesen Ort nicht mehr. Es wurden Anekdoten erzählt, gelacht und viele, viele Biere bestellt. Als die ersten Mitarbeiter um halb fünf Uhr früh in ihre Alltagskleidung wechselten, war es wie eine interessante Demaskierung, bei der plötzlich Alternative oder Metaller zum Vorschein kamen.

Ein letztes Mal machte ich noch eine Runde, um die Stimmung einzufangen—wenige Paare tanzen noch am Parkett, mittlerweile schon etwas ausgelassener. Auch in der Disko waren noch Leute unterschiedlichen Alters. Eine Frau um die 60 in einem glitzernden, roten Kleid warf losgelöst die Arme zu Tina Turner „Whats love got to do with it” in die Höhe. Ein schöner Abschied, die Last der unausgefüllten Stunden fiel etwas von mir ab und ich ging erleichtert heim.