Popkultur

‘Stranger Things 3’ ist gruseliger denn je

Stranger Things 3

Die Duffer-Brüder sind Meister des Déjà-vus. In Stranger Things kombinieren sie Altbekanntes zu Neuem. Die erste Staffel der Mystery-Serie war eine faszinierende Fusion der beiden Steves: King und Spielberg. Eine postmoderne Collage aus Einflüssen und Genre-Anspielungen, die es – im Gegensatz zu J.J. Abrams’ Super 8 – schaffte, mehr zu sein als die Summe ihrer erlesenen Teile. Das lag nicht zuletzt an den Binge-Qualitäten und der großartigen Besetzung.

Und jetzt, drei Jahre nachdem die erste Staffel bei Netflix erschien, melden sich die Duffers zurück – und Stranger Things ist besser denn je. Natürlich gibt es auch in den acht neuen Folgen die gewohnte 80er-Nostalgie-Wundertüte, aber Stranger Things 3 ist nicht etwa so gut, weil die Macher sich statt an Stephen King jetzt bei John Carpenter bedienen. Die dritte Staffel glänzt, weil die Duffers begonnen haben, sich bei sich selbst zu bedienen. Endlich scheinen sie zu wissen, was Stranger Things ist und was es sein will.

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Die 80er-Atmosphäre und die Science-Fiction-Elemente der ersten Staffel bleiben uns erhalten. Alles, was an der zweiten Staffel genervt hat, landet in der Tonne – Elf macht also keine sinnlosen Trips nach Pittsburgh mehr, um mit völlig unbedeutenden Nebenfiguren abzuhängen. Stranger Things 3 hat mehr Action, fettere Explosionen und verdammt unheimlich ist die Staffel auch noch. Außerdem sind alle irgendwie unfassbar wuschig, aber dazu später mehr.


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Staffel drei spielt im Sommer 1985, ein halbes Jahr nach dem Ende der zweiten Staffel. In den Kinos läuft Zurück in die Zukunft, die Kids haben schulfrei – Dustin ist im Sommerlager, die Teenager haben Ferienjobs und Joyce und die anderen Erwachsenen ringen mit den Auswirkungen, die das brandneue Einkaufszentrum Starcourt Mall auf ihre Kleinstadt hat.

Aber Stranger Things wäre nicht Stranger Things, wenn die Mall nur die örtlichen Ladeninhaber gefährden würde. Drunter befindet sich ein verstecktes Labor, in dem eine Horde sowjetischer Wissenschaftler mit einem Riesenlaser das Tor zur Schattenwelt öffnet. Warum zur Hölle, fragst du dich jetzt vielleicht, versuchen die Sowjets, den Gedankenschinder freizukriegen? Und wie können die das in einem gigantischen Bunker in Indiana anstellen, ohne dass jemand etwas merkt? Das sind Fragen, die frühere Stranger Things-Staffeln wahrscheinlich zu beantworten versucht hätten. Aber die Duffer-Brüder sind in der neuen Staffel selbstbewusst genug zu wissen, dass das ziemlich irrelevant ist. Die Sowjets sind böse, der Gedankenschinder noch schlimmer und niemand bekommt etwas mit, weil der korrupte Bürgermeister wegschaut. Verstanden? Gut.

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Es ergibt vielleicht nicht alles superviel Sinn, aber wen juckt das? Die Folgen bewegen sich in einem solchen Tempo, dass man überhaupt keine Zeit hat, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie genau eine ausländische Regierung heimlich einen gigantischen Bunker unter einem Einkaufszentrum anlegen konnte. Aber wie gesagt, das ist am Ende auch total egal! Überhaupt nicht egal hingegen ist, dass der Gedankenschinder zurück ist und ausklamüsert hat, wie er sich auf der hiesigen Seite aus den Eingeweiden explodierender Ratten einen Körper basteln kann. Ach ja, in Stranger Things 3 gibt es eine Menge explodierender Ratten. Unfassbar viele explodierende Ratten.

Netflix hat offensichtlich einen Haufen Geld in die neue Staffel gesteckt. Und die Duffer-Brüder haben ihrerseits eine Menge davon in Ekeleffekte à la Cronenberg investiert. Mit das Gruseligste in der ersten Staffel war eine Art wild gewordene Dämonenblume. Stranger Things ist reifer geworden.

Und wo wir schon bei Reife sind: Vielleicht ist es die Hitze, die Freiheit der Ferien, vielleicht ist es aber auch einfach das Bedürfnis der Bewohner von Hawkins, sich nach den ganzen schrecklichen Erlebnissen ein bisschen auszutoben – jedenfalls sind in Stranger Things 3 alle ziemlich wuschig. Klischee-Hot-Mom Karen Wheeler zum Beispiel lüstet nach Bad Boy Billy, der jetzt Bademeister und der heißeste Kerl im Schwimmbad ist, mit Vokuhila natürlich; die lange schon vor sich hinköchelnde Romanze zwischen Joyce und Sheriff Hopper geht endlich in Erfüllung, irgendwie jedenfalls; Nancy und Jonathan kommen kaum aus dem Bett; Steve Harrington ist scharf auf seine Kollegin Robin, großartig gespielt von Staffel-drei-Neuzugang Maya Hawke.

Das wahre Herzstück der Serie sind allerdings nicht die Sex-Abenteuer von Hawkins’ Flirtwütigen, sondern das zart aufblühende Liebesleben der Teenager. Zu Beginn der Staffel wursteln sich Mike und Lucas etwas unbeholfen durch ihre Romanzen mit Elf und Max. Dustin erzählt derweil viel von seiner Mormonen-Freundin, die er im Ferienlager kennengelernt hat. Allerdings hat er Probleme zu beweisen, dass es sie auch wirklich gibt.

Diese Nebenhandlungen über die Unwegsamkeiten junger Liebe zähmen den unfassbaren Bombast der neuen Staffel etwas. Die Duffers scheinen gelernt zu haben, dass Stranger Things am besten in den Atempausen funktioniert – in den stillen Momenten zwischen Mike und Elf, zwischen Steve und Dustin, oder Murray Baumann und einem sowjetischen Gefangenen. Es sind Szenen, in denen wir eine Minute lang ganz nah bei den Figuren sind.

Der große Staffel-Showdown findet dann – wer hätte es gedacht? – in der Starcourt Mall statt. Es ist der bislang beste Endkampf der Serie, auch wenn die Zahl der glücklichen Zufälle und Letzte-Sekunde-Rettungen wirklich hart an der Grenze ist. Aber es ist die ausgewogene Mischung aus Actionszenen und authentischen zwischenmenschlichen Momenten, die die Staffel zu einem überraschend befriedigenden Abschluss bringt.

Netflix wird aus seiner Flaggschiff-Serie weitere Staffeln und Spinoffs rausquetschen wollen, bis Finn Wolfhard sich dazu entscheidet, die Schauspielerei an den Nagel zu hängen und in Zukunft lieber mit Mac Demarco zu touren oder so. Aber wenn die Duffers, aus welchen Gründen auch immer, beschließen, dass es das mit der Stranger Things gewesen sein soll, haben sie ihre Serientrilogie tadellos abgeschlossen – und daran kann auch jeder Pittsburgh-Ausflug nichts ändern.

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