Jedes Mal, wenn der Bitcoin-Kurs neue Höhen erreicht, durchfährt tausende Menschen ein nervöses Zucken. Sie haben die Zugangsdaten für ihre Wallets verbummelt, die digitalen Brieftaschen, mit denen man auf seine Bitcoins zugreifen kann. Sie haben ein kleines Vermögen angehäuft, aber sie kommen einfach nicht dran.
Die Wallet-Passwörter werden Seed genannt und bestehen aus 12 oder 24 automatisch generierten Wörtern – nur mit ihnen kannst du beweisen, dass die Bitcoins auch wirklich dir gehören.
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Sein Seed zu vergessen oder verlegen, kann einem teuer zu stehen kommen. Frag einfach den deutschen Programmierer Stefan Thomas, der noch zwei Versuche hat, bevor sein Bitcoinschatz im Wert von 200 Millionen Euro für immer verloren geht. Laut Schätzungen des Analyseunternehmens Chainanalysis sind aktuell fast 3,7 Millionen Bitcoins nicht zugänglich. Das sind fast 20 Prozent der 18,6 Millionen Bitcoins, die sich momentan im Umlauf befinden.
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Higoze, ein 28 Jahre alter Stuntman aus Frankreich, ist einer der Unglücklichen. Vor ein paar Jahren investierte er 200 US-Dollar und sah nach anfänglicher Stagnation, wie sich sein Geld verdreifachte. “Irgendwann fühlte ich mich wie so ein richtiger Wall-Street-Typ!”, sagt Higoze. “Ich dachte mir: ‘Ich werde reich sein, ohne einen Finger rühren zu müssen! Dann werde ich den ganzen Tag auf der Couch hocken und Netflix gucken.’” Dann stürzte der Kurs wieder ein, aber Higoze machte sich keine zu großen Sorgen. “Ich war ein bisschen niedergeschlagen”, sagt er. “Es war, als hätte ich 200 Dollar im Casino verloren.”
Seit seinem Bitcoin-Kauf hat Higoze ein paar Mal die Handys gewechselt und schließlich den Zugang zu seiner Wallet-App verloren und damit zu seinem Krytpoguthaben. Die einzige Möglichkeit, noch an sein Geld zu kommen, ist sein Seed, aber er kann sich einfach nicht daran erinnern. “Ich habe überall nachgeschaut”, sagt er. “Es ärgert mich, allein wenn ich darüber nachdenke. Es ist einfach komplett meine Schuld. Alle sagen einem, wie wichtig es ist, sein Seed nicht zu verlieren.” Er schätzt, dass seine Investition heute mehr als 1.600 Euro wert ist. “Mit dem Geld hätte ich für eine Haartransplantation in die Türkei reisen können.” Er macht gerne Witze darüber, dass der Bitcoin-Stress seinen Haarausfall beschleunigt habe.
Bitcoin gibt es seit 2009 und ist die weltweit erste und erfolgreichste Kryptowährung auf Blockchain-Basis. Als ihr Schöpfer gilt ein gewisser Satoshi Nakamoto, dessen wahre Identität aber bis heute nicht geklärt ist. Die Währung ist komplett digital und auf maximal 21 Millionen Stück begrenzt. Diese Menge kann nicht geändert werden und stellt eine entsprechende Verknappung und damit Wertsteigerung sicher. Nachdem der Kurs am 8. Januar dieses Jahres einen Höchststand von 34.000 Euro erreicht hatte, ist er in den vergangenen Wochen immer wieder gestiegen und gefallen. Heute, am 3. Februar, ist ein Bitcoin etwas mehr als 30.000 Euro wert.
Paul*, ein 38 Jahre alter Gamer und Twitch-Streamer aus Frankreich, hat seine Festplatte einen Strich durch die Rechnung gemacht. 2019 hatte er Bitcoin für 400 Euro gekauft, um sich im Darknet Drogen zu kaufen. “Ich habe mir Gras für 100 Euro gekauft”, sagt er, “dann sind Monate verstrichen, ohne dass ich viel an meine Bitcoins gedacht hätte.” Irgendwann in dieser Zeit machte sein Rechner Probleme, also formatierte er seine Festplatte neu. “Da habe ich gemerkt, dass die Textdatei, in der ich meinen Wallet-Key gespeichert hatte, weg war. Boom, einfach so.” Er schätzt, dass er etwa 1.500 Euro verloren hat.
Viele User, die ihr Passwort verloren haben, fragen sich, warum das System auf eine Technik setzt, die so anfällig für die eigene Schusseligkeit ist. “Die Idee hinter Bitcoin ist, dass Freiheit mit Verantwortung einhergeht”, sagt Yves Bennaïm, ein Kryptospezialist aus der Schweiz und Gründer des Thinktanks 2B4CH. “Wenn du dein Gmail-Passwort verlierst, kann Google deine Informationen verifizieren. Bei Bitcoin gibt es jedoch keine zentrale Verwaltung.”
Kurz gesagt: Wenn du eine komplett anonyme und dezentralisierte Währung haben willst, musst du auf die Annehmlichkeiten verzichten, die dir Unternehmen wie Google und Facebook bieten.
Aber auch wenn es für die Besitzer blöd ist, ihren Wallet-Zugang zu verlieren, dem System hilft es. “Menschen, die ihre Zugangsdaten verlieren, tragen zum Netzwerk bei, weil die verfügbare Menge Bitcoins kleiner und damit wertvoller wird”, sagt Bennaïm. Sein Ratschlag: Sichere dein Seed in einem Bankschließfach, wie du es mit anderen Wertgegenständen tun würdest. Wenn du ganz sicher gehen willst, kannst du es dir in extra sicheres Metall eingravieren lassen. Es gibt eine ganze Reihe Unternehmen, die das anbieten.
Bennaïm sagt, dass einige Bitcoin-Besitzerinnen und Besitzer fälschlicherweise angeben würden, den Wallet-Zugang verloren zu haben, um einer Überprüfung durch die Steuerbehörden zu entgehen. In Frankreich und den allermeisten anderen europäischen Ländern unterliegen Kryptowährungen der Kapitalertragsteuer. Allerdings nicht in Deutschland. Hier ist der Gewinn aus Bitcoinverkäufen steuerfrei, wenn die Bitcoins mindestens ein Jahr in deinem Besitz waren. In der Schweiz gilt nur das Bitcoin-Minen, also das Generieren neuer Bitcoin mit einem Computer, als Einkommen und muss entsprechend versteuert werden.
Die französische Bitcoin-Vereinigung Le Cercle du Coin schätzt, dass mindestens eine Handvoll Bitcoin-User in Frankreich behauptet, den Zugang zu ihren Wallets verloren zu haben, auf denen sich achtstellige Summen befinden. Für die Behörden ist es schwer nachzuweisen, ob sie Steuern sparen wollen oder die Wahrheit sagen.
Wenn du zu den Unglücklichen gehörst, die keinen Zugang mehr zu ihrem Wallet haben, kannst du es bei Dave “Bitcoin” von Wallet Recovery Services versuchen. Dave hat eine Software entwickelt, die Millionen verschiedene Wortkombinationen ausprobiert, mit denen sich deine digitale Schatztruhe öffnen lassen kann. Seine Erfolgsrate schätzt er bei etwa 35 Prozent. Die Nachfrage steige mit dem Bitcoinwert, sagt er. Wenn er erfolgreich ist, nimmt er 20 Prozent des Wallet-Inhalts, ansonsten geht er leer aus. “Ich bin ziemlich hartnäckig”, sagt er. “Es gibt ein paar Fälle, in denen ich ein Wallet nach mehreren Jahren öffnen konnte.”
Paul und Higoze sind an diesem Dienst noch nicht interessiert, dafür sind die verlorenen Beträge noch zu klein. “Andererseits, falls Bitcoin auf bis zu 100.000 Euro steigen sollte, dann würde ich mir das nochmal überlegen”, sagt Higoze. Er selbst sieht sich allerdings in nächster Zukunft nicht wieder aktiv am Bitcoin-Markt. “Für mich lohnt sich das nicht mehr”, sagt er. “Als ich anfing, konntest du für 200 Euro noch ein schönes Stück vom Bitcoin-Kuchen kriegen. Jetzt sind es nur noch ein paar Krümel.”