Ich hätte niemals gedacht, dass ich mich mal an einem Montagabend am Zürcher Hauptbahnhof in eine S-Bahn setze und in die Innerschweiz fahre, um eine Punkband zu interviewen. Doch White Dog Suicide, ein Vierergespann aus dem hintersten Linthal, macht gerade mächtig Lärm – Hardcore Punk direkt aus dem schönen Glarnerland. Das musste ich mir natürlich anschauen. Also komme ich nach zwei Stunden Zugfahrt im ländlichen Diesbach an, wo sich der Bandraum von White Dog Suicide befindet.
Vor meinem inneren Auge biegt gleich ein Punk mit Springerstiefeln, aufgestelltem Iro, Nietenweste und Bierdose um die Ecke und kickt dabei noch einen Mülleimer um. Doch aus dem Dunkeln kommen “nur” zwei Jungs auf mich zugeskatet, die von den Klamotten her in jeden Skatepark passen würden. Doch unter den Caps schimmern die farbigen Haare hervor, in den Gesichtern blitzen Piercings auf und der Nietengürtel sitzt. Zusammen laufen wir zu ihrem Reich: Ein Bandraum, der sich hinter dem lokalen Jugendraum befindet. Die hölzernen Wände sind mit Konzertplakaten zugepflastert, der meiste Platz wird von den Instrumenten und Computern eingenommen, aber es gibt auch eine Sofaecke und sehr viele Kleinigkeiten zu entdecken: Zum Beispiel ein One-Direction-Kissen, welches die Band nach Angaben von Gian, dem einen Sänger und Gitarristen der Band, in einem Mülleimer gefunden haben. Natürlich stehen im Raum auch verschiedene Skateboards und BMX. Das einzige, was wirklich das klassische Punkklischee im Bandraum von White Dog Suicide erfüllt, ist der überfüllte Mülleimer.
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Bis wir mit dem Interview anfangen können, dauert es noch einen kurzen Moment, da nur die eine Hälfte der Band anwesend ist. Neben Gian hat mich Jan, der zweite Sänger und Gitarrist, abgeholt. Danach trudelt Drummer Remo ein und schlussendlich kommt mit Mario auch der Bassist der Band. Schnell wird klar, dass die Jungs viel Zeit im Bandraum verbringen. Ob sie jetzt einfach aufgeregt sind oder immer so überdreht, kann ich nicht beurteilen, aber es scheint mir ein spassiges Interview zu werden.
Da alle direkt von der Arbeit kommen, wird vor dem Interview erst noch Pizza bestellt und Getränke eingeschenkt. Wer jetzt Bier erwartet, hat falsch gedacht: Gian erzählt beim Einschenken der Fanta gleich, dass der Grossteil der Band Straight Edge sei und somit auf alle Rauschmittel verzichtet. Das Interview beginnt dementsprechend damit, dass die Jungs völlig anders sind als eine 0815-Punkband. “Punk hat voll den schlechten Namen, weil alle immer gleich an betrunkene Typen denken, die nur rumhängen, oder an arbeitslose Drogenabhängige, die Mülleimer umkicken und Leute anpöbeln”, sagt Jan. Er habe in seinem Leben noch nie getrunken oder geraucht. Als er dann die Straight-Edge-Bewegung entdeckte, habe er das ziemlich geil gefunden, da er bis zu dem Zeitpunkt dachte, dass er die einzige Person in der Punkszene sei, die so lebt. In seiner Klasse hätten alle getrunken, weil es einfach dazugehöre. Niemand hätte das hinterfragt und er habe die Sauferei als unnötig empfunden. “Mit Straight Edge kannst du Jugendlichen, die Probleme mit dem Gruppenzwang haben, zeigen, dass es auch andere Menschen gibt, die so leben”, sagt Jan. In erster Linie sei die Band Straight Edge für sich selber, aber sie probieren ein Zeichen zu setzen, dass nicht alle Bands wie das Klischee des Punks seien. Ich merke, dass die Band sichtlich genervt ist von Leuten, die sich so verhalten und sich als Punk kennzeichnen. Die Band labelt zwar ihre Musik als Punk, aber sich selber nicht, sie seien einfach sich selbst.
Dass die Jungs aus einer ländlichen Umgebung kommen, war auf dem Hinweg zum Kulturzentrum kaum zu übersehen, also möchte ich wissen, wie man im Glarus zum Punk kommt. “Ich habe Green Day durch meinen Bruder entdeckt und bin durch diese Band voll in die Punkszene reingewachsen”, sagt Jan. “Bei mir war es Nirvana”, erzählt Gian. “Wir gingen alle zusammen in die Schule und waren die Einzigen, die solche Musik hörten. Was irgendwie auch cool war, da ich mich eh nie wirklich zugehörig zur Klasse fühlte. Ich unternahm viel mit dem Bruder von Jan und so lernte ich ihn kennen. Wir fuhren mal zusammen Zug und dort merkten wir, dass wir dieselbe Musik hören. Das war auch der Zeitpunkt, an dem wir beschlossen, dass wir selber Musik machen wollen.” Ganz am Anfang gab es für die Band im Glarus keine Vorbilder, doch dann lernten sie A Dogs Revenge kennen – Hunde unter sich eben.
Gian, Jan, Remo und Mario gründeten die Band vor drei Jahren, sind aber erst seit zwei Jahren richtig aktiv. Remo war schon damals Schlagzeuger, während die anderen ihr Instrument erst noch lernen mussten. “Nach der Gründung reagierten die Leute ziemlich gespalten. Viele fanden geil, was wir machen. Aber eine Menge hatete uns”, sagt Gian. Auch mit ihrem Aussehen sticht die Band im Glarnerland heraus, aber wirklich Probleme deswegen hätten sie bis jetzt noch nicht gehabt – ausser die eine oder andere geschockte Grossmutter – berichtet er weiter: “Anfänglich wirkte es wohl ein wenig komisch auf die Leute, als sich auf einmal vier schwarze Gestalten im Hinterland bewegten”, sagt Gian. Jan ergänzt: “Direkt bekamen wir nie richtige Kritik, aber ich vermute, hinter unserem Rücken wurde schon gelästert. Ich war auch der erste mit bunten Haaren von hier hinten und das war auch voll krass für die älteren Leute und die normalen Bauern. Die meisten dachten halt einfach, dass wir ein paar Monate spielen und dann wieder aufhören.”
Als wir auf den Bandnamen zu sprechen kommen, meldet sich Mario, der Bassist, welcher sich bis jetzt eher im Hintergrund hielt, das erste mal richtig zu Wort: “Es ist eine echt dumme Geschichte – wir selber finden den Namen nicht wirklich geil. Wir haben einen Mann mit einem kleinen weissen Hund mit einem anderen Mann reden sehen. Dann ist der Mann ohne Hund in sein Auto gestiegen, losgefahren und plötzlich sprang der weisse Hund vor das fahrende Auto. Ich habe dann zum Kumpel gesagt: ‘Hey, schau mal, White Dog Suicide.’ Da uns nichts besseres einfiel, haben wir dann diesen Spruch als Bandnamen genommen. Keine Angst, der Hund lebt noch.”
Durch eine aktive Social-Media-Präsenz und Live-Auftritte konnte die Band schnell aus dem Glarnerland ausbrechen. “Es lief eigentlich vieles automatisch, wir wurden oft onlineangeschrieben oder an Shows angesprochen, ob wir woanders spielen wollen”, sagt Jan dazu. “Wir hatten echt Glück. Ich schrieb einen Veranstalter für ein Konzert in Zürich an und das klappte dann auch – unsere erste Show in Zürich. Ich glaube, wir kamen dort gut an, die Leute wollten eine junge Band supporten und seitdem werden wir immer wieder angefragt”, ergänzt Gian.
Was für die jungen Musiker eher ein Problem darstellt, sei, dass sie nicht so ganz ernst genommen werden, da sie dieses Teenagerband-Image nicht loswerden – auch wenn das früher schlimmer war. “Unser Name ist auch ein wenig problematisch, da wir einfach nicht von diesem Hündchen-Image wegkommen. Dadurch haben viele das Gefühl, dass wir so Pop-Punk machen. Unser altes Logo hat dabei auch nicht geholfen. Deswegen haben wir das auch geändert”, sagt Jan.
Auf die Frage, was heutzutage Punk ist, kommt prompt ein sarkastisches “Tod”. Für die Jungs sei Punk keine Modeerscheinung oder ein Trend, sondern sie stünden hinter der Haltung und dem Mindset der Bewegung und wollen nicht einfach alles akzeptieren, sondern Sachen hinterfragen und ändern. Punk sei heutzutage für die meisten hauptsächlich Musik, in welcher sich junge Menschen ausdrücken könnten. Eine Gegenkultur, welche die Band auslebe. Mit ihrer Musik wollen sie einen Gegenpol zu Sachen setzen, welche sie stören. In ihren Texten behandeln sie Themen, die sie auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene bewegen. “Das heutzutage Geld wichtiger ist als Menschen, kann ich überhaupt nicht befürworten und das stört mich auch extrem”, sagt Gian. Trotzdem wollen sich die Jungs nicht auf ein Statement labeln lassen. Der Inhalt der Musik müsse zur Lebenssituation passen. “Wir sind ja nur gegen den Mainstream, weil dieser meistens das Falsche macht. Also nicht grundsätzlich dagegen”, schliesst Jan die Diskussion.
Für mich ist es immer noch ein Phänomen, dass es anscheinend nur eine Band im Glarnerland gibt, die Punkmusik fühlt und deren Werte vertritt. Also kommen wir auf die Szene zu sprechen. Die Schweizer Szene sei in zwei Seiten gespalten, erklären sie: Es gebe die Leute, die seit 20 Jahren dabei sind, und die Neuankömmlinge in der Szene. “Die neueren Kids werden mittlerweile eher ausgelacht, weil sie nicht alles kennen oder ein Green-Day-Shirt tragen. Die Szene wirkt schon eher elitär und verschlossen als offen”, sagt Gian. Die Punkszene im Glarus bestehe hingegen nur aus der Band und deren Supportern. Gleichzeitig sei sie keine richtige Punkszene, sondern mehr eine alternative Rockszene – nichts definiertes, weil es zu wenig Leute hätte und es auch keine Rolle spiele, ob man an ein Punk- oder Metalkonzert gehe. Alle Leute seien sowieso dort. “Ich denke, wenn jemand über eine Punkband im Glarnerland spricht, sind meistens schon wir gemeint”, sagt Gian.
Und das Made in Glarnerland bleibt Made in Glarnerland. Eigenständigkeit sei der Band nämlich sehr wichtig: Sie wollen sich nicht reinreden lassen. Auch die Zusammenarbeit mit Studios wollen sie zukünftig vermeiden, da diese meist selber Vorstellungen hätten, wie etwas klingen muss, und so die Band in ihrer Kreativität einschränken würden. Darum hätten sie nun Equipment gekauft, um sich selber produzieren zu können. Bei einem Label würde die Band grundsätzlich unterschreiben, wenn sich etwas Passendes ergeben würde. Heisst: Jemanden, der sie supportet und machen lässt, was sie wollen.